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    Gandhi
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Gandhi
    Von Hans Riegel

    Die filmische Biografie Mahatma Gandhis, einsetzend in Südafrika, endend im Moment seiner Ermordung, versetzt mit Anekdoten, durchwirkt von berühmt gewordenen Weisheiten des großen Pazifisten, politische Wirren auf Allgemeinverständlichkeit getrimmt; ungefähr dies liefert Sir Richard Attenboroughs („Die Brücke von Arnheim“, „Chaplin“) episches Biopic „Gandhi“ (1982) um den Mann, der Indien gewaltlos in die Unabhängigkeit führte.

    Politik, und die betrieb Gandhi nun einmal, ist schwer auf den Punkt zu bringen und entbehrt oftmals der rechten Möglichkeiten, allgemein verständlich zu sein. Dass nun eine Biografie des indischen Freiheitskämpfers nicht ohne diese auskommt, muss demnach zur Simplifizierung derselben führen. Gandhi selbst ist hierin der Überbringer schlichter Wahrheiten, die, in Syllogismen gekleidet, die geistige wie moralische Überlegenheit seiner Figur stark betonen: So sieht man ihn quasi nie scheiternd, stets obsiegend und seinen Gegnern in Wort und Tat in jeder Situation überlegen: Ein Euphemismus, der angesichts der historischen Bedeutsamkeit Gandhis jedoch gebilligt werden kann.

    „Es ist Zeit, zu erkennen, dass Sie Herren in einem fremden Hause sind“, sagt Gandhi (Ben Kingsley) den Briten, die darauf nur stoisch erwidern - was wohl offenkundig sei -, dass Indien doch in aller Tatsächlichkeit britisch sei und nur britisch sein könne. Dies ist eine der Situationen, in denen Ben Kingsley (mittlerweile wie viele seiner Nebendarsteller und der Regisseur zum Ritter des britischen Empires geschlagen), der zuvor lediglich aus dem Fernsehen und als Mitglied der Royal Shakespeare Company bekannt gewesen war, darstellerisch brillieren kann. Nicht, dass nicht das Gros aller Szenen durch sein Spiel ausgezeichnet würde, doch bieten ihm die obwaltenden Umstände in den minimalistischeren Szenen mehr Platz für die eigene Performance. Speziell betont gehört, da in der deutschen Synchronfassung leider etwas untergegangen, die stark theatralisch beeinflusste, perfektionierte Art, in der er Gandhis Sprachduktus anhand erhaltener Tondokumente adaptierte. Seine Leistung, einhergehend mit seiner frappierenden, naturgegebenen Ähnlichkeit mit dem realen Gandhi, ließ einige Inder, die ihn während der Dreharbeiten an Originalschauplätzen sahen, gar glauben, er sei dessen auferstandener Geist. Nur billig war daher die Auszeichnung Kingsleys mit dem Oscar für den besten männlichen Hauptdarsteller (insgesamt gab es acht Academy Awards). In diesem Glanze verblasst recht schnell, dass ursprünglich Alec Guinness oder Anthony Hopkins für die Rolle vorgesehen waren, Dustin Hoffman sein Interesse bekundet hatte und Kingsley schließlich nur durch Empfehlung Michael Attenboroughs (Richards Sohns) den Weg in die Produktion fand.

    Die Handlung setzt ein, nachdem er, ab 1888 in London ein dreijähriges juristisches Studium absolviert und anschließend seine Auszeichnungen als Rechtsanwalt in Bombay erworben, sich auf einer Reise nach Südafrika befindet. Er, der - durchaus wohlhabend - ein Ticket erster Klasse besitzt, wird allein aufgrund seiner Hautfarbe aus dem Zug geworfen. Obschon dem historischen Gandhi offeriert wurde, in den Gepäckwaggon des Zuges umzusteigen, was dieser aus Prinzip ablehnte, gehen Film und Historie darin konform, dass hier zum ersten Mal sein Gerechtigkeitssinn wachgerufen wurde und ein Umdenken stattfand; beides sollte gleichermaßen sein späteres Leben prägen. Erwähnt sei hier jedoch, dass Gandhis menschenrechtliche Bestrebungen sich auf die Gruppe der in Südafrika lebenden Inder beschränkten und die ebenfalls unterdrückte afrikanische Ureinwohnerschaft gänzlich ausklammerten.

    Im Weiteren verfolgt der Zuschauer Gandhis Wirken in Südafrika, für das er von der internationalen Presse frenetisch gefeiert wird, ebenso wie in humanistischen wie in politischen Bereichen Indiens; schließlich erlebt er die Unabhängigkeit desselben, bei deren Proklamation, hier die indische, dort die pakistanische, und an Gandhis Haus, vor dem er Kleidung spinnend hockt, keine Flagge, am Fahnenmast weht. Dem „kleinen braunen Mann im Leinentuch“ (Kommentator beim Begräbnis), der ein ganzes Volk vereinte, misslingt letztendlich der gewünschte Erfolg im kleinen Kreise seiner Mitstreiter: die vornehmlich hinduistischen Gebiete Indiens vereinen sich unter der einen, die vornehmlich muslimischen Gebiete unter der anderen Flagge und Hand. Die daraufhin entstandenen bürgerkriegsähnlichen Zustände konnte er gerade noch besänftigen und so bietet der vormalige Frieden die geeignete Kulisse für Gandhis Ableben; im Alter von 79 Jahren wird er in Neu Delhi auf offener Straße erschossen.

    In der Eröffnungsszene vollbringt es Regisseur Richard Attenborough dann irgendwie, 300.000 Statisten, von denen rund zwei Drittel Freiwillige waren, zu der Begräbniszeremonie zu vereinen, die übrigens am 31. Januar 1981 stattfand, welches der 33. Jahrestag des eigentlichen Begräbnisses war. Der Leichnam des Nationalhelden, zuerst eine Wachsfigur, später Ben Kingsley selbst, zieht, aufgebart und in einem Bett von Blüten, durch die gewaltigen Menschenmassen. Der gleichsam riesenhafte Dreh beanspruchte elf Kamerateams, die rund 6.100 Meter Filmmaterial belichteten, aus deren Gesamtheit dann lediglich 125 Sekunden ihren Weg in den Kinofilm fanden. Gewiss, die Intention Richard Attenboroughs „Gandhi“ ist es nicht, die philosophischen Überzeugungen Gandhis zu eruieren, weshalb seine journalistische Tätigkeit nur am Rande erwähnt und schlicht nicht gezeigt wird, doch sei hierzu zumindest soviel angemerkt: Gandhis Ansichten sind nicht christlichen Ursprungs, wie es einer Szene kurz nach seiner Ankunft in Südafrika durch den Kommentar, es sei von den Briten höchst unchristlich, eine Unterscheidung zwischen Schwarzen und Weißen zu machen, suggeriert wird, sondern entspringen vielmehr seiner frühkindlichen Konfrontation mit religiösen indischen Lehren wie dem Jainismus. Seine Überlegungen hielt er später in der Schrift „Satyagraha“ fest, welches einem Konzept seines politischen Wirkens gleichkommt.

    Dasjenige Vermächtnis Gandhis, welches dieser Film enthält, ist Richard Attenborough zu verdanken, der sich bereits 20 Jahre vor Produktionsbeginn mit diesem Projekt befasst und auch Candice Bergen ihre spätere Rolle der Journalistin Margaret Bourke-White schon 1966, wohl nachdem sie gemeinsam in „Kanonenboot am Yangtse-Kiang“ (1966) zu sehen gewesen waren, angeboten hatte. Dieser Film war sein Traum und er veräußerte gar seine Rechte an einem der erfolgreichsten Theaterstücke der damaligen Zeit („The Mousetrap“), schloss Abkommen über Regieverpflichtungen und tat förmlich alles, um das benötigte Budget von geschätzten 22 Millionen Dollar zu akquirieren. In Anbetracht des Budgets ist es umso beeindruckender, wer in diesem Film sich die Ehre gibt und Attenborough erweist: Sir John Gielgud, Sir John Mills, Trevor Howard ebenso wie die bereits erwähnte Candice Bergen oder Martin Sheen, der nach Apocalypse Now (1979) im Zenit seiner schauspielerischen Karriere stand. Jeder dieser großen Namen bekommt, wie auch die Botschaft des Films immer wieder, die notwendige Aufmerksamkeit und Zeit, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Besonders erwähnenswert sind hier John Gielgud, in der einmaligen Darstellung eines englischen Edelmannes in Reinform, wie Candice Bergen, die durch ihre intensive Darstellung und ihren nahe gehenden Kontakt zur Person Gandhi, die doch immer bestimmend bleibt, im Gedächtnis verhaftet. Gandhi hingegen ist, stets im Mittelpunkt des Geschehens stehend und von den übrigen Charakteren nur in den historisch-politischen Kontext gesetzt, in nahezu jeder Szene präsent, welches dem Genuss des Films jedoch keineswegs einen Abbruch tut. Weiter gerahmt durch die faszinierenden Massenszenen, so zum Beispiel wenn Gandhi unter Anteilnahme vieler Tausend Menschen an einem Bahnhof aus dem Zug steigt, sind so erinnerungswürdig, schlechterdings, da sie wie der gesamte Film ohne Digitalisierungen oder filmische Kunststückchen auskommen, dass wohl niemand ihrer verlustig gehen wollte. Ebenso verhält es sich, wie hier Albert Einstein, ein anderer großer Geist dieses Jahrhunderts, zitiert wird, mit Mohandas „Mahatma (die große Seele)“ Gandhi: „Zukünftige Generationen werden kaum glauben können, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut wie er jemals auf Erden gewandelt ist.“ In der Tat; doch dies möglich zu machen, hat Richard Attenboroughs Monumentalfilm „Gandhi“ viel beigetragen. Für diesen nachhaltigen Effekt gebührt ihm und seinem Regisseur die wesentliche Anerkennung.

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