Mein Konto
    Am grünen Rand der Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Am grünen Rand der Welt
    Von Thomas Vorwerk

    Ein viktorianischer Romancier und ein dänischer Regisseur aus der Dogma-95-Bewegung - das ist keine auf den ersten Blick offensichtliche Paarung. Aber der Filmemacher Thomas Vinterberg hat mit Thomas Hardy, dem Autor von Klassikern wie „Jude the Obscure“, mehr gemeinsam als nur den Vornamen. So finden sich auch im Schaffen des Dänen dunkle Familiengeheimnisse („Das Fest“), ein eher fatalistischer Blick auf die Liebe („It's all about Love“), die Fremdheitsgefühle Heranwachsender („Dear Wendy“) und moralische Zerreißproben („Die Jagd“). So ist die Entscheidung, Vinterberg für die Neuverfilmung des 1874 erstmals erschienenen Hardy-Romans „Am grünen Rand der Welt“ zu verpflichten, nachvollziehbar. Und auch wenn der Regisseur vorher wenig Erfahrung mit Kostümfilmen und weiblichen Hauptfiguren sammeln konnte, erweist sie sich als richtig: „Am grünen Rand der Welt“ ist eine klassisch-britische Literaturverfilmung, bei der sich Vorlagenautor und Filmemacher vorzüglich ergänzen.

    Das ländliche Dorset, 1870. Bathsheba Everdene (Carey Mulligan), eine selbstbewusste junge Frau, die sich nach einer Erbschaft in der Männerdomäne Landwirtschaft behaupten will, ist hin- und hergerissen zwischen drei sehr unterschiedlichen Männern. Da gibt es den zurückhaltenden Schäfer Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts), der ihr schon mehrfach unverzichtbare Dienste bei der Arbeit auf dem Hof erwiesen hat. Er ist nach einem tragischen Missgeschick allerdings nahezu mittellos und somit kein (gesellschaftlich) akzeptabler Partner. Der einflussreiche und wohlhabende William Boldwood (Michael Sheen) dagegen ist zwar etwa eine Generation älter, aber noch durchaus ansehnlich und aus finanzieller Hinsicht klar die „beste Wahl“. Mit Leidenschaft und dem verführerischen Charme des Frauenhelden wird Bathsheba außerdem vom schnittigen Soldaten Frank Troy (Tom Sturridge) umworben. Alle drei Männer haben bereits eine Zurückweisung erlebt (teilweise auch durch Bathsheba selbst) und wollen eine weitere Demütigung um jeden Preis vermeiden…

    Die Verfilmungen der Klassiker der englischen Literatur - von Jane Austen über die Brontë-Schwestern bis Charles Dickens - durch den Fernsehsender BBC sind schon seit Jahrzehnten ein echter Exportschlager und auch die Macher dieses Kinofilms orientieren sich unverkennbar an der bewährten Ästhetik dieser gediegenen Fernsehwerke. In imposant-adretten Landschaften und schmucken denkmalgeschützten Bauten sowie prachtvollen Kostümen mit tiefen Dekolletés wird hier wie dort ein nostalgisch angehauchter Rückblick in Zeiten geworfen, in denen junge Frauen monatelang irgendeinem charmanten Tunichtgut hinterherschmachteten und zugleich auf eine Heirat hofften, die ihnen finanziellen Rückhalt bieten würde. Für dieses aparte Ausbalancieren von Verstand und Gefühl hat Regisseur Vinterberg mit Drehbuchautor David Nicholls genau den richtigen Partner an seiner Seite, denn der ist nicht nur selbst Romanautor („Starter For 10“ und „Zwei an einem Tag“ wurden sogar verfilmt), sondern er hat auch bereits 2008 den vermutlich bekanntesten Hardy-Roman „Tess von den D'Urbervilles“ für die BBC-Version mit Gemma Arterton und Eddie Redmayne adaptiert.

    Anders als bei den Fernsehmehrteilern bleiben den Filmemachern bei „Am grünen Rand der Welt“ nur zwei Stunden für eine mehrere Jahre umspannende Geschichte mit vielen Verwicklungen und Nebenfiguren, doch das gelingt hier ähnlich gut wie in der mittlerweile klassischen Verfilmung des Stoffs durch John Schlesinger (unter dem Titel „Die Herrin von Thornhill“, 1967). Vinterbergs Version ist im Vergleich etwas leichtfüßiger, was auch an der Besetzung liegt. Carey Mulligan („Shame“, „Der große Gatsby“) wirkt in fast allen ihren Rollen sehr fragil, selbst wenn sie durchaus toughe Züge haben. Auch hier zeichnet sie ein sanftes Porträt mit Widerhaken: Ihre Bathsheba kann mit ihrer etwas ziellosen Sturheit Männer zugrunde richten. Mulligans Mitstreiterinnen Juno Temple („Maleficent“) als Fanny und Jessica Barden („The Lobster“) als Liddy zeigen ähnliche darstellerische Qualitäten, während die drei Männer nicht nur das Spektrum zwischen paradierendem Gockel und bescheidenem Naturburschen abstecken, sondern dabei auch jeweils eine ganz eigene Variante der Verletzlichkeit offenbaren. So haben hier letztlich alle etwas zu verlieren, sodass die ergreifende Geschichte trotz mancher Klischees (die eher aus der viktorianischen Literatur als aus Kostümfilmen stammen) auch heute noch funktioniert.

    Fazit: Ein Klassiker der englischen Literatur wird in klassischer Manier auf die Leinwand gebracht und wirkt dabei nicht im Geringsten angestaubt: Thomas Vinterbergs mit feministischen Untertönen versetzte Thomas-Hardy-Verfilmung ist zeitlos-spannend.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top