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    Kathedralen der Kultur
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Kathedralen der Kultur
    Von Michael Meyns

    Als „3D-Film-Projekt über die Seele von Bauwerken“ wird die Gemeinschaftsproduktion „Kathedralen der Kultur“ in der offiziellen Pressemitteilung bezeichnet, was ebenso vielversprechend wie hochtrabend wirkt. Sechs Regisseure, darunter Wim Wenders („Paris, Texas“), Michael Glawogger („Whore's Glory“) und Robert Redford („Von Löwen und Lämmern“), haben für dieses Projekt sechs markante Bauwerke porträtiert, ihre Architektur, vor allem aber ihre Bedeutung, ihre Funktion, ihre Ausstrahlung. Dabei werden sechs ganz unterschiedliche Ansätze verfolgt, die zusammen einen spannenden Einblick in die Vielfalt der Baukultur geben.

    Den Anfang macht Wim Wenders, dessen Produktionsfirma Neue Road Movies auch Initiator und Koordinator des Projekts war. Wenders beschäftigt sich mit der Berliner Philharmonie, direkt am Potsdamer Platz, wo sein berühmter Film „Der Himmel über Berlin“ spielt. Mehr als bei den anderen Beiträgen steht hier die Architektur Hans Scharouns im Mittelpunkt, der Anfang der 60er Jahre einen bahnbrechenden Konzertsaal baute, der den Dirigenten in den Mittelpunkt des Gebäudes stellt. Dazu gibt es viele Informationen über Berlin, die Philharmoniker und den Einfluss des Gebäudes. Vorgetragen werden diese von Schauspielerin Meret Becker („Feuchtgebiete“) – in einer unglücklichsten Entscheidung des gesamten Projektes: Ihr, die einzelnen Episoden begleitender Voice-Over-Kommentar ist aus der Perspektive des jeweiligen Gebäudes erzählt, so als könnten die Wände sprechen.

    Nur Michael Glawogger verweigert sich diesem Konzept und schafft damit nicht ganz zufällig die beste Episode. In seinem Beitrag über die russische Nationalbibliothek in St. Petersburg verwendet er ausschließlich Zitate russischer Literaturklassiker – von Gogol bis Dostojewski – und der Bibel. Dazu gibt es lange Fahrten durch die verwinkelten Gänge der Bibliothek, Blicke auf abertausende Bücher, nicht zuletzt prachtvolle religiöse Werke. Weiter geht es mit einer ungewöhnlichen Kathedrale der Kultur: Der Haftanstalt Halden, einem der größten Gefängnisse in Norwegen. Der Däne Michael Madsen („Himmelsnacht“) zeigt es als Musterbeispiel für Resozialisierung: Von Fitnessräumen über Werkstätten bis zu abgetrennten Wohnungen für ein Familientreffen finden sich hier alle Merkmale eines liberalen Strafvollzugs, wie in Michel Foucault in seinem essentiellen Buch „Überwachen und Strafen“ beschreibt, aus dem ein Zitat der Episode voransteht.

    Robert Redford porträtiert in seinem Beitrag das Salk Institute im kalifornischen San Diego, das der Virologe Jonas Salk – berühmt für die Entdeckung eines Impfstoffes gegen Polio – bauen ließ, um Wissenschaftlern aus aller Welt ideale Möglichkeiten zur Forschung zu geben. Weiter geht es mit dem Opernhaus von Oslo, einem kühnen Entwurf, der seit 2008 zum Treffpunkt der Stadt geworden ist. Margreth Olin („Nowhere Home“) skizziert dabei weniger die Architektur als die Künstler, die im Inneren arbeiten: Balletttänzer, Opernsänger, aber auch viele Kindergruppen. Den Abschluss des Films bildet das Porträt des Centre Pompidou in Paris von Karim Ainouz („Stand der Zukunft“). Der Regisseur beleuchtet das staatliche Kunst- und Kulturzentrum, das Ende der 70er Jahre wie ein Fremdkörper Mitten in die Stadt gesetzt wurde und längst zu einem Publikumsmagneten für Pariser und Touristen geworden ist.

    Das über zweieinhalb Stunden lange, durchaus ambitionierte Projekt, welches von Wim Wenders angeschoben wurde, besticht vor allem durch seine Vielfalt. Die Macher wählten zum einen nicht nur offensichtliche Gebäude wie bekannte Museen oder Opernhäuser aus, sondern beweisen mit der Aufnahme eines Gefängnisses und eines Bio-Labors schon hier sehr hohe Diversität. Ebenso vielfältig ist der Ansatz der sechs Regisseure, die teils ganz klassische Dokumentarfilme abliefern (vor allem Redfords Episode ist hier zu nennen), sich teils etwas in poetischer Überhöhung verlieren (z.B. Olins Spiel mit Pantomimen und Tänzern), aber dabei doch immer interessant bleiben und einen ganz eigenen Blick auf das jeweilige Sujet liefern.

    Die große Begeisterung, mit der alle Regisseure scheinbar zugange waren, überträgt sich dabei auf den Zuschauer und macht viele der Schwächen wett. So hätte man auf den befremdlichen Einfall, die Gebäude quasi „sprechen“ zu lassen, gut und gerne verzichten können. Auch die dritte Dimension wird bei weitem nicht so gut eingesetzt wie z.B. in „Pina - tanzt, tanzt sonst sind wir verloren“ von Wim Wenders, so dass der 3D-Effekt eher verpufft. So faszinieren besonders die Einblicke hinter die Kulissen der Gebäude. Am rundesten und damit am gelungensten ist die Episode von Michael Glawogger: Der Österreicher verweigert sich – im Gegensatz zu seinem Kollegen Wenders z.B. jeglichem Kitsch, verzichtet auf pragmatische Informationen und lässt einfach die Bilder vom unermesslichen Wissensschatz tausender Bücher sprechen und verstärkt dies nur durch prägnante Literaturzitate. Auch wenn die anderen Episoden dagegen etwas abfallen, ist der Blick auf sechs „Kathedralen der Kultur“ sehenswert.

    Fazit: Sechs internationale Regisseure porträtieren in „Kathedralen der Kultur“ mit unterschiedlichen Ansätzen und Schwerpunkten sechs architektonisch bedeutende Gebäude. Eine spannende Reise in die Welt des Wissens und der Kultur.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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