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    Grenzgänger
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Grenzgänger
    Von Katharina Granzin

    Vor fast genau hundert Jahren, 1914, schrieb der Dramatiker Karl Schönherr sein Stück „Der Weibsteufel“, das zu einem Klassiker des österreichischen Theaters avancieren sollte. Das Dreipersonendrama wurde bereits mehrfach verfilmt und wird auch immer noch im Theater inszeniert, u.a. 2008 von Martin Kušej in Wien mit Birgit Minichmayr in der weiblichen Hauptrolle. Der Filmemacher Florian Flicker hat für seine Kinoadaption des Bühnenstücks Figurenkonstellation und Handlung übernommen, jedoch die Dialoge völlig neu geschrieben und der Sprache den Dialekt ausgetrieben. Die Grunddramatik der Vorlage zu erhalten, ist ihm durchaus gelungen. Doch lässt sich an Flickers Schönherr-Interpretation auch studieren, dass es nicht einfach ist, ein uraltes Volksstück, das auf der absoluten Gegensätzlichkeit der Geschlechterrollen basiert, so zu adaptieren, dass es im Zeitalter des Gender-Mainstreamings noch funktioniert.

    Wir sind im österreichischen Auenland. „Gasthof in der Au“ heißt das Wirtshaus, das der Fischer Hans (Andreas Lust) mit seiner slowakischstämmigen Frau Jana (Andrea Wenzl) betreibt. Die Gegend ist entlegen, ruhig und schön, voller saftiger, wilder Wiesen und nahe an einem Fluss gelegen. Das Gewässer bildet die Grenze zur Slowakei, die – der Film spielt im Jahr 2001 – zur Zeit der Handlung noch zugleich die EU-Außengrenze bildet und von österreichischem Militär bewacht wird. Hans betreibt ein heimliches Gewerbe als Schlepper und holt nachts mit seinem Boot Flüchtlinge über die Grenze, doch Fuchs (Martin Schwanda), der oberste Offizier der Grenzsoldaten, ist ihm dicht auf der Spur. Als der junge Soldat Ronnie (Stefan Pohl) neu zu den Grenztruppen stößt, beginnt ein doppelbödiges Spiel. Fuchs setzt Ronnie als Spion auf Hans und Jana an, Hans wiederum fordert seine Frau auf, zum Schein mit dem Soldaten anzubandeln, um ihn abzulenken. Während sich beide Seiten heimlich gegenseitig belauern, wächst die Anziehungskraft zwischen Ronnie und Jana, und es nimmt nicht wunder, dass das Ganze tragischen ausgeht. Doch für wen wohl?

    Bereits der Titel der Schönherr’schen Vorlage, „Der Weibsteufel“, stellt klar, dass es in diesem Drama um die zerstörerische Kraft des Weibes geht; insofern ist es kein Spoiler, vorab zu verraten, dass es die scheinbar so zarte Jana ist, die zum Schluss immer noch lacht. Es liegt allerdings ein nicht unbeträchtliches Problem darin, dass Flickers Film einer geheimen Dramaturgie und Figurenführung folgt, die unter anderem eben doch auf einen finalen Überraschungseffekt baut. Die grausame Doppelbödigkeit, die in der Rolle der Jana angelegt ist, darf Andrea Wenzl (anders als Minichmayr bei Kušej) bei Flicker nicht ausagieren. Ihre Figur ist zur absoluten Passivität verdammt. Sie spricht nur das Nötigste, bewegt sich mit äußerster Ökonomie, reagiert nur auf Handlungsanreize von außen, ohne jemals aus offensichtlich eigenem Antrieb zu agieren. Diese Jana wirkt, als würde sie unter einer Glasglocke leben oder unter einer chronischen Depression leiden. Aber würde nicht selbst eine zutiefst depressive Weibsperson entrüstet auffahren und Krach schlagen, wenn ein fremder Mann ungebeten ihr Schlafzimmer beträte und sich, ohne auch nur die Militärstiefel auszuziehen, neben ihr auf das Bett legte?

    Es ist ein gelinde gesagt seltsames Frauenbild, das Flicker da zurechtgezimmert hat; und dass die ungeheure Passivität dieses Weibes am Ende nur das Mittel zum bösen Zweck gewesen zu sein scheint, macht die Sache um keinen Deut besser. Sich dabei auf die inhaltlichen Vorgaben der dramatischen Vorlage zu berufen, wäre in diesem Fall alles andere als eine Entschuldigung, denn, eigentlich unnötig zu sagen, zu Zeiten des Karl Schönherr war das Geschlechterverhältnis eben noch ein ganz anderes. Flicker vermeidet es aber, jegliche Modernisierung einzubringen. Unter den Darstellern hat so vor allem Stefan Pohl Gelegenheit zu brillieren. Sein junger Soldat Ronnie oszilliert zwischen jugendlicher Unbekümmertheit und Berechnung, zwischen schmieriger Verderbtheit und echter Sehnsucht. Das ist nicht ohne.

    Fazit: „Grenzgänger“ ist die filmische Adaption eines hundert Jahre alten Erfolgsstücks über die hinterlistige Verdorbenheit des Weibes. Und auch wenn die Handlung ins 21. Jahrhundert verlegt wurde, ist die Geschichte dabei hundert Jahre alt geblieben.

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