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    Tatort: Eine Frage des Gewissens
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tatort: Eine Frage des Gewissens
    Von Lars-Christian Daniels

    Wer regelmäßig den „Tatort“ einschaltet, der weiß: Egal ob der Staatsanwalt Druck macht, das LKA aufgrund politischer Verwicklungen mal wieder die Ermittlungen ausbremsen will oder die Dinge privat aus dem Ruder laufen – wenn es hart auf hart kommt, dann halten die Kommissare immer zusammen. Für das TV-Publikum sind sie schließlich die Identifikationsfiguren – und wenn sich die Ermittler wie in Münster, Wien oder Dortmund regelmäßig streiten, dann dient das in erster Linie der Charakterzeichnung (und der besseren Unterhaltung). In Till Endemanns „Tatort: Eine Frage des Gewissens“ prägt die Frage nach den Grenzen kollegialer Loyalität sogar den gesamten Krimi: Der Stuttgarter Hauptkommissar Thorsten Lannert wird nach einem tödlichen Schuss bei der späteren Anhörung von seinem langjährigen Kollegen Sebastian Bootz entlastet, obwohl dieser die Tat gar nicht gesehen hat. Das Ergebnis ist ein spannender, am Ende aber allzu konstruierter Justizkrimi, in dem Hauptdarsteller Felix Klare als abgehalfterter Kommissar Bootz so gefordert wird wie noch nie im Stuttgarter „Tatort“.

    Der unter Drogen stehende Holm Bielfeldt (Daniel Christensen) nimmt bei einem Supermarktüberfall eine Geisel und droht, sie zu erschießen. Während Hauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) den Kriminellen in Schach hält, bringt sein Kollege Sebastian Bootz (Felix Klare) die unbeteiligten Supermarktkunden aus der Schusslinie. Als der sich mit der jungen Alice Gebauer (Luise Berndt) in Deckung wirft, fällt plötzlich ein Schuss: Er stammt aus Lannerts Waffe und trifft den Geiselnehmer tödlich. Rettungsschuss oder Kurzschlussreaktion? Lannert muss sich vor Oberstaatsanwalt Blesinger (Holger Kunkel) verantworten und sieht sich bei der Anhörung schweren Vorwürfen ausgesetzt: Der Täter war zwar unberechenbar und das Leben der Geisel in Gefahr, doch die Mutter des Toten (Gisela Straehle) hat das stadtbekannte Rechtsanwaltspaar Christian (Michael Rotschopf) und Sabine Pflüger (Caroline Ebner) engagiert, das Lannert wegen fahrlässiger Tötung zur Rechenschaft ziehen will. Dem  Kommissar kommt es gelegen, dass sein langjähriger Partner Bootz ihn mit seiner Aussage entlastet. Doch der labil wirkende Polizist, der seinen Feierabend immer häufiger in seiner Stuttgarter Stammkneipe verbringt, hat den Schuss aus seiner Perspektive gar nicht sehen können...

    Wenn der „Tatort“ im Gerichtssaal spielt, dann kommt mitunter Großartiges dabei heraus: Der Münchner „Tatort: Nie wieder frei sein“, in dem eine gewiefte Rechtsanwältin (Lisa Wagner) die Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) mit advokatischen Winkelzügen zur Verzweiflung brachte, prangerte die Schwächen des deutschen Rechtsstaats schonungslos an und gilt bei vielen Fans bis heute als eine der besten Folgen der Krimireihe. Auch der Einstieg in den 923. „Tatort“ ist ein Volltreffer: Direkt nach dem berühmten Fadenkreuz-Vorspann findet sich der Zuschauer in einem packenden Geiselnahme-Szenario wieder, das der erfahrene TV-Kameramann Jürgen Carle („Am Ende des Tages“) in authentisch-bewegten Handkamerabildern einfängt. So hektisch und unübersichtlich die Geiselnahme im Supermarkt ist, so klar verteilt sind später die Rollen im Gerichtssaal: Auf der einen Seite sitzen die nervösen Kommissare, auf der anderen Seite lauert der bissige Rechtsanwalt Pflüger auf ihre Fehler. Dessen Profilierungssucht soll beim Zuschauer Antipathie schüren, obwohl der Jurist mit dem Zweifel an Bootz‘ Aussage ja keineswegs im Unrecht ist – hier zeigt sich einmal mehr, wie schwer es einige Berufsgruppen seit jeher in der „Tatort“-Reihe haben (Journalisten übrigens auch).

    Aus „Eine Frage des Gewissens“ hätte ein richtig starker „Tatort“ werden können, wenn die vielfach krimierprobten Drehbuchautoren Sönke Lars Neuwöhner („Hinter Kaifeck“) und Sven Poser („Bissige Hunde“) ihre Geschichte nach dem hochspannenden Auftakt nicht unnötig aufgeblasen hätten. Die wenig wasserdichte Aussage und die familiäre Situation des abgehalfterten Hauptkommissars bieten spätestens nach dem Fund der obligatorischen zweiten „Tatort“-Leiche genug Stoff für ein mitreißendes Justizdrama – schließlich steht das Zeugnis des von Frau und Kindern verlassenen Ex-Familienvaters auf denkbar tönernen Füßen. Statt aber die Frage, wie weit Loyalität unter Freuden und Kollegen reichen darf, konsequent zuzuspitzen, setzen die Filmemacher auf abgegriffene Krimimuster: Schnell ist klar, dass der Geiselnehmer nicht der einzige Kriminelle im Supermarkt war, und so hat Assistentin Nika Banovic (Mimi Fiedler) im Präsidium schon bald alle Hände voll zu tun. Warum Staatsanwältin Emilia Alvarez (Carolina Vera), die als Juristin zwischen allen Stühlen sitzt, allerdings Bootz in den vorübergehenden Zwangsurlaub schickt, erschließt sich nur bedingt – schließlich ist es Lannert, der sich wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht verantworten muss (und fröhlich in der Tübinger Hausbesetzer-Szene weiterermittelt).

    Die größte Schwäche der 923. „Tatort“-Ausgabe ist aber das Schlussdrittel, in dem die Filmemacher noch eine völlig überflüssige Vergewaltigungsgeschichte in den Plot hämmern: Das bietet zwar die Gelegenheit für einen knackigen Twist, wirkt durch die plumpe Vorbereitung und das rasche Aufdecken aber vollkommen konstruiert. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen, wenngleich insgesamt die positiven Aspekte überwiegen: Hauptdarsteller Felix Klare bekommt bei seinem 15. „Tatort“-Einsatz endlich Gelegenheit, sich vom sauberen Schwiegersohn-Image zu emanzipieren und seinem in die Alkoholsucht abdriftenden, randalierenden Kommissar nachdrücklich Profil zu verleihen, auch wenn er in einigen Szenen etwas dick aufträgt. Schauspielerisch wird Klare vor allem bei Telefongesprächen mit den verreisten Kindern, dem einsamen Erwachen in der verwahrlosten Wohnung oder den Trunkenheitsszenen in der Stammkneipe gefordert. Auch die Beziehung zwischen Lannert und Bootz wird durch die unüberlegte Falschaussage in ihren Grundfesten erschüttert. Das tut dem sonst meist unspektakulär agierenden Ermittlerduo gut und treibt die Kriminalhandlung voran, statt sie auszubremsen, wie es private Nebenhandlungen im „Tatort“ sonst so oft tun.

    Fazit: Spannender Justizkrimi mit Drehbuchschwächen – Till Endemann liefert mit seinem „Tatort: Eine Frage des Gewissens“ solide Sonntagabendunterhaltung. Für Fans der Stuttgarter Kommissare ist der Film ein Pflichttermin.

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