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    Being and Becoming
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Being and Becoming
    Von Christian Horn

    Ab dem 16. Jahrhundert installierten einzelne Kleinstaaten im damaligen deutschen „Flickenteppich“ die Schulpflicht, die 1919 in der Weimarer Verfassung schließlich einheitlich für ganz Deutschland festgeschrieben wurde und die seither gilt. In den meisten Ländern Europas besteht jedoch keine allgemeine Schulpflicht, sondern eine sogenannte „Unterrichtspflicht“ oder „Bildungspflicht“: Die Wissensvermittlung ist dort nicht an einen staatlich verordneten Schulbesuch gebunden, sondern liegt im Ermessen der Eltern. In ihrer Dokumentation „Being and Becoming“ plädiert die bisher als Schauspielerin und auch als Sängerin bekannte Französin Clara Bellar („Rendezvous in Paris“, „A.I. – Künstliche Intelligenz“) für den Ansatz, Kinder frei von schulischen Zwängen lernen zu lassen. Über Interviews mit Experten und Familien, die ihren Kindern Heimunterricht bieten, liefert „Being and Becoming“ einige lohnende Denkansätze. Insgesamt ist das Bild, das im Film vom sogenannten „Homeschooling“ gezeichnet wird, jedoch etwas tendenziös.

    Clara Bellar bereist für ihr Langfilmdebüt als Regisseurin die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien, wo sie ihre Protagonisten über das Lernen ohne Schulunterricht befragt. In Interviews kommen Experten wie die Buchautorin Naomi Aldort zu Wort, die für ein selbstbestimmtes Lernen votieren und dafür Begriffe wie „Homeschooling“, „autonomous learning“ oder „unschooling“ finden. Daneben zeigt Bellar einige Familien, die ihren Kindern außerhalb der staatlichen Schulen Wissen vermitteln. Ein subjektiv gefärbter Stützpfeiler der Dokumentation ist daneben Bellars persönliche Erfahrung mit dem „Homeschooling“: Als ihre eigenen Kinder ins schulpflichtige Alter kamen, pendelte die Schauspielerin mit ihrer Familie zwischen Rio, Paris und Los Angeles – und entschied sich für ein freies Lernen ihrer Kinder, das nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist.

    Clara Bellar gibt zwar keine definitiven Antworten, vermittelt durch die durchweg positive Darstellung des „Homeschooling“ allerdings ein etwas einseitiges Bild der Materie. Vor der Kamera kommen privilegierte Angehörige intakter Familien zu Wort, die sich eine Privatausbildung ihrer Kinder finanziell leisten können und die etwa als Akademiker meist auch in der Lage sind, ihre Sprösslinge persönlich zu unterrichten. Der Blick für das gesellschaftliche Gesamtbild bleibt indes außen vor. Ob das freie Lernen auch für weniger gebildete Eltern, Alleinerzieher mit zwei Jobs oder ärmere Familien funktionieren kann, ist nämlich durchaus fraglich. Letztlich bringt „Being and Becoming“ einige plausible Argumente für einen Wegfall der allgemeinen Schulpflicht auf den Tisch und bekräftigt die Thesen anhand von positiven Beispielen. Das bietet Diskussionsstoff für eine Debatte, aber für ein ausgewogenes Bild bedarf es weiterer Informationen.

    Fazit: In „Being and Becoming“ wird mit dem „Homeschooling“ eine Alternative zur staatlichen Schulpflicht betrachtet. Trotz der einseitigen Darstellung des Themas liefert der Film einige lehrreiche Denkansätze.

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