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    Zwischen den Jahren
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Zwischen den Jahren
    Von Lars-Christian Daniels

    Der gelernte Theaterschauspieler Peter Kurth („Die Kleinen und die Bösen“) drückte 2016 einem der besten deutschen Filme des Jahres eindrucksvoll seinen Stempel auf: In Thomas Stubers bärenstarkem ALS-Drama „Herbert“ verkörperte Kurth die Titelfigur – einen unheilbar erkrankten Ex-Boxer und wenig zimperlichen Geldeintreiber, der nur noch wenige Monate zu leben hat. Gut ein Jahr später ist Kurth, der für seine tolle Performance mit dem Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, erneut in einer ganz ähnlichen Rolle zu sehen: In Lars Hennings zweitem Langfilm „Zwischen den Jahren“, der im Panorama der Berlinale 2017 präsentiert wurde, verkörpert Kurth einen geläuterten Doppelmörder, der frisch aus dem Knast entlassen ins Visier des Mannes gerät, dem er einst Frau und Kind nahm. Was zunächst nach einer schon häufig erzählten Rachegeschichte klingen mag, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung vor allem als fein gezeichnete Charakterstudie und eindringliches Sozialdrama, dessen Spannungskurve erst in der zweiten Filmhälfte nach oben ausschlägt.

    Der aus dem Rockermilieu stammende Becker (Peter Kurth) hat eine lebenslängliche Gefängnisstrafe verbüßt. Nach seiner Entlassung findet der verurteilte Doppelmörder einen Job als Wachmann: Gemeinsam mit seinem armenischen Kollegen Barat (Leonardo Nigro) patrouilliert er nachts in einem Lagerhaus – ein relativ eintöniger, aber ordentlich bezahlter Job, der für einen Ex-Knacki wie ihn nicht selbstverständlich ist. Mit der alleinerziehenden Putzkraft Rita (Catrin Striebeck), die Becker nach einem feuchtfröhlichen Kneipenabend spontan mit zu sich nach Hause nimmt, gibt es sogar eine Frau in seinem Leben, das wieder in geordneten Bahnen verlaufen soll. Doch Becker wird von seiner Vergangenheit eingeholt: An einer U-Bahn-Station begegnet er Dahlmann (Karl Markovicz) – dem Mann, dessen Frau und Tochter er einst getötet hat. Der abgehalfterte Ex-Familienvater hat fortan nur noch eines im Sinn: Rache an Becker zu nehmen…

    Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden ausgiebig tätowierten Hauptfiguren in „Herbert“ und „Zwischen den Jahren“ sind schon rein äußerlich nicht zu übersehen, zudem sind beide Filme komplett auf den Hauptdarsteller zugeschnitten: „Zwischen den Jahren“-Kameramann Carol Burandt von Kameke („Schrotten!“), der schon bei einigen Kurzfilmen mit Regisseur und Drehbuchautor Lars Henning („Kaltfront“) zusammenarbeitete, weicht dem Protagonisten zu keinem Moment von der Seite. Trotz seiner Schreckenstat vor 18 Jahren, deren Umstände die Filmemacher bewusst ausklammern, reift Becker für den Zuschauer schnell zur Identifikationsfigur, obwohl sich der zu Handgreiflichkeiten neigende Schlägertyp mit all seinen Fehlern gar nicht so leicht ins Herz schließen lässt. Aber er würde alles dafür tun, seinen Fehler wiedergutzumachen, wovon der fiese Tyrann Dahlmann wiederum nichts wissen will. Doch auch dessen Rachegelüste so viele Jahre nach dem Verlust von Frau und Kind sind verständlich: Die Grenzen zwischen Gut und Böse, Falsch und Richtig verschwimmen.

    Anfangs sieht alles nach einem Mann-gegen-Mann-Duell aus: Erst sind es anonyme Anrufe und Dahlmanns dunkler Wagen, die Becker verfolgen, schon bald aber kommt es zur offenen Konfrontation der beiden Männer, die in diesem Leben keine Freunde mehr werden. Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre die Geschichte nach einer Dreiviertelstunde zu Ende erzählt – stattdessen schaltet Henning aber einen Gang zurück und widmet sich ganz der Gefühlswelt seiner Hauptfigur. „Was machen wir hier eigentlich?“, fragt Dahlmann beim ersten Aufeinandertreffen in einem Chinarestaurant – eine Frage, die sich auch so mancher Zuschauer stellen dürfte, weil die Zuspitzung des zentralen Konflikts oft künstlich in die Länge gezogen wird, ohne dass der Film dadurch wirklich an Tiefe oder Komplexität gewinnen würde. Während Dahlmann als Figur vernachlässigt wird und selbst nicht zu wissen scheint, wie Becker für seine Tat büßen soll, erstarrt der Ex-Knacki wie das Kaninchen vor der Schlange, sobald der einstige Familienvater ihm auf die Pelle rückt. Ganz glaubwürdig ist dieses ewige Kuschen auf die Dauer nicht – geht Becker ansonsten doch keiner Kneipenschlägerei aus dem Weg, selbst wenn sie ihn den Job beim Wachdienst kosten könnte.

    Während Hennings Film als klassischer Rachethriller nicht immer funktioniert, überzeugt er als Charakterstudie und Sozialdrama fast auf ganzer Linie. Der alleinerziehenden Rita (stark: Catrin Striebeck, „Gegen die Wand“) kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, weil sie Beckers wichtigste Bezugsperson ist: Neben der Frage, ob sich Becker und Dahlmann vielleicht doch auf friedliche Art und Weise einigen können, wird das Geschehen auch durch die schwierige Beziehung zwischen dem verbitterten Wachmann, der einsamen Putzkraft und deren aufgewecktem Sohn vorangetrieben. Wer ein fiebriges Katz-und-Maus-Spiel zweier verfeindeter Männer erwartet, muss bei diesem Film also Geduld mitbringen: Erst beim großen Showdown bricht sich die Gewalt Bahn – Henning arrangiert einen sehr beklemmenden Schlussakkord und gibt dem Zuschauer noch eine letzte Frage mit auf den Heimweg.

    Fazit: Lars Hennings „Zwischen den Jahren“ ist eine überzeugend besetzte Kreuzung aus Rachethriller und Sozialdrama, deren präzise Charakterzeichnung aber auf Kosten der Spannung geht.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Zwischen den Zeiten“ in der Sektion Perspektive deutsches Kino gezeigt wird.

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