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    Wir die Wand
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Wir die Wand
    Von Michael Meyns

    So legendär wie die „Kop“ im Stadion des FC Liverpool, wird sie wohl nicht mehr werden, doch die Südtribüne im Dortmunder Stadion erzählt eigene Geschichten. Von Dortmunder Fans nur „Die Süd“ oder etwas martialischer „Die Wand“ genannt, fasst die Tribüne fast 25.000 Zuschauer und ist damit die größte Stehplatztribüne Europas. Was die Menschen umtreibt, die sich hier alle zwei Wochen bei Spielen der Dortmunder Borussia die Beine in den Leib stehen und die Kehle heiser brüllen, darum geht es in Klaus Martens Dokumentation „Wir die Wand.“ Was seine Interviewpartner über Zusammengehörigkeitsgefühl und Überbrückung von Klassenunterschieden zu sagen haben, ist zwar eher banal, einen Eindruck von der Faszination Fußball im Ruhgebiet liefert die Dokumentation dennoch.

    Gedreht hat Klaus Martens seinen Film am 20. April 2013, bei einem Bundesligaspiel von Borussia Dortmund gegen den FSV Mainz 05. Für die Dortmunder war diese Partie das erste Heimspiel nach dem schon legendären Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen FC Malaga, dass erst in der Nachspielzeit gewonnen wurde. Warum also so ein völlig unbedeutendes Bundesliga-Spiel zeigen und keinen potentiellen Klassiker? Die Antwort ist einfach und deutet zudem an, warum „Die Wand“ inzwischen fast einzigartig ist: Während bei internationalen Partien nur noch Sitzplätze erlaubt sind, darf in der Bundesliga noch gestanden werden.

    Und das tun bei jedem Heimspiel exakt 24.454 Fans des BVB, was – nur zum Vergleich – mehr ist, als ins gesamte Stadion von Freiburg oder Braunschweig passen. Eine bunte Mischung quer durch alle Alters- und Fanschichten lässt Martens zu Wort kommen, darunter einen Anheizer der Ultras, einen Fahnenschwenker, einen türkischen Ordner oder auch ältere Herrschaften, die sich noch an die Jahre der Erfolglosigkeit erinnern können. Neben diesen fast schon stereotypen Vertretern der Arbeiterklasse des Ruhrgebiets mit teils eher banalen Statements kommt zudem ein Mathematik-Professor zu Wort, der sich keine Illusion darüber macht, dass das Zusammenhaltsgefühl während eines Spiels mit Abpfiff wieder vorbei ist. Interessantere Gesprächspartner sich auch noch ein Mitglied des Fanclubs „Rainbow-Borussen“, der sich gegen Homophobie im Fußball einsetzt, und eine junge Prostituierte, die seit Kindertagen BVB-Fan ist und unbesorgt zu Heimspielen geht, denn zu dieser Zeit geht kein Dortmunder ins Bordell…

    Der Blick der Kamera bleibt während der exakt 90 Minuten des Films konsequent auf die Tribüne gerichtet. Spielszenen erahnt man höchstens einmal auf einer großen Videowand oder dem kleinen Monitor, auf dem Stadionsprecher Norbert Dickel Wiederholungen anschaut und kommentiert. Nur die Reaktion ist also zu sehen, die Gesänge der Massen, der Aufschrei, nach einer vergebenen Chance, der Jubel nach einem Tor. Das hört sich in der Form zwar ähnlich radikal an wie das Konzept der berühmten Spieler-Dokumentationen „Fußball wie noch nie“ und „Zidane - Ein Porträt im 21. Jahrhundert“, in denen 90 Minuten lang die Kameras auf genau einem Spieler, George Best bzw. Zinédine Zidane, gerichtet blieben, doch im Fall von „Wir die Wand“ ist das Ergebnis – auch wegen der doku-üblichen Intervieweinschübe - deutlich konventioneller.

    Auf künstlerische Überhöhung und Herausstellung von Pathos verzichtet Martens zwar völlig, aber auch auf jegliche Einordnung seiner Bilder: Ob gegnerische Spieler als „Arschlöcher“, „Hurensöhne“ oder „Fotzen“ beschimpft werden, die eigene Mannschaft mit Variationen bekannter Songs angefeuert wird oder Tausendschaften hüpfen und das Stadion zum Beben bringen – In Martens Blick ist alles gleich und allein dadurch für den Regisseur bemerkenswert, weil es eben auf „Der Wand“ passiert. So bleibt „Wir die Wand“ eine schöne Idee, die aber höchst konventionell umgesetzt wurde. Die Dokumentation bietet zwar einige interessante Einblicke in das Dortmunder Fanwesen, verdeutlicht aber vor allem, dass selbst bei einem durchschnittlichen Dortmunder Bundesligaspiel zehntausende Menschen mit ihrer Mannschaft mitfiebern als hinge ihr Leben davon ab.

    Fazit: Klaus Martens Dokumentarfilm „Wir die Wand“ ist das Porträt einer Stehplatztribüne und eine Hommage an den Erfolg des Dortmunder Fußballs. Mehr allerdings auch nicht…

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