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    Krystal
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Krystal
    Von Manuel Berger

    Als Darsteller ist William H. Macy („Boogie Nights“, „Magnolia“) seit Jahrzehnten eine Konstante auf beachtlich hohem Niveau. 1997 feierte er seinen ersten großen Erfolg mit „Fargo“, der ihm direkt eine Nominierung für den Oscar als Bester Nebendarsteller einbrachte. Zuletzt wurde er mehrfach für seine Leistung als alkoholkrankes Familienoberhaupt in der tragikomischen Serie „Shameless“ ausgezeichnet (darunter zwei Golden-Globe- und füng Emmy-Nominierungen). Hinter der Kamera muss sich der 68-Jährige seine Sporen hingegen erst noch verdienen, denn nachdem schon seine ersten zweit Regiearbeiten „Rudderless“ und „Mister Before Sister“ kaum Beachtung fanden, wird ihm nun auch „Krystal“ kaum den großen Regie-Durchbruch bescheren. Macy nimmt sich der Prämisse – herzkranker Teenager verliebt sich in eine ältere Frau aus problematischem Milieu – einfach eine ganze Ecke zu überambitioniert an. Letztlich scheitern seine Bemühungen, eine Tragikomödie im Stil von „Silver Linings“ zu inszenieren, an seinem fehlenden Gespür für Humor und Charaktere.

    Der 18-jährige Taylor (Nick Robinson) leidet seit früher Kindheit an einer Herzrhythmusstörung. Seine Eltern (William H. Macy und seine Echte-Leben-Ehefrau Felicity Huffman) behüten ihn daher so gut sie können. Doch Taylors Welt gerät trotzdem gehörig durcheinander, als er sich in die ehemalige Escortdame Krystal (Rosario Dawson) verliebt. Um ihr nahe sein zu können und sie für sich zu gewinnen, macht er ihr vor, genau wie sie suchtkrank zu sein. Er begleitet sie zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker und beginnt eine Transformation zum Bad Guy. Taylor verrennt sich in ein wachsendes Lügenkonstrukt und als Krystals gewalttätiger Exfreund Willie (Tip Harries) auftaucht, droht die Situation endgültig zu eskalieren …

    Entgegen des Filmtitels steht keineswegs die Figur Krystal im Mittelpunkt, sondern der Teenager Taylor, der Krystal zum Objekt seiner Begierde macht. Und ein Objekt ist Krystal hier wahrhaftig. Schon die erste Szene zeichnet sich durch einen unsensiblen Umgang mit Geschlechterrollen aus. Dass Taylor sich in Krystal verliebt, liegt– so stellt es die Inszenierung dar – nicht an ihrem Charakter, sondern allein an ihrem Aussehen. Die Protagonisten begegnen sich am Strand und als die Kamera auf Krystals Ausschnitt hält, um einzufangen, wie Wasser hineinläuft und Krystal ihr nasses T-Shirt ausdrückt, ploppen selbst dem neben Taylor krabbelndem Krebs die Augen raus. Und so geht es immer weiter: Als Krystal beim ersten gezeigten AA-Meeting eine kurze Ansprache hält, gaffen die Männer in der Runde sie mit offenen Mündern an. Für Taylor scheint es danach selbstverständlich, Krystal zu verfolgen, obwohl sie mehrfach deutlich macht, dass sie ihn nicht um sich haben möchte. Einmal steigt er ungefragt in ihr Auto ein. Und mit dieser Stalker-Strategie hat er schließlich sogar Erfolg – Motorradkluft und Macho-Gehabe machen’s möglich, zumindest im Kino. Mehr als nur ein bisschen creepy ist das trotzdem.

    Technisch bleibt der Film unauffällig. Regisseur Macy konzentriert sich durchweg auf die Handlung, hat aber trotzdem Schwierigkeiten, sie fokussiert zu erzählen. Es wird nie so richtig klar, worauf er eigentlich den Schwerpunkt legen möchte. Die meisten Figuren, die aktiv zum Plot beitragen, schleppen ihr eigenes Bündel an Problemen mit sich herum, von denen jedes zumindest kurz angerissen, aber keines wirklich auserzählt wird. Taylors Arbeitgeberin (Kathy Bates) hat Krebs, sein Vater eine Vergangenheit als Spanky im Rotlicht-Milieu, sein Arzt (William Fichtner) raucht im Behandlungszimmer und ist generell ungeeignet für seinen Job, Krystals Sohn (Jacob Latimore) sitzt im Rollstuhl, ihr Ex kämpft mit Aggressionsproblemen…

    … so verliert man mehr und mehr den Überblick, ob es nun darum geht, wie Taylor trotz Herzfehler einen Weg ins normale Leben findet, wie die Romanze zwischen ihm und Krystal verläuft oder nicht vielleicht doch eher um die Dynamik der Gesellschaft als Ganzes, wenn hier wirklich jeder gegen seine eigenen inneren Dämonen ankämpft. Macy manövriert mit zunehmender Zeit im luftleeren Raum und weiß sich schließlich nur noch damit zu helfen, buchstäblich einen echten Dämon (George Faughnan) ins Setting zu pflanzen. Das ist humorvoll gemeint, gibt jedoch aufgrund der comic-haften Inszenierung die an sich ernstzunehmenden Schicksale der Protagonisten der Lächerlichkeit preis.

    Überhaupt geht Macys Gespür für Humor nur an einer Stelle im Film auf: Als Taylor Krystal seine Familienmitglieder sämtlich als Alkoholiker vorstellt und diese in ihrer Empörung ungewollt den Eindruck erwecken, tatsächlich welche zu sein. Besagte Szene veranschaulicht aber auch die Differenzen bei der schauspielerischen Leistung. Dawson macht das Beste aus ihrer stereotypen Rolle, was auch Latimore und Bates gelingt. Die übrigen Darsteller wirken dagegen, als wüssten sie nicht, ob sie in einem Drama oder einer Komödie mitspielen. Wobei: Vermutlich wussten sie es wirklich nicht.

    Fazit: William H. Macy will viel auf einmal erzählen, verliert dabei aber den narrativen Fokus und verheddert sich in Nebenschauplätzen. Durch die missglückte Inszenierung gerät „Krystal“ zu einem stilistisch und erzählerisch diffusen Mix mit unfreiwillig sexistischen Tendenzen.

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