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    Pavarotti
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Pavarotti

    Eine Freude nicht nur für Opern-Fans!

    Von Oliver Kube

    Nach Regie-Arbeiten über Rapper Jay-Z („Made In America“) und die Fab Four („The Beatles: Eight Days A Week“) präsentiert Oscar-Gewinner Ron Howard („A Beautiful Mind“) nun seine dritte Musik-Dokumentation innerhalb von nur sechs Jahren: „Pavarotti“ erzählt das Leben des mit mehr als 100 Millionen verkauften Alben wohl populärsten Opernsängers aller Zeiten. Der emotionale Film punktet mit vielen gute Laune versprühenden, aber dazwischen auch immer wieder melancholischen Momenten. Howard spricht zwar Pavarottis persönliche Fehler und Schwächen an, konzentriert sich dann jedoch meist auf die vielen positiven Seiten des Italieners. Dass Rock- und Folk-Fan Howard nicht gerade ein Opern-Experte ist, erweist sich dabei als überraschend hilfreich. So zeigt er uns selbstverständlich den einmalig begabten Sänger, mindestens ebenso ausführlich jedoch auch den Vater, Ehemann und Freund Pavarotti.

    Der 1935 in Modena geborene Luciano Pavarotti wurde zunächst Grundschullehrer. Seine Liebe zur Oper und das Talent zum Gesang hatte er von seinem Vater, einem einfachen Bäckermeister, geerbt. Der aber wollte, dass sein Sohn einen „anständigen Beruf“ ergreift. Nur dank der Ermutigung durch seine Mutter bewarb sich Pavarotti als junger Mann an der lokalen Oper und wurde tatsächlich engagiert. Durch harte Arbeit und seine außergewöhnliche Fähigkeit, das hohe C zu treffen, stieg der Tenor schnell auf und machte international Karriere. In den 1990ern begann er seinen Ruhm mehr und mehr für Charity-Arbeit zu nutzen. Er gab gigantische Open-Air-Konzerte, kollaborierte mit vielen der größten Popstars der Welt und avancierte so auch über die Grenzen der Klassik hinaus zum Superstar. „Nessun dorma“ aus Puccinis „Turandot“ wurde zu seinem Markenzeichen und zu Pavarottis letzter öffentlich gesungener Arie vor seinem Krebstod im Jahre 2007.

    Fast hätte Pavarotti die Karriere als Opernsänger verpasst. Das wäre für alle ein Verlust gewesen.

    Strukturell bietet Ron Howard hier nichts Außergewöhnliches. Die Doku orientiert sich recht stringent am Lebensweg des Sängers und startet – nach einem kurzen Clip des Stars in einem abbruchreifen Opernhaus mitten im Amazonasdschungel – mit der Kindheit und endet mit dem Tod. Natürlich gibt es immer mal wieder kurze Flashbacks, die aber niemals unmotiviert, sondern nur zur Verdeutlichung einer bestimmten Episode oder Äußerung eingeschoben werden. Wenn man böse sein wollte, dann ließe sich durchaus korrekt anmerken, dass der Streifen von Howard und seinem Cutter Paul Crowder („Amazing Journey: The Story Of The Who“) betont routiniert, voller Kalkül und mit Blick auf seine Wirkung zusammengefügt worden ist. Dieser Flow, den allerdings auch nur so erfahrene Filmemacher derart locker und selbstverständlich wirken lassen können, ist es allerdings, der „Pavarotti“ so rundum zufriedenstellend macht.

    Eingerahmt wird das alles gelungen, weil authentisch emotional, durch kurze Ausschnitte aus einem Privatvideo, dass Pavarottis zweite Ehefrau Nicoletta Mantovani während des letzten gemeinsamen Urlaubs des Paares gedreht hat. Mantovani fragt ihren Gatten, wie er sich wünsche, in Erinnerung zu bleiben. Der massige Mann antwortet wie aus der Pistole geschossen, dabei ernsthaft und überlegt, als hätte er über genau dieses Thema bereits lange und mehrfach nachgedacht. Er wolle als ein guter, vielleicht sogar sehr guter Sänger in Erinnerung bleiben. Und als jemand, der dazu beigetragen habe, die Oper aus den versnobten Kreisen einer alternden Oberschicht zurück zu den einfachen, zu den jungen Menschen zu bringen; aus ihr wieder Musik fürs Volk zu machen. Nicoletta wartet bis ihr Partner zu Ende gesprochen hat, dann fragt sie noch einmal, und zwar mit einem Zusatz: „Wie möchtest du in Erinnerung bleiben? Als Mensch, Luciano!“ Der Gefragte wirkt verdaddert und zögert. Er holt Luft, will antworten, hält aber dann für einen Moment inne. Sein Gesichtsausdruck zeigt: Hinter der breiten, hohen Stirn arbeitet es auf Hochtouren. Darüber hatte er sich offenbar keine druckreifen Gedanken gemacht. Erst ganz am Ende wird Ron Howard uns seine Antwort zeigen.

    Jede Menge exklusive Aufnahmen

    Zu diesem Zeitpunkt haben wir den größten globalen Opernstar seit Enrico Caruso und Maria Callas so gut kennengelernt, dass wir selbst die Antwort geben könnten. Trotzdem ist es anrührend, ihn die Sätze abschließend sprechen zu hören. Dabei geholfen, den Mann zu verstehen, zu wissen, was ihn antrieb, warum er singen, Kindern und Bedürftigen mit so viel Einsatz helfen wollte oder warum er die Frau betrog, die er sein Leben lang liebte, haben dem Zuschauer bis dahin viele wunderbar offene, unprätentiöse und oft erstaunlich intime Archivaufnahmen aus seiner gesamten Karriere. Zu den Interviews, Proben, Auftritten und Backstage-Bildern kommen ausführliche, exklusiv für „Pavarotti“ gedrehte, oft amüsante Statements von Freunden, Kollegen und Weggefährten. Dazu zählen seine diversen Manager und Promoter, der befreundete U2-Frontmann Bono, Dirigent Zubin Mehta oder José Carreras und Placido Domingo. Mit letzteren bildete er in den 1990ern Die drei Tenöre, eine Art Opernsänger-Boygroup, die für Jahre zu den bestverkaufenden Acts nicht nur der Klassik-, sondern auch der gesamten Popwelt zählte.

    Die wichtigsten Einblicke in seine Psyche, während der zahlreichen Triumphe und der großen wie kleinen Dramen seines Daseins, liefern allerdings die Frauen, die ihm bei all dem am nächsten standen: seine Ex-Gattin, seine langjährige Geliebte und Assistentin, seine 34 Jahre jüngere Witwe sowie die drei erwachsenen Töchter. Sie sind es, die schon mal ernsthaft und durchaus kritisch mit dem gelegentlich allzu sorglosen, naiven Jungen hinter dem Weltstar ins Gericht gehen und so das Bild von ihm wirklich rund machen. Dennoch ist bei allen sechs immer tiefe, ehrliche Liebe herauszuhören. Wenn der Abspann über die Leinwand rollt, dürften sich selbst Kinofreunde, die mit Opernmusik nichts am Hut haben, wünschen, sie hätten den Koloss mit dem weißen Schnuffeltuch zumindest einmal selbst getroffen.

    Fazit: Das Porträt eines außergewöhnlichen Künstlers und Menschen bewegt und inspiriert zugleich. Man muss kein Opern-Fan sein, um die Dokumentation über das Leben und Schaffen des großen Tenors zu genießen. Vielleicht hilft es sogar, wenn man keiner ist.

     

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