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    Across the River
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Across the River
    Von Tim Slagman

    Das italienische Genrekino kann auf eine geradezu legendäre, im Europa der Nachkriegszeit womöglich einzigartige Tradition zurückblicken. Der vor allem zwischen den späten 60er- und den 80er-Jahren äußerst vielfältige Output an Horrorstoffen reicht von den psychedelischen Fantasien eines Lucio Fulci, Mario Bava oder Dario Argento bis hin zum Spaghetti-Splatter, jenen billig heruntergekurbelten Filmchen, mit denen man versuchte im Fahrwasser von George Romeros Klassiker „Dawn of the Dead“ von 1978 zu schwimmen. Lorenzo Bianchini, der Regisseur von „Across the River“, zählt all diese Filmemacher zu seinen Inspirationen. Seine Low-Budget-Produktion ist eine in vielerlei Hinsicht düstere Arbeit geworden, und Bianchini hat seine begrenzten Mittel mit großer Stilsicherheit und offensichtlicher Hingabe an sein Genre eingesetzt. Dabei ist ihm ein richtig guter Horrorfilm gelungen.

    Ein Naturforscher (Marco Marchese) begibt sich mit dem Wohnmobil in ein entlegenes Waldstück, um dort die Wildtiere zu beobachten und eine regelmäßige Zählung durchzuführen. Er montiert Überwachungskameras an den Bäumen und stellt eine Falle auf. Ersten Merkwürdigkeiten, wie einem rosafarbenen Kleid, das von einem Bach mitgerissen wurde, oder einem Schreien in der Nacht, schenkt er noch wenig Beachtung. Als ihm ein Fuchs in die Falle geht, versieht er das Tier mit einer weiteren Kamera. Der Fuchs führt ihn in eine verlassene Siedlung, jenseits des Flusses, wo augenscheinlich ein Raubtier sein Unwesen treibt. Und dann beginnt der Regen, der immer stärker wird und den Fluss irgendwann so stark anschwellen lässt, dass dem Mann die Rückkehr aus dem entdeckten Dorf verwehrt bleibt. Er muss sich einem grausigen Geheimnis stellen.

    Man sollte schon ziemlich genau hinschauen, um die angeblichen Einflüsse etwa von Dario Argentos „Giallo“-Thrillern wie „Suspiria“ bei Lorenzo Bianchini zu erkennen. Seine Motive sind durch und durch amerikanisch: Da sind etwa die grobkörnigen Bildern der Überwachungskamera, die den Film eröffnen und selbstverständlich an „Blair Witch Project“ erinnern, und die Fahrt über eine kurvige Hangstraße in den Wald, die ein wenig zu deutlich an Stanley Kubricks „Shining“ angelehnt ist, als dass dies Zufall sein könnte. Und überhaupt: der Wald als mystischer Ort - funktioniert das in einem so  durchweg zivilisierten Kontinent wie Europa?

    Ja – weil Bianchini seinen diegetischen Raum klug beschränkt und immer kammerspielartiger werden lässt, von der Weite des Waldes bis in die Schlafkammern eines scheinbar verlassenen Hauses, das so fluchtartig geräumt wurde, dass die Alltagsgegenstände noch immer wüst durcheinander gewürfelt herumliegen. Es funktioniert, weil der Regisseur die Eskalation auf sehr, sehr leisen Sohlen voranschreiten lässt, sie an Kleinigkeiten festmacht, z. B. an Objekten wie einem Büschel Haare, an Miniaturen von Bewegung wie einem Kreidestrich auf einer Tafel, dem Tropfen des Wassers in ein Glas, immer und immer wieder. Vor allem geht das Konzept aber auf, weil Bianchini den Blick auf das Grauen sehr lange und sehr bewusst verweigert.

    Zur bemerkenswert beklemmenden Atmosphäre trägt gerade auch die Zurückhaltung des Sounddesigns bei. Lautes Knallen und Krachen ist der einfachste wie banalste Weg, einen plötzlichen Schock beim Zuschauer auszulösen – nicht so hier. Stefano Sciascia legt die Filmmusik als ein langsam waberndes, wummerndes Unbehagen unter die Bilder, treibt die Töne dann wieder in lang gezogene, klagende Höhen. Einflüsse von der Kirchenmusik bis zum Kinderlied dienen ihm als Marker des Bösen in der perversen Welt des Horrors.

    Sicher: Manches in „Across the River“ ist geradezu amateurhaft geraten. So etwa die Szenen im Haus eines alten Ehepaars, wo ein miserabel synchronisierter Mann an die Hintergrundgeschichte zu den unheimlichen Geschehnissen erinnert. Hierin zeigt sich nicht nur das geringe Budget der Filmemacher, sondern auch des kleinen deutschen Verleihs Drop-Out Cinema, der mit dieser Arbeit sein neues Label „Cinema Obscure“ eröffnet. Und so richtig auf innere Logik sollte man das Drehbuch auch nicht abklopfen. Aber die ist ohnehin sekundär beim Entwerfen von Seelenlandschaften, wie sie dann doch in Anlehnung an Vorbilder wie Dario Argento sich vor dem Zuschauer ausbreiten. Bianchini lässt das Übernatürliche in die physische Welt tropfen und das gelingt ihm hervorragend.

    Fazit: Die sorgsam gestaltete und allmählich eskalierende Atmosphäre – unter weitgehendem Verzicht auf Schockeffekte – macht „Across the River“ zu einem absolut sehenswerten Horrorfilm.

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