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    Deutschboden
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Deutschboden
    Von Gregor Torinus

    Im Jahre 2010 erschien Moritz von Uslars Buch „Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung.“, in dem der Journalist und Autor seine Eindrücke der ostdeutschen Provinz beschreibt. Über einen Zeitraum von drei Monaten hielt sich der in West-Berlin lebende ZEIT-Redakteur in einer brandenburgischen Kleinstadt auf, um dort Land und Leute kennenzulernen. Bei besagter Kleinstadt handelt  es sich um das in der Oberhavel liegende Zehdenick, einem 60 km nördlich von Berlin gelegenen Ort mit 13.500 Einwohnern. Um „des Prolls reine Seele“ zu ergründen, hat sich von Uslar extra eine „möglichst beschissene Kleinstadt“ im Wilden Osten der Republik ausgesucht. Nun wird sein Bericht durch André Schäfers Dokumentarfilm „Deutschboden“ um eine weitere Ebene erweitert. In dem Film wandelt der Regisseur gemeinsam mit dem Autor in Zehdenick auf den Spuren der Orte und der Personen aus dem Buch. Hierbei bleibt André Schäfer selbst völlig im Hintergrund und überlässt das Feld lieber von Uslar, der zudem zu den Filmszenen passende Passagen aus seinem Buch vorliest.

    Moritz von Uslars Beschreibungen seiner Eindrücke sind so krude wie ehrlich. Der gebürtige Kölner macht keinen Hehl daraus, dass er als westdeutscher Großstädter voller Klischees über den „wilden Osten“ ist. Das wirtschaftlich abgehängte Zehdenick scheint all diese Vorurteile zunächst bestens zu bestätigen. Die Häuser sind zum großen Teil mit „scheißbraunem“ Kratzputz versehen. Manche Geschäfte wirken, als hätte es die Wende nie gegeben. Die Dichte an Hartz-IV-Empfängern, die sich bereits tagsüber zum Bierchen in ihrer Stammkneipe treffen, ist beeindruckend hoch. Die oft ebenfalls arbeitslosen jüngeren Ortsbewohner cruisen gerne mit dem Auto durch die „City“. Tagsüber treffen sie sich vor der Eisdiele und abends auf dem Parkplatz vor der örtlichen Tankstelle. Besonders wichtig ist das „Körpertuning“: Bodybuilding, großflächige Tattoos, Piercings und Augenbrauen-Waxing gehören zum Pflichtprogramm. Bei seinen Recherchen erfährt der staunende von Uslar zudem für ihn schier unfassbare Details, wie, dass das Bier zu DDR-Zeiten in Ermangelung von Kühlanlagen mit Zimmertemperatur ausgeschenkt wurde.

    Eine Filmszene zeigt den mit vollen Namen Hans Moritz Walther Freiherr von Urslar-Gleichen heißenden bürgerlichen Großstädter, wie er sich erstmals in die Niederungen der bestbesuchten örtlichen Lokalität traut. Dort kommt der ZEIT-Autor beim Bierchen ins Gespräch mit einem jungen Mann, der am Spielautomaten zockt. Plötzlich überrumpelt der Zocker den steifen Reporter mit dem Hinweis, dass „Dein Name“ auf seinem Hintern steht. Dann entblößt er sein Hinterteil so weit, dass dort der tätowierte Schriftzug „Dein Name“ sichtbar wird. Als von Uslar daraufhin langsam auftaut, fügt der Zocker hinzu, dass er in einer Band spiele, die Five Teeth Less heißt. Vom herbeigesehnten großen Durchbruch sind die Punkrocker zwar noch meilenweit entfernt, doch zur Vertreibung der Langeweile im toten Zehdenick reicht es bereits allemal. Es ist diese unverkrampfte Lockerheit und das sich selbst nicht unnötig ernst nehmen, das einen großen Anteil daran hat, dass Moritz von Uslar viele dieser Provinzbewohner zunehmend ans Herz wachsen.

    Die Verbindung von André Schäfers weitestgehend neutralem Blick und von Uslars niemals abreißenden markigen Sprüchen führen letzten Endes weniger zu einer Bloßstellung der ostdeutschen Provinzbevölkerung, als zu einer ungewollten Selbstentlarvung des sich selbst jederzeit ausgesprochen ernst nehmenden und stets um lässige Coolness bemühten Pop-Literaten. Moritz von Uslar findet in Zehdenick zwar eine beeindruckende Verbindung an Provinzialität, Rückständigkeit und an schlechtem Geschmack. Aber findet er dort tatsächlich auch den von ihm so sehr gesuchten „Superproll“? Mit jeder verstreichenden Filmminute verstärkt sich beim Zuschauer der Eindruck auf, dass von Uslar nur einmal genauer in den Spiegel blicken müsste. Denn das was der selbstgefällige Autor voller Inbrunst von sich gibt, ist ein einziger verbaler Cowboyschritt.

    Fazit: „Deutschboden“ ist eine durchaus unterhaltsame Dokumentation über ein amüsantes Aufeinandertreffen verschiedener deutscher Kulturen.

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