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    Tatort: Erkläre Chimäre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Erkläre Chimäre
    Von Lars-Christian Daniels

    Steht der „Tatort“ aus Münster nach 13 erfolgreichen Jahren womöglich vor dem Aus? In den vergangenen Monaten geisterten immer wieder entsprechende Meldungen durch den Blätterwald, doch die Fans dürfen aufatmen: Axel Prahl („Rico, Oskar und die Tieferschatten“) und Jan Josef Liefers („Da muss Mann durch“) denken gar nicht ans Aufhören und wollen noch bis mindestens Anfang 2017 als Hauptkommissar Frank Thiel und Professor Karl-Friedrich Boerne auf Täterfang gehen. Sogar ein eigener Kinofilm für die Quotenkönige der deutschen Krimi-Unterhaltung steht im Raum – und doch konnte der WDR die hartnäckigen Gerüchte, die beiden Schauspieler hätten ihre jüngste Vertragsverlängerung auch von der Zukunft ihrer Figuren abhängig gemacht, nicht ganz aus der Welt schaffen. Bei ihrem 27. Einsatz im „Tatort: Erkläre Chimäre“ von Regisseur Kaspar Heidelbach ist von einer Weiterentwicklung der Charaktere allerdings noch nichts zu spüren: Trotz der Beförderung von Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) zur Kommissarin geht in der Krimikomödie aus Westfalen alles seinen gewohnten Gang. Die seichte Geschichte ist gespickt mit Albernheiten und Zufällen, während die Spannung einmal mehr komplett auf der Strecke bleibt.

    Taxifahrerin Tine Haemmer (Angelika Bartsch) wird Zeugin einer Fahrerflucht: Ein Flaschensammler wird nachts von einem Auto angefahren, der Fahrer sucht das Weite. Haemmer informiert ihren alten Kumpel und Kollegen Herbert Thiel (Claus D. Clausnitzer), der mit seinem Taxi sofort seinen Sohn zum Tatort holt: Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) haben gerade auf die Beförderung von Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) angestoßen und torkeln betrunken aus einer Kneipe. Dem Angefahrenen messen sie vorerst keine große Bedeutung bei, doch schon bald findet man eine Leiche: In einer alten Schlachterei wird Luiz Benaso tot aufgefunden. Stehen die Taten in einem Zusammenhang? Einen Tag zuvor hatte sich der 25-jährige Brasilianer mit dem Taxi in eine Weinhandlung fahren lassen. Boerne bekommt derweil Besuch aus Amerika: Sein krebskranker Erbonkel Gustav von Elst (Christian Kohlund) kommt nach Münster. Als der von Benasos Tod erfährt, ist er geschockt: Er hatte eine Affäre mit dem Südamerikaner. Und offensichtlich hatte dieser der Weinhandlung von Isolde (Sunnyi Melles) und Ewald Schosser (Uwe Preuss) in Gustavs Namen sündhaft teuren Champagner zum Kauf angeboten...

    Wenn eine der starken Figuren ausstiege, würde ich ebenfalls einpacken“, gab Hauptdarsteller Jan Josef Liefers kurz vor der Erstausstrahlung von „Tatort: Erkläre Chimäre“ in einem Interview zu Protokoll – und traf bei den Fans der Krimireihe damit durchaus auf Verständnis. Das Traumduo Thiel und Boerne und die schräge Schar fester Nebenfiguren scheint nur in dieser Konstellation denkbar. Diesmal setzt der WDR aber noch einen drauf: Statt sich nur wie ein altes „Tatort“-Ehepaar zu zanken, dürfen Thiel und Boerne tatsächlich heiraten! Weil der Professor seinen homosexuellen Onkel beeindrucken möchte und der Kommissar nach einem lebensrettenden Luftröhrenschnitt in Boernes Schuld steht, spielen die beiden dem Gast aus Florida ein schwules Pärchen vor. Das sorgt für reichlich Situationskomik: Boerne scheint sich mit diesem absurden Arrangement etwas besser anfreunden zu können als der bedauernswerte Thiel, der wiederum jede Gelegenheit für kleine Sticheleien nutzt. Es sind die amüsantesten Szenen der Krimikomödie, in der die Spannung einmal mehr komplett hinter den mal mehr, mal weniger witzigen Drehbucheinfällen zurücksteht. Dass eigentlich der „Schlitzer von Münster“ gefasst werden soll, gerät immer wieder zur Nebensache.

    Ansonsten widmen sich Regisseur Kaspar Heidelbach („Berlin '36“) und das eingespielte Autorengespann Stefan Cantz und Jan Hinter, die bereits mehr als ein Dutzend Drehbücher für den „Tatort“ aus Münster schrieben, vielen Themen, die schon in den vergangenen Monaten in der Krimireihe eine Rolle spielten: Den qualvollen Bolustod kennt das Stammpublikum noch aus dem Hamburger „Tatort: Die Feigheit des Löwen“, teure alte Weine waren der Dreh- und Angelpunkt im Konstanzer „Tatort: Chateau Mort“, und die chemische Droge Crystal Meth brachte zuletzt die Kieler Kommissare im „Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel“ ins Schwitzen. Abgesehen von der kuriosen Scheinhochzeit und dem biologischen Phänomen Chimäre haben die Filmemacher wenig Neues zu erzählen. Ihr Kriminalfall entpuppt sich zudem als ziemlich unübersichtlich: Das Tatmotiv hätte zwar Stoff für eine ausführliche Aufarbeitung geboten, wird am Ende aber in ein paar knappen Sätzen nachgereicht. Der bis dato im Dunkeln bleibende Tathergang wird vor dem Abspann hingegen noch einmal ausführlich rekapituliert, damit noch fix alle offenen Fragen geklärt werden und man wieder zum offenbar deutlich wichtigeren Handlungsstrang – der folgenreichen Scheinheirat von Thiel und Boerne – übergehen kann.

    Neben solchen ausgefallenen Ideen hat der WDR neuerdings auch am Drehort Krankenhaus Gefallen gefunden: Während im vorigen „Tatort: Mord ist die beste Medizin“ Professor Boerne ans Krankenbett gefesselt war, lässt sich diesmal die kettenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) in der Klinik Bauch und Po straffen. Nadeshda Krusenstern wird nach einem Schlag auf ihr zartes Näschen natürlich ins selbe Zimmer eingeliefert, und auch der Weg des in der Folge dauerröchelnden Thiel führt nach dem einleitenden Luftröhrenschnitt des Professors direkt in dieselbe Klinik. Nur Assistentin Silke „Alberich“ Haller (Christine Urspruch) bleibt dieses Schicksal erspart: Die Filmemacher stecken die kleinwüchsige Assistentin stattdessen bei einer Feier in ein ziemlich witzloses Schneewittchen-Kostüm (Boerne: „Wo sind denn die sieben Zwerge? Also die anderen sechs?“). Eingefleischte Fans der „Tatort“-Folgen aus Münster werden aber auch an dieser Szene Gefallen finden – genau wie am Rest der Krimikomödie, die mit dem Prädikat „ganz nett“ treffend umschrieben ist.

    Fazit: Kaspar Heidelbachs „Tatort: Erkläre Chimäre“ ist ein typischer „Tatort“ aus Münster, bei dem Spannung und Logik hinter kurzweiligen Albernheiten und kuriosen Zufällen zurückstehen müssen.

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