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    Familie zu vermieten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Familie zu vermieten
    Von Jörg Brandes

    So wie es Filme über echte Familien und Ersatzfamilien gibt, gibt es auch welche über Scheinfamilien. Meist geht es darin um die Bildung einer Zweckgemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen, die Entstehung tatsächlicher Gefühle von Zuneigung und Zusammengehörigkeit nicht ausgeschlossen. Zwei Beispiele dafür aus jüngerer Zeit sind „Wir sind die Millers“ mit Jennifer Aniston und der Goldene-Palme-Gewinner „Dämonen und Wunder – Dheepan“. Ging es in Rawson Marshall Thurbers Komödie, in der sich ein glückloser Drogendealer mit vermeintlichen Angehörigen tarnt, um leichter Marihuana von Mexiko in die USA schmuggeln zu können, recht ausgelassen zu, war Jacques Audiards Drama um einen ehemaligen tamilischen Kämpfer, der sich mit einer Frau und einem Waisenmädchen zusammentut, um seine Chance auf Asyl in Frankreich zu erhöhen, deutlich sozialrealistischer und düsterer angelegt. Jean-Pierre Améris’ „Familie zu vermieten“ steht stimmungsmäßig den Millers näher, allerdings werden auch ein paar ernstere Töne angeschlagen – was der Komödie mit ihrer vor allem im letzten Akt absehbaren Handlungsentwicklung sehr zugute kommt.

    Als die beim Diebstahl ertappte Violette (Virginie Efira) einen Wachmann mit dem geklauten Tiefkühl-Huhn k. o. schlägt, wird auch im TV darüber berichtet. Vor der Kamera nutzt die Mundräuberin die Gelegenheit, ihre desolate finanzielle Lage zu schildern. Das sieht und hört auch Paul-André (Benoît Poelvoorde), der wiederum über einen Mangel an Geld kaum klagen kann. Der gutbetuchte Mittvierziger hält die Zeit für reif, eine Familie zu gründen. Aber Pedant, der er ist, will er das lieber erst ausprobieren. Und so schickt er seinen Butler Léon (François Morel) mit einem entsprechenden Angebot zu Violette, die das Sorgerecht für ihre von verschiedenen Vätern stammenden Kinder zu verlieren droht. Schließlich unterzeichnet sie einen Drei-Monats-Vertrag: Paul-André kommt für ihre Schulden auf und zieht bei ihr ein. Aber ihr Sohn Auguste (Calixte Broisin-Doutaz) und ihre Tochter Lucie (Pauline Serieys) dürfen von dem Deal nichts wissen. Schnell stellt der Junggeselle fest, dass er für ein stressiges Familienleben schlecht gewappnet ist...

    Der Film, für den Regisseur Jean-Pierre Améris („Die Anonymen Romantiker“) zusammen mit Murielle Magellan auch das Drehbuch schrieb, weist einige unübersehbare Parallelen zu Éric Besnards leicht märchenhaftem Feelgood-Movie „Birnenkuchen mit Lavendel“ auf, das nur wenige Wochen vor „Familie zu vermieten“ recht erfolgreich in unseren Programmkinos angelaufen ist. Hier wie dort muss sich eine eher praktisch denkende alleinerziehende zweifache Mutter mit einem verschrobenen Mann auseinandersetzen. Dabei nehmen die Geschichten nicht nur einen ähnlichen Verlauf, in beiden Fällen spielt auch noch Virginie Efira („Elle“) die weibliche Hauptrolle. Insbesondere letzteres ist allerdings kein Nachteil – schon allein weil die aparte belgische Aktrice ihre vorherige Filmfigur nicht einfach kopiert. Vielmehr lässt sie sich nuanciert auf ihren neuen Part ein, der es etwa erfordert, Violette eine leicht schlampige Aura zu verleihen.

    Zudem bricht der Regisseur häufiger aus dem bequemen Wohlfühl-Modus aus. So tritt der von Benoît Poelvoorde („Saint Amour“, „Das brandneue Testament“) schön sperrig gespielte Paul-André zuweilen unangenehm herrisch auf. Der schwierige Millionär mit seiner ständigen Nervosität ist fast bis zuletzt ein Stachel im Fleisch dieser Romantikkomödie. Bezeichnend ist auch eine Picknick-Szene, in der sich Verwandte von Violette mal wieder kaum verhohlen über deren Schwächen lustig machen – und die Stimmung kippt, als Paul-André diesen Umgang mit seiner Vertragspartnerin, die die Rolle des schwarzen Schafs längst verinnerlicht hat, heftig kritisiert. Nicht nur in dieser Sequenz sagt der Film viel Wahres über familiäre Realitäten aus. Doch auch der Humor kommt nicht zu kurz: Wenn sich das Pseudo-Paar auf Lucies Frage hin, wer denn nun wen angebaggert hätte, fast verschwindelt, oder der zutrauliche Auguste zu Paul-André unter die Decke krabbeln will und in die Lücke zwischen den Betten plumpst, die da eigentlich nicht sein sollte, sind Lacher garantiert.

    Fazit: Auch Jean-Pierre Améris erfindet die romantische Komödie nicht grundsätzlich neu. Er setzt aber etliche Widerhaken, die seinen Film positiv vom Genre-Einerlei abheben.

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