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    ¡Vivan las Antipodas!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    ¡Vivan las Antipodas!
    Von Robert Cherkowski

    Gegensätze ziehen sich an – das behauptet zumindest ein Sprichwort. In Victor Kossakovskys sechster Langfilmdokumentation „¡Vivan las Antipodas!" dreht sich alles um geografische Antipoden, also zwei Orte auf dieser Erde, die weitest möglich voneinander entfernt liegen. Da ein Großteil der Erde aus Wasser besteht und die „andere Seite der Welt" für die meisten Orte das kühle Nass des Ozeans bedeutet, ist die Anzahl der ländlichen Antipoden nicht besonders hoch. Für seine dokumentarische Weltreise hat sich Kossakovsky acht dieser geographischen Gegensätze ausgesucht und sie in traumhaften Bildern eingefangen. Schade, dass diese Eindrücke bloß über eine solch konstruierte Prämisse aufeinander bezogen werden – an den involvierenden Assoziationsangeboten eines Godfrey Reggio („Prophezeiung - Koyaanisqatsi") oder eines Ron Fricke („Baraka") arbeitet Kossakovsky so leider meilenweit vorbei.

    Während im verschlafen Kaff Entre Rìos zwei Brüder in der vierten Generation als Fährmänner an einem kleinen Floß arbeiten und am Tag höchstens drei Menschen treffen, tobt auf der entgegengesetzten Seite der Welt das wilde, hektische Großstadtleben von Shanghai. Wer glaubt, dass Kossakovsky diesem Gegensatz folgt, ständig von einem Extrem zum anderen schneidet und dabei die Vielfalt der Welt unter die Lupe nimmt, wird allerdings enttäuscht. Die meiste Zeit über wirkt das Konzept bloß wie ein Vorwand, um launige Portraits von Einsiedlern und hübsche Stillleben aneinander zu reihen.

    Warum sich Kossakovsky dafür ausgerechnet für zumeist ähnlich karge Antipoden entschieden hat, bleibt sein Geheimnis. Die Eindrücke vom chilenischen Schafhirten Renè Vargas und den russischen Einsiedlerinnen Tatiana und ihrer Tochter Alina am Baikalsee werden ebenso wenig klar voneinander abgegrenzt oder thematisch gegenübergestellt, wie die Felsgesteine von Miraflores und den Küsten Neuseelands, wo ein gestrandeter Wal die Blicke auf sich zieht. Den Höhepunkt bildet dabei ein aktiver Vulkan auf Hawaii, der von den naheliegenden Anwohnern als völlig alltäglicher Teil ihres Lebens wahrgenommen wird. Die Darstellung der entsprechenden Antipode – das öde Leben im Niemandsland von Botswana – schrammt dabei nur knapp am Ethno-Kitsch vorbei.

    „¡Vivan las Antipodas!" ist das verträumte Panorama einer von Naturschauspielen beherrschten Welt, in der die Menschen wie winzige Fremdkörper erscheinen. Über den abgelegenen Baikalsee legt sich ein trüb-milchiger Nebelschleier, Hochwasser im argentinischen Nirgendwo trägt eine Fähre davon und eine Magmalawine schleppt sich hypnotisierend langsam aus den Vulkanen von Hawaii - Kossakovsky legt sein Augenmerk auf die schrecklich-schöne Gewalt der Natur. Die einzige städtische Episode ist Shanghai. Und kaum stehen Menschenmassen und urbanes Treiben im Mittelpunkt, scheinen dem Regisseur die inszenatorischen Ideen auszugehen. Die phantasielosen Aufnahmen atemloser Stadtbewohner zählen hier zu den wenigen Bildern, die wirklich in Bewegung sind und echte Schauwerte bieten.

    Die großen Vorbilder im Bereich des bildgewaltigen Thesenfilms, Godfrey Reggios „Koyaanisqatsi" und Ron Frickes „Baraka", bleiben dabei in weiter Ferne. Wo Reggio und Fricke kunstvoll das Tempo variierten und mit ihren thematisch sortierten Collagen lange Assoziationsketten in Gang setzten, wird „¡Vivan las Antipodas!" spätestens nach halber Spielzeit redundant und dabei von Minute zu Minute wirkungsloser. Schnell wirken die Ortswechsel willkürlich, wenngleich die allermeisten Bilder immer noch sehenswert sind. Zu einem großen Ganzen werden sie hier jedoch nie zusammengefügt. 108 Minuten wunderschöner Leerlauf machen „¡Vivan las Antipodas!" so zu einer echten Geduldsprobe.

    Fazit: Eine starke visuelle Faszination ist Kossakovskys rauem Bilderbogen „¡Vivan las Antipodas!" nicht abzusprechen. Aussagekräftig oder inspirierend ist die Antipoden-Collage aber leider nur selten.

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