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    Wintertochter
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wintertochter
    Von Melanie Lauer

    Der Titel ist Programm im neuen Film von Regisseur Johannes Schmid: In kühlen Blau- und Grautönen inszeniert er mit „Wintertochter" ein bewegendes und warmherziges Road-Movie über die Freundschaft und über den Mut, sich einer schwierigen Vergangenheit zu stellen – und das über die Grenzen von Generationen und Nationen hinweg. Dabei gelingt dem Filmemacher ein ebenso sensibles wie humorvolles Drama und er wird auch den schwierigen historischen, politischen und sozialen Fragestellungen gerecht, die den Hintergrund für die Reise seiner Protagonisten bilden.

    Kattaka (Nina Monka), Mama Marlene (Katharina Marie Schubert) und Papa Daniel (Maxim Mehmet) sind eine intakte Familie - für die 12-Jährige bricht diese heile Welt jedoch jäh zusammen, als sie ausgerechnet an Heiligabend erfährt, dass Daniel nicht ihr leiblicher Vater ist. Hals über Kopf macht sie sich mit ihrem besten Kumpel Knäcke (Leon Seidel) und der robusten 75-jährigen Nachbarin Lene Graumann (Ursula Werner) von Berlin aus auf die Suche nach ihrem biologischen Vater, dem russischen Matrosen Alexej (Merab Ninidze), der gerade mit seinem Schiff in Stettin in Polen ankert. Dort angekommen wird der ungleichen Truppe schnell klar, dass ihre Suche noch nicht zu Ende ist, denn Alexejs Containerschiff ist bereits auf dem Weg nach Danzig, Lenes Heimat, aus der sie als kleines Mädchen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs fliehen musste. Und so machen sich die Drei in Lenes rumpelndem Kleinbus auf den Weg ins winterliche Polen – auf eine Reise, in deren Verlauf eine längst verdrängte Vergangenheit aufgerüttelt wird und sich die großen Fragen nach der Bedeutung von Heimat, Familie und Zugehörigkeit neu stellen ...

    Johannes Schmid, der bereits 2008 mit dem Drama „Blöde Mütze" sein Händchen für sensibel inszenierte Kinder- und Jugendfilme bewies, erzählt mit „Wintertochter" eine aufrüttelnde Familiengeschichte. Und er hat viel zu erzählen. Während der Suche nach Kattakas Vater ergründet er ebenso das Geheimnis der eigenbrötlerischen Lene Graumann. Die resolute, manchmal arg verschlossene, dennoch aber liebevolle Lene – hervorragend gespielt von Ursula Werner („Wolke Neun") – hat nämlich ihre ganz eigene Verbindung zu Polen. So pendelt Schmid zwischen Tragödie, der zarten Romanze zwischen Kattaka und dem jungen Polen Waldek sowie der Aufarbeitung der deutsch-polnischen Geschichte, ohne jemals ins Straucheln zu geraten.

    Dass „Wintertochter" mit seinen schwergewichtigen Themen Weltkrieg, Zwangsarbeit, Vertreibung und Flucht dennoch kein düsterer Film ist, liegt an den vielen heiteren und ausgelassenen Momenten, die Schmid gekonnt zum wesentlichen Bestandteil seiner Aufarbeitung macht - und besonders an Kattakas Kumpel Knäcke, der herrlich frech von Leon Seidel („Tom Sawyer", „Teufelskicker") dargestellt wird. Dass dabei hier und da deutsch-polnische Klischees bemüht werden, verzeiht man Schmid bei einer so sympathisch entworfenen und gespielten Figur wie Knäcke gerne. Und dann wird „Wintertochter" wieder bedeutungsschwer und andachtsvoll - wenn die Kamera über die weiten, schneebedeckten Flächen Polens streift und diese Szenen nur ganz behutsamen mit Klängen und Melodien untermalt sind, schafft Schmid einen stimmungsvollen Kontrapunkt.

    Neben Werner und Seidel glänzt auch die ausdrucksstarke Kino-Debütantin Nina Monka als Kattaka, die zwar phasenweise schon fast zu überspitzt pubertiert, in ihrer Wut über die große Familienlüge und in ihrer ängstlichen Neugier auf den leiblichen Vater aber immer greif- und nachvollziehbar bleibt. Aus kindlichem Trotz gegenüber den Eltern und der Angst, mit der sie ihre Suche antritt, erwächst im Verlauf vieler kleiner Lernschritte der große Mut, sich ihrer geheimnisvollen Vergangenheit. Einzig das Elternpaar Marlene und Daniel bleibt ein wenig zu glatt, zu oberflächlich gezeichnet. Schmid zeigt Kattakas Familie als fast schon zu harmonische Einheit: Daniels Beschwichtigungen und Beteuerungen, er liebe Kattaka wie eine eigene Tochter, wirken dabei oft arg gestelzt.

    Die Rolle der durchsetzungsfähigen Erziehungsperson wird dann allerdings beherzt von Lene übernommen. Ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten so feinfühlig entwickelten Drama: Nach einer ohnehin schon komplexen Handlung konstruiert Schmid ein seltsam turbulentes Finale an Bord von Alexejs Containerschiff – und zwar ausgerechnet am Silvesterabend. Das ist zwar kitschig, andererseits haben sich die Figuren nach ihrer so aufreibenden und erkenntnisreichen Reise einen glücklichen Start ins neue Jahr redlich verdient.

    Fazit: „Wintertochter" ist ein bewegendes und vielschichtiges Road-Movie, das abseits kleiner Schwächen im Detail mit bedeutsamen Themen, vor allem aber mit starken Darstellern und einer einfühlsamen Inszenierung begeistert.

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