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    Those Who Make Revolution Halfway Only Dig Their Own Graves
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Those Who Make Revolution Halfway Only Dig Their Own Graves
    Von Christian Horn

    Those Who Make Revolution Halfway Only Dig Their Own Graves“ – der programmatische Titel dieses kanadischen Films hat ähnlich viel Überlänge wie das 183-minütige Politdrama selbst. Da verhaspelte sich auch der Moderator vor der Berlinale-Aufführung im Haus der Kulturen der Welt, wo das Werk des Regieduos Mathieu Denis („Corbo“) und Simon Lavoie („Le torrent“) im Rahmen der Jugendfilm-Sektion Generation 14plus zu sehen war. Dabei hätte der essayistische Thesenfilm genauso gut im eher experimentell angehauchten Forum laufen können, denn Zugeständnisse an Sehgewohnheiten und Erzählkonventionen machen Denis und Lavoie kaum. Als wollten sie für die politische Radikalisierung ihres Protagonistenquartetts eine formale Entsprechung finden, gehen sie in ihrem multithematischen, teils avantgardistischen Filmmanifest keinerlei Kompromisse ein. Und die Desillusionierung der Studenten machen sie dabei fast körperlich spürbar.

    Während des „Ahorn-Frühlings“ im Jahr 2012 bestreikten Studenten im kanadischen Québec die Hochschule und protestierten gegen die Bildungsmisere im Landes. Auch Giutizia (Charlotte Aubin), Tumulto (Laurent Bélanger), Ordine (Emmanuelle Lussier Martinez) und Klas (Gabrielle Tremblay) engagierten sich in der Protestbewegung. Als der Streik nach drei Monaten verebbt ist, gründen sie eine radikale Splittergruppe, um die herrschenden Verhältnisse abzuschaffen: „Der Staat versteht nur Terror.“ Sie fangen mit dem Beschmieren von Plakaten an und steigern sich bis hin zu Brandanschlägen. Als die vier jedoch merken, dass ihre Aktionen nicht von jetzt auf gleich die Welt verändern, müssen sie ihre Ideale hinterfragen. Schließlich richtet sich ihre unbändige Wut gegen sie selbst.

    „Those Who Make Revolution…“ beginnt mit einem minutenlangen Schwarzbild zu aufwühlender Orchestermusik. Es scheint alles möglich… Und zugleich wird von vornherein klar, dass wir es hier mit einem ungewöhnlichen und äußerst ambitionierten Werk zu tun haben. Nach dem vieldeutigen Auftakt geht es dann zunächst fast konventionell weiter, wenn die Kamera den Studenten durch die Nacht folgt, während sie die Beleuchtung eines Plakats zerstören. Im Anschluss geben die Filmemacher anhand von teils verstörendem Archivmaterial einen Überblick über Proteste und Polizeigewalt in Kanada, woraufhin schließlich die Hauptfiguren vorgestellt werden: Tumulto wird bei studentischen Versammlungen handgreiflich, Ordine steht vor Gericht, weil sie in einer U-Bahn eine Rauchbombe gezündet hat, und die transsexuelle Klas unterstreicht ihren Standpunkt bei einem Streit mit dem Vater, indem sie ihm ein Messer zwischen die Schulterblätter rammt.

    Es dauert nicht lang, und die selbsternannten Revolutionäre haben nur noch sich selbst. Ihre antikapitalistischen Ideale und die Verachtung für Reiche schweißen sie zusammen. In einer Szene pinkelt Tumulto von außen gegen die Scheibe eines Luxusrestaurants, doch ohne Geld können auch die Radikalen nicht leben – und so prostituiert sich Klas, um die Gruppe zu finanzieren. Wenn sie die Tageseinnahmen in vier Bündeln im Versteck der Bande platziert, greift jeder rasch zu. Am Ende, als die Rechnungen der letzten Monate unbezahlt sind, dümpeln die Revoluzzer wie Fliegen vor sich hin, die in einer Suppe ersaufen. „Wir sind im Krieg“ hieß es anfangs kämpferisch, nun weicht die Entschlossenheit einer neuen, ernüchternden Erkenntnis: „Alle Revolutionäre sind naiv, denn sie vertrauen in die Menschheit.

    Hier geht es ums Ganze und so schneiden Denis und Lavoie sehr viele unterschiedliche Themen an. Mal geht es um Kunst, dann wieder um den Kampf der Generationen, mal um die familiären Bindungen, die durch die Radikalisierung zerstört werden, und immer wieder um den Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. Dabei sind die Dialoge meist sehr theorielastig, zuweilen wähnt man sich fast in einem Uni-Seminar und darin liegt letztlich auch die Tragik der Protagonisten, denn es gelingt ihnen nicht, die Kluft zwischen Ideen und Taten überzeugend zu überwinden. Die Gruppe findet kein funktionierendes Ventil für ihre Wut, das unterstreichen Verzweiflungsaktionen wie in jener krassen Szene, in der sich Tumulto vor den Augen seiner Mitstreiter selbst geißelt. Die Radikalität droht am Ende die Radikalen selbst zu zerstören.

    Dem sehr breit angelegten inhaltlichen Spektrum entspricht bei „Those Who Make Revolution…“ die extrem heterogene Form. Immer wieder wird dokumentarisches Archivmaterial von Demonstrationen zwischen die Spielszenen gestreut, die wiederum durch ein theatralisches In-die-Kamera-Sprechen vor allem bei den zahlreichen Nackt-Performances der Gruppe auf eine selbstreferentielle Ebene gehoben werden. Lustvolles (ein Intermezzo zu Metal-Musik) steht neben Überdeutlichem (die vielen Schrifteinblendungen mit Zitaten quer durch die Protestkultur). Der Film wirkt mit seinen vielen verschiedenen Schichten und Stilen insgesamt sehr künstlich und da sich das Regieduo bei all dem ganz schön viel Zeit lässt, kommt es zu einigen Durchhängern.

    Man solle keine politischen Filme machen, sondern Filme politisch machen, hat Godard einmal gesagt. Dass die kanadischen Regisseure das versuchen, ist unübersehbar. Ihr Kino-Experiment ist zwar nicht vollkommen gelungen und erfordert einige Geduld, aber es ist doch auf jeden Fall einen aufmerksamen Blick wert.

    Fazit: Das dreistündige Porträt einer linksradikalen Splittergruppe in Québec ist hoch ambitioniert, lyrisch, oft provokant, manchmal weinerlich und zwischendurch etwas langatmig, aber auch immer wieder anregend und faszinierend.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Those Who Make Revolution Halfway Only Dig Their Own Graves“ in der Sektion Generation 14plus gezeigt wird.

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