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    Art/Violence
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Art/Violence
    Von Michael Meyns

    Im April 2011 wurde Juliano Mer-Khamis vor seinem Theater im palästinensischen Flüchtlingslager von Jenin erschossen. Der Sohn einer jüdischen Mutter und eines palästinensischen Vaters hatte das Freedom Theatre gegründet, um mit künstlerischen Mitteln, Stellung gegen Gewalt und Missstände im Nahen Osten zu beziehen – und zwar nicht nur gegen die von der israelischen Besatzungsmacht ausgeübte, sondern auch gegen die radikaler Palästinenser und ihrer oft korrupten Regierung. Noch vor seinem Tod, der nie aufgeklärt wurde, begannen die Dreharbeiten an einem Film über Mer-Khamis und sein Freedom Theatre, der nach seiner Ermordung in anderer Form weitergeführt wurde. Der von Udi Aloni, Batoul Taleb, Mariam Abu Khaled & Adi Golan gedrehte „Art/Violence“ ist dabei weder klassische Dokumentation noch biographischer Film, sondern ein bunter Stilmix: Interviews, Animationssequenzen und Ausschnitte aus Theaterstücken werden zu einem emotionalen Film verbunden, der vor allem Erinnerung an einen verstorbenen Freund ist.

    In gewisser Weise ist „Art/Violence“ das Making Of eines Films, der nie zustande kam. Im April 2011 befanden sich Juliano Mer-Khamis und Schauspieler seines Theaters bei der Arbeit an einem Film, der „Antigone in Jenin“ heißen und den antiken Mythos von Antigone in ein palästinensisches Flüchtlingslager übertragen sollte. Als Ergebnis war ganz sicher kein klassischer Kinofilm anvisiert, sondern eine essayistische Überlegung, die neben dem Stück auch eine Reflexion über die schwierige Situation der Flüchtlinge und ihr Verhältnis zu Israel und den Israelis bietet. Nicht zuletzt war es quasi als „friedliche Bombe“ gedacht: Nicht mit Waffen sollte gegen die Missstände in Jenin gekämpft werden, sondern mit Kunst.

    Dieser friedliche Ansatz, der sich nicht nur gegen die oft unmenschlichen Handlungen Israels richtete, sondern dezidiert auch gegen radikale Palästinenser, die im bewaffneten Kampf den einzigen Ausweg sehen, hat Mer-Khamis zu einer ungewöhnlichen Figur gemacht und fraglos auch zu seiner Ermordung beigetragen. Wie schwer sein friedlicher Ansatz allerdings zu verfolgen ist, zeigt auch dieser Film. Während Mer-Khamis anfangs als Apostel des Friedens zu hören ist, sieht man später immer wieder Ausschnitte aus Konzerten oder anderen Veranstaltungen, wo in typisch einseitiger Manier gegen die Zionisten gewettert wird, die ja allein Schuld an allem Übel seien.

    Zwar spielt die Politik zwangsläufig eine Rolle in „Art/Violence“, doch der Schwerpunkt liegt auf dem Theater. Neben Ausschnitten aus dem geplanten „Antigone“-Film, sind Szenen einer „Alice im Wunderland“-Produktion zu sehen, die auf den Straßen des Flüchtlingslagers stattfand. Dazu gibt es auch noch Szenen aus „While Waiting“, einer prägnanten Variation von Samuel Becketts „Warten auf Godot“. Gerade die Wahl dieses lakonischen Stücks, in dem die Protagonisten mit unerschütterlicher Geduld auf das Erscheinen eines Mannes warten, der nie kommt, passt dabei perfekt zur Situation der Palästinenser, aber auch zur Haltung Mer-Khamis. Ob allerdings Kunst und Theater tatsächlich einen der festgefahrensten Konflikte der Welt lösen können? Die Zukunft wird es zeigen.

    Fazit: In ihrem lose strukturierten Film „Art/Violence” geben die Regisseure Udi Aloni, Batoul Taleb, Mariam Abu Khaled & Adi Golan interessante Einblicke in das Leben im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin und setzen gleichzeitig ihrem ermordeten Freund und Kollegen Juliano Mer-Khamis ein Denkmal.

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