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    Graceland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Graceland
    Von Gregor Torinus

    Kino aus Südostasien erweckt immer häufiger weltweite Aufmerksamkeit auch außerhalb von Festivals und Spezialistenzirkeln. So fanden insbesondere einige Filme vom Inselstaat Indonesien (wie die schockierende Dokumentation „The Act of Killing“ sowie das brachiale Actiondoppel „The Raid“ und „The Raid 2“) den Weg in die deutschen Kinos. Auch in den benachbarten Philippinen tut sich etwas. So brachte es die britisch-philippinische Koproduktion „Metro Manila“ immerhin zum britischen Beitrag im Oscar-Rennen für den Besten nicht-englischsprachigen Film. Und auch wenn es letztlich weder zu einer Nominierung noch zu einem Kinostart in Deutschland reichte, ist der Großstadtthriller mit der Kombination aus hochspannendem Genrekino und dem engagierten Anprangern von gesellschaftlichen Missständen durchaus richtungsweisend. In eine ähnliche Kerbe schlägt nun auch der philippinische Autor und Regisseur Ron Morales mit seinem aufwühlenden zweiten Film „Graceland“. Er zeichnet ein erschütterndes Bild vom Leben in Manila und empfiehlt sich mit seinem dramatischen Entführungsthriller für die Merklisten der Filmfreunde in aller Welt.

    Der Chauffeur Marlon (Arnold Reyes) ist ein armer Arbeiter, der in dem wuchernden Moloch Manila um das Überleben seiner Familie kämpft. Seine Frau liegt todkrank im Krankenhaus, nur eine baldige Organtransplantation kann ihr Leben retten. Doch in diesem korrupten System stehen die Chancen für die Frau eines einflusslosen kleinen Mannes wie Marlon denkbar schlecht. Auch seine pubertierende Tochter Elvie (Ella Guevara) muss bereits erkennen, dass sie nicht die gleichen finanziellen Möglichkeiten wie ihre Freundin Sophia (Patricia Gayod) hat. Die ist nämlich die Tochter von Marlons Chef Manuel Changho (Menggie Cobarrubias), einem einflussreichen Politiker mit einer Vorliebe für minderjährige Mädchen. Marlon macht sich zum Komplizen von Changhos schmutzigen Machenschaften, trotzdem wird er nach langjähriger Mitarbeit entlassen. Am selben Tag wollen Erpresser Sophia entführen, verwechseln diese aber mit Marlons Tochter: Sie erschießen die Politikertochter und kidnappen Elvie. Um seine Tochter zu retten, muss Marlon den wenig willigen Changho davon überzeugen, das verlangte Lösegeld zu zahlen und dabei verschweigen, dass Sophia bereits tot ist. Und als ob das nicht genug wäre, verdächtigen die ermittelnden Polizisten auch noch Marlon mit den Tätern unter einer Decke zu stecken…

    Ron Morales macht es dem Zuschauer mit seiner zweiten Regiearbeit zu Beginn nicht ganz einfach. Im Gegensatz zu dem momentanen Überangebot an extrem stilisierten Filmen, wirkt „Graceland“ fast wie nicht gestaltet, das Geschehen wie beiläufig gefilmt. Und doch ergibt sich allmählich ein aussagekräftiges Bild fernab jeder Dokumentarfilmästhetik. Morales liefert uns Impressionen aus einem Großstadtmoloch, dem sowohl eine klare bauliche, als auch eine gesellschaftliche und institutionelle Struktur fehlt. Hier Die herrschen schmutzige Grau- und trübe Grüntöne vor. Nur einmal werden die Farben kräftiger und strahlender - auf einer nächtlichen Autofahrt in Manilas Rotlichtviertel. Das ist eine Reise in einen wahren Höllenschlund, die in einem Bordell endet, wo Minderjährige ihre Dienste anbieten. Die leuchtenden Farben dienen in dieser freudlosen Welt nur als Mittel zur Verführung und locken in ein noch düstereres Reich. Und dort gelten schließlich keinerlei moralische Grundsätze mehr. Das „Grace“ aus „Graceland“ kann im Deutschen mit Begriffen wie „Anmut“, „Anstand“ oder „Gnade“ übersetzt werden. Es ist egal, welche konkrete Bedeutung man herausgreift, denn jede einzelne bezeichnet Eigenschaften, die hier durch bloße Abwesenheit glänzen.

    Der Filmtitel erweist sich also als bitter ironisch, und doch ist „Graceland“ eine passende Wahl  für die Geschichte eines vom Schicksal gebeutelten Protagonisten, der mit all seinen Kräften zu verhindern sucht, dass seine persönliche Reise von einer bereits schlimmen Ausgangslage hin zu einem noch schlimmeren Ende führt. Trotz einiger durchaus unerwarteter Wendungen, ist diese Geschichte auch in ihrer ganzen bitteren Ausweglosigkeit jederzeit glaubhaft. Hier werden keine selbstzweckhaften Haken geschlagen, sondern es wird ein authentisches Bild einer Gesellschaft voller extremer Gegensätze und tiefer Abgründe gezeichnet. Dieser Eindruck wird durch die überzeugenden Schauspieler verstärkt. Mit Arnold Reyes‘ („Diablo“) Marlon fiebert man gerne mit, obwohl man sich zugleich nicht wirklich mit ihm identifizieren mag. Das ist nur konsequent, denn in dieser verkommenen Welt ist kein Platz für echte Helden. Marlon ist einfach ein kleiner Chauffeur, der sich und die Seinen irgendwie durchbringen will. Vielleicht ist er also doch ein Held...

    Fazit: Ron Morales‘ Thrillerdrama „Graceland“ ist ein hart realistischer und zugleich ungemein spannender Film um eine verpatzte Geiselnahme. Diesen philippinischen Regisseur sollte man im Auge behalten.

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