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    Härte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Härte
    Von Christoph Petersen

    Heute trainiert Andreas Marquardt in Berlin Kinder im Kampfsport und setzt sich gegen den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen ein. Aber der ehemalige Karate-Weltmeister war nicht immer derart vorbildhaft: Als Säugling vom Vater zum Sterben auf dem Balkon ausgesetzt, von der Mutter jahrelang sexuell missbraucht, wurde er später zum millionenschweren Zuhälter und saß schließlich eine achtjährige Haftstraße ab. Nun hat sich mit Rosa von Praunheim ein Filmemacher dieser unglaublichen Lebensgeschichte angenommen, der für trashige Komödien wie „Die Bettwurst“ ebenso bekannt ist wie für provokante Dokumentationen wie „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Und in seinem Panorama-Beitrag „Härte“ (mit insgesamt 24 Filmen im Berlinale-Programm ist Praunheim alleiniger Rekordhalter) bringt der Regisseur diese beiden Sensibilitäten nun kongenial zusammen: In einer Mischung aus Sprechende-Köpfe-Doku und experimentellen nachgespielten Szenen kommt Praunheim seinem umstrittenen Protagonisten nah, ohne dabei über ihn zu richten.

    Andreas Marquardt hat schon 2006 in seiner Autobiografie „Härte: Mein Weg aus dem Teufelskreis der Gewalt“ mit bemerkenswerter Offenheit davon berichtet, was er getan hat und was ihm angetan wurde. Trotzdem klingt vieles davon so krass-absurd, dass Praunheim in seinen schwarz-weißen Rückblenden genau den passenden Ton trifft, wenn er seine Darsteller wie Hanno Koffler (als Marquardt selbst) und Katty Karrenbauer (genial als seine übersexualisierte, sinnlich Dildos einschmierende Mutter) in reduziert-theaterhaften Sets bis ins Trashige überhöhte Dialoge aufsagen lässt: Das wirkt mitunter fast wie die das beschissene Leben der Anti-Heldin schildernden Sitcom-Szenen aus Oliver Stones „Natural Born Killers“, nur eben ohne die Lachkonserven aus dem Off. Dabei wäre es vielen anderen Filmemachern sicher sehr schwer gefallen, nicht ihren eigenen Senf zu den Erzählungen dazuzugeben, etwa wenn Marquards heutige Frau Marion, die damals auch für ihn angeschafft hat, solchen Tobak wie diesen verzapft: „Natürlich hatte ich damals Angst, aber es hatte ja alles seinen Sinn und war okay.“ Doch Praunheim kann sich nur ein einziges Mal nicht beherrschen: Während Marquardt aus dem Off davon erzählt, wie anstrengend es doch war, all die für ihn anschaffenden Mädchen zu managen, zeigt der Regisseur Bilder davon, wie es sich der Zuhälter im Freibad auf einer Liege bequem macht.

    Fazit: Experimentelles Doku-Drama mit einem Protagonisten, den als „faszinierend“ zu bezeichnen eine ziemliche Untertreibung wäre.

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