Mein Konto
    Die Verführten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Verführten
    Von Christoph Petersen

    Während die erste Verfilmung von Thomas Cullinans Roman „The Beguiled“ 1971 noch als „Betrogen“ in die deutschen Kinos kam, heißt Sofia Coppolas Neuverfilmung nun „Die Verführten“ – und obwohl beide Varianten legitime Übersetzungen des englischen Wortes „Beguiled“ sind, bringen bereits die verschiedenen deutschen Titel auf den Punkt, worin der wesentliche Unterschied zwischen den Filmen besteht: Wo in „Betrogen“ von „Dirty Harry“-Regisseur Don Siegel noch alle Entwicklungen von dem verschlagenen Clint Eastwood ausgehen, der alle Frauen um sich herum für seine eigenen Zwecke auszunutzen versucht, ist sein Rollen-Nachfolger Colin Farrell („The Lobster“) nun kaum noch mehr als ein armes Würstchen, das gegen die „verführten“ Frauen nicht den Hauch einer Chance besitzt. Sofia Coppola liefert mit „Die Verführten“ die feministische Retourkutsche zum Eastwood’schen Macho-Kino. Allerdings nimmt die für „Lost In Translation“ mit dem Drehbuch-Oscar ausgezeichnete Regisseurin so nicht nur der männlichen Figur ihren Status als dominierender Protagonist, sondern der Handlung vor allem in der ersten Hälfte auch ihren Drive, bevor „Die Verführten“ zumindest auf der Zielgeraden noch mit reichlich rabenschwarzem Humor punktet.

    Drei Jahre nach dem Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs sind nur noch fünf Schülerinnen übrig, die am Mädcheninternat in Virginia Französisch, Nähen und die passenden Umgangsformen lernen. Abgeschottet von den Schrecken ihrer Umwelt führen sie hier unter Aufsicht der Schulleiterin Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und der Lehrerin Edwina Dabney (Kirsten Dunst) ein vergleichsweise behütetes Leben – zumindest bis die zwölfjährige Amy (Oona Laurence) beim Pilzesammeln auf den von seinem Regiment getrennten Nordstaaten-Korporal John McBurney (Colin Farrell) trifft und den schwerverletzen Soldaten mit zurück ins Internat schleppt. Zunächst will Miss Farnsworth den Feind sofort an die Armee übergeben – aber dann entscheidet sie sich doch dazu, den ungebetenen Gast erst einmal aufzupäppeln. Dabei wird schnell deutlich, dass Schülerinnen wie Lehrerinnen alle gleichermaßen ein Auge auf den attraktiven John geworfen haben…

    Schon nach der eröffnenden Lensflare-Einstellung durch die Wipfel der mit Louisianamoos behangenen Bäume Virginias ist klar – „Die Verführten“ wird ein Augenschmaus! Von der Kamera von Philippe Le Sour (Wong Kar-wais „The Grandmaster“) über die Kostüme bis hin zur Ausstattung – Coppola geizt nicht mit Schauwerten und kreiert einen ebenso wundervoll anzuschauenden wie Unheil verkündenden Gothic-Romance-Look. Aber die Masse an Schauwerten braucht es auch – denn die Verschiebung des erzählerischen Fokus weg von John hat eben auch zur Folge, dass in der ersten Hälfte des Films nicht sonderlich viel Aufregendes passiert: In „Betrogen“ war es einfach gute Genre-Unterhaltung, Eastwood dabei zuzusehen, wie er die Frauen gegeneinander ausspielt – sein John ist zwar ein richtiges Arschloch (in Rückblenden wird offenbart, dass er sich auch im Krieg schon nicht gerade heldenhaft benommen hat), aber zumindest hält er mit seinen verachtenswerten Täuschungsmanövern die Spannung hoch. Im Remake fällt dieses Element hingegen vollständig weg: Colin Farrell spielt statt einem Machoarsch nun einen attraktiven, höflichen, gutherzigen Soldaten, der so mit aller Konsequenz und ganz bewusst auf die Rolle einer charakterlosen Projektionsfläche weiblicher Begierden reduziert wird.  

    In „Betrogen“ gab Eastwood den klassischen verführerischen Teufel, der am Ende für seine Taten entsprechend und verdientermaßen bestraft wird – in „Die Verführten“ hat John hingegen nie eine echte Chance, etwas an seinem Schicksal zu ändern, dieses liegt allein in den Händen seiner Gastgeberinnen (was so ähnlich ja leider auch für 90 Prozent aller Frauenfiguren in Hollywoodfilmen gilt). Aber Coppola reduziert nicht nur die Rolle von John konsequent, auch die in „Betrogen“ noch viel ausführlicher beleuchteten Hintergrundgeschichten der einzelnen Frauen (etwa die inzestuöse Beziehung der Internatsleiterin zu ihrem verstorbenen Bruder) sind fast vollständig verschwunden. Individuelle Schicksale, abgrenzbare Persönlichkeiten, private Wünsche – ohne all das sind die Motivlagen der einzelnen Frauen nun kaum noch voneinander zu unterscheiden, weshalb es sich dann auch nicht so anfühlt, als würde der mit seinem verletzten Bein lange Zeit bewegungsunfähige Traummann von einer Gruppe einzelner Personen zur Strecke gebracht, sondern vielmehr vom weiblichen Geschlecht an sich: In einer Szene am Essenstisch wollen die Frauen John unbedingt jede von sich beeindrucken und erzählen ganz stolz, was sie zu dem Apfelkuchen beigetragen haben, den der Gast so gerne mag – eine hat ihn gebacken, von einer stammt das Rezept, eine hat die Äpfel gepflückt. Zu Johns Pech begegnet er dieser Form des Teamworks nicht zum letzten Mal.

    Fazit: Oscarpreisträgerin Sofia Coppola antwortet auf Don Siegels Macho-Film „Betrogen“ mit einer radikal reduzierten, erlesen gefilmten, zum Ende hin rabenschwarzen Neuverfilmung, in der diesmal alles von den Frauen ausgeht und der im Original alles dominierende Protagonist auf die Rolle eines hilflosen Weicheis zusammengeschrumpft wird. Ein starkes, zeitgemäßes Statement – und trotzdem funktioniert „Die Verführten“ vor allem als Gegenstück zur ersten Verfilmung, denn für sich genommen fehlt ihm gerade in der ersten Hälfte der nötige erzählerische Zug.

    Wir haben „Die Verführten“ bei den 70. Filmfestspielen in Cannes 2017 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wird.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top