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    Django Unchained
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Django Unchained
    Von Björn Becher

    Wer Quentin Tarantino einmal bei der Präsentation eines Italo-Westerns erlebt hat, weiß, wie sehr der Filmemacher das Genre liebt. Der „Pulp Fiction"-Regisseur kann aus dem Stegreif stundenlang über einen dieser Filme referieren, der Vortrag ist dabei durchweg interessant und spannend. Nachdem er vor allem in „Kill Bill Vol. 2" und „Inglourious Basterds" bereits zahlreiche Elemente des Genres aufgegriffen hat, legt Tarantino nun mit „Django Unchained" endlich einen eigenen Western vor. Der Film ist zwar im Süden der USA entstanden, aber der bekannt cinephile Filmemacher und Ex-Videothekar zitiert reihenweise seine „Spaghetti"-Vorbilder - allen voran Werke von Sergio Corbuccis wie „Navajo Joe", „Minnesota Clay", „Die Grausamen", „Leichen pflastern seinen Weg" und natürlich „Django". Tarantino wäre aber nicht Tarantino, wenn er es dabei belassen würde. Stattdessen mischt er die Western-Elemente mit Blaxploitation-Anleihen und Asia-Action, zu Ennio-Morricone-Musik kommen Hip-Hop-Beats und eine deutsche Volkssage steht neben französischer Literaturklassik. Das ergibt haufenweise brillante Einzelszenen und –momente, aber es fügt sich nicht wirklich zu einem runden Ganzen. Die problematische Entstehung mit dem Tod von Tarantinos Stamm-Cutterin Sally Menke, den ständigen Umbesetzungen und Drehbuchänderungen sowie der am Ende überhasteten Fertigstellung hinterlässt im Film deutliche Spuren. Dennoch ist „Django Unchained" ein typischer Tarantino und im letzten Filmdrittel dreht er so richtig auf.

    Weil er ihn zur Identifizierung dreier gesuchter Verbrecher braucht, befreit der gerissene Kopfgeldjäger Dr. King Schultz (Christoph Waltz) den Sklaven Django (Jamie Foxx). Gemeinsam jagen und töten sie die Brittle-Brüder (M.C. Gainey, Cooper Huckabee, Doc Duhame), die sich unter falschem Namen auf der Farm des Sklavenhalters Big Daddy Bennett (Don Johnson) versteckt hatten. Django hat nun nur noch eine Sache im Kopf: Er will seine Frau Broomhilda (Kerry Washington) aus der Sklaverei befreien. Berührt von Djangos Geschichte, die ihn an eine Sage aus seiner deutschen Heimat erinnert, bietet Schultz seinem Begleiter ein Geschäft an: Den Winter über jagen sie gemeinsam entflohene Verbrecher, danach hilft er ihm, Broomhilda zu befreien. Deren Spur verfolgen sie schließlich bis nach Candyland, dem Herrensitz von Calvin Candie (Leonardo DiCaprio), einem berüchtigten Sklavenhalter, der sein „Eigentum" auf Leben und Tod kämpfen lässt. Unter dem Vorwand, selbst im Sklavenkampfgeschäft mitmischen zu wollen, schleichen sich Schultz und Django dort ein: Sie wollen Broomhilda ohne Gewalt aus den Klauen Candies befreien. Doch der hat mit dem verschlagenen Haussklaven Stephen (Samuel L. Jackson) einen treuen Diener an seiner Seite, der das Retter-Duo durchschaut...

    Bereits im Vorfeld wurde heiß darüber diskutiert, wie brutal Tarantinos neuester Streich wohl werden würde. Das Drehbuch machte im Internet die Runde und nährte die Erwartung von Gewaltexzessen. Ja, „Django Unchained" ist brutal, aber auf andere Weise als gedacht. Zur Sache geht es vor allem in den Schießereien. Schon wenn Dr. King Schultz in der Eröffnungsszene die Speck-Brüder Ace (James Remar) und Dicky (James Russo) ausschaltet, spritzt Blut aus Menschen- und Pferdekopf über die Leinwand. Immer wenn eine Schusswaffe im Spiel ist, wird es rot. Auf den Höhepunkt treibt Tarantino dieses Spiel in einem von gleich mehreren Showdowns, in dem er ausgiebig das große Finale von John Woos „A Better Tomorrow II" zitiert. Immer neue Gegnermassen kommen in einer Villa auf Django zu, die Leichen stapeln sich bald so hoch, dass die Kugeln mehr tote Körper treffen als lebende. Diese Szenen sind allerdings genretypisch so stark stilisiert, dass sie eher jubilierend als grimmig wirken.

    Während er bei der Inszenierung der Schießereien in erster Linie überhöhenden Genre-Traditionen folgt, zeigt Quentin Tarantino an anderer Stelle in drastischen Bildern, wie unmenschlich und widerwärtig die Sklaverei ist. Besonders ein zum Vergnügen ihrer Eigentürmer ausgetragener Kampf zweier Sklaven auf Leben und Tod geht an die Nieren. Dieser sogenannte „Mandingo"-Fight (eine Referenz an den gleichnamigen 1975er-Kult-Film von Richard Fleischer) ist in seiner schockierenden Deutlichkeit und seiner zermürbenden Mühseligkeit so intensiv, dass es schwer fällt, zuzuschauen. Die für den Italo-Western typische Folterung des Helden spart Tarantino dagegen weitgehend aus – allerdings erst nachdem er ihr sehr effektiv die Bühne bereitet hat. Auch Broomhildas Schicksal stellt er weniger drastisch dar als erwartet und lässt in der kurzen Rückblende zu ihrer Zeit mit den Brittle-Brüdern eine im Vorfeld heiß diskutierte Vergewaltigungsszene, die noch im Drehbuch stand, weg. So ist „Django Unchained" am Ende zahmer als vieler der billigen Blaxploitation-Rache-Reißer aus den 70ern, auf die Tarantino mit grobkörnigen Flashbacks, schnellen Schnitten und aufdringlichen Zooms Bezug nimmt.

    Während Tarantino ganz wie gewohnt mit mehr oder weniger versteckten Zitaten und Verweisen arbeitet und sich quer durch die Genregeschichte bedient, überrascht er mit einer für seine Verhältnisse sehr einfachen Erzählstruktur. Statt seinen Film in große, stark voneinander getrennte Kapitel einzuteilen, ungewöhnliche Zeitsprünge einzubauen oder die Handlung kunstvoll zu verschachteln, entscheidet er sich bei „Django Unchained" für eine fast konsequent lineare Erzählung. Es gibt nur eine größere Rückblende, sonst nur buchstäblich sekundenweise aufflackernde Erinnerungen. Ein einziges Mal durchbricht er dieses Schema, als er der Attacke eines Vorläufers des Ku-Klux-Klans (dabei: „Miami Vice"-Legende Don Johnson und „21 Jump Street"-Star Jonah Hill) einen Rückgriff auf deren Vorbereitung folgen lässt und dabei die Ursache für ihr Scheitern enthüllt. Diese langgezogene Komödienszene, in der Tarantino die Rassistenbande ausgiebig lächerlich macht, ist für sich genommen ganz amüsant, aber sie wirkt gerade in ihrer Dauer schlecht integriert, besitzt keine Bedeutung für die Gesamthandlung und hemmt den Erzählfluss erheblich. Damit ist sie jedoch nur das auffälligste Symptom der erzählerischen Probleme, die in der ersten Filmhälfte unübersehbar sind.

    Der Erzählmotor stottert zu Beginn zuweilen, das Feintuning stimmt nicht ganz und der Schnittrhythmus passt auch nicht immer, gerade in der Art wie eine (oft sehr starke) Einzelszene auf die andere folgt gibt es Defizite. Inwieweit diese Probleme darauf zurückzuführen sind, dass Tarantino mit dem Tod von Sally Menke („All die schönen Pferde"), die bisher alle seine Filme schnitt, die wichtigste Mitarbeiterin verlor, ist schwer zu sagen. Ein größeres Problem scheint für den Regisseur und seinen neuen Cutter Fred Raskin („Fast & Furious Five") jedenfalls der Zeitdruck gewesen zu sein, Tarantino selbst ließ inzwischen durchblicken, dass ihm mehr Zeit im Schneideraum nicht geschadet hätte. Aber während es dramaturgisch zunächst etwas hakt und im gesamten Filmverlauf immer wieder schwach ausgearbeitete Nebenfiguren förmlich in der Luft hängen bleiben (das gilt etwa für die Rollen von Walton Goggins, Laura Cayouette, Zoe Bell und ansatzweise sogar für Kerry Washingtons Broomhilda), ist „Django Unchained" visuell von Anfang an voll auf der Höhe. Kameramann Robert Richardson („Inglourious Basterds", „Kill Bill", „Casino") leistet wieder einmal herausragende und überaus dynamische Arbeit, dazu sind die eindrucksvollen Sets (von der schlammigen Westernstadt bis zur prächtigen Candyland-Kulisse) des während der Dreharbeiten verstorbenen Produktionsdesigners J. Michael Riva („Iron Man", „Die Farbe Lila") ebenso wie die Kostüme und Frisuren meist wahre Prunkstücke.

    Zur persönlichen Hochform findet Tarantino dann in der packenden zweiten Filmhälfte. Nun stimmen der Rhythmus und die Spannungskurve – was auch mit den Auftritten von Leonardo DiCaprio und Samuel L. Jackson zu tun hat. Der „Titanic"-Star gibt mit sichtlichem Vergnügen den aalglatten und grausamen Bösewicht, der seine intellektuelle Überlegenheit nur behauptet: In Wahrheit wäre er ohne seinen cleveren Haussklaven Stephen aufgeschmissen. Diese Rolle wiederum legt Samuel L. Jackson meisterhaft an der Grenze zur Parodie an. So wird schon seine erste Szene zu einem grandiosen Slapstick-Feuerwerk, wenn Stephen empört mit seiner Gehhilfe rumfuchtelt und nach Worten ringt, weil er einen „Nigger auf einem Pferd" sieht; famos ist auch, wenn er mit Cognacschwenker im Chefsessel thronend seinen eigentlichen „Master" in der Bibliothek empfängt. Gemeinsam mit dem kaum weniger großartigen Jamie Foxx („Ray", „Collateral") brillieren Jackson und DiCaprio im schönen Wechsel zwischen humorigen Zwischentönen und purer Spannung. Christoph Waltz („Der Gott des Gemetzels"), der selbst ein Italo-Western-Fan ist und von Anfang an in den Entstehungsprozess involviert war, tritt demgegenüber trotz einiger denkwürdiger Szenen und der gewohnt großartigen Performance des Darstellers eher ins zweite Glied zurück. Sein Dr. King Schultz ist so etwas wie die gutmütige Version von Waltz' Hans Landa aus „Inglourious Basterds", macht aber eine stärkere Entwicklung über die Laufzeit durch.

    Fazit: „Django Unchained" ist ein guter Film, doch ein Meisterwerk ist er nicht – dafür gibt es zu viel Stückwerk. Vielleicht holt Quentin Tarantino den fehlenden Feinschliff für die Veröffentlichung auf Blu-ray und DVD noch nach. Bis dahin bleibt ein bisweilen unsortierter, aber spaßiger Western mit reichlich Blut und vielen Bravourstücken bis zum furiosen Finale.

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