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    Bomb City - Destroy Everything
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bomb City - Destroy Everything
    Von Antje Wessels

    In den späten 90er Jahren kam es im texanischen Amarillo zu einem Gerichtsskandal, dessen emotionaler Ursprung den aktuellen Zuständen in den USA erschreckend nahekommt. Das Opfer: der 19-jährige Punkmusiker Brian Deneke, der im Dezember 1997 bei einem gezielten Anschlag getötet wurde. Diesem Attentat gingen mehrere Tage gewaltsamer Konflikte zwischen den ortsansässigen Punks und den Footballspielern einer Highschool voraus, in dessen Folge der Star-Quarterback der Schule, der gerade einmal 17 Jahre alt war, Deneke mit seinem Cadillac überfuhr. Das allein wäre schon grausam genug. Landesweite Schlagzeilen lieferte der Fall aber erst durch das Urteil. Obwohl im Mordprozess Zeugen übereinstimmend aussagten, der Angeklagte habe sich unmittelbar vor der Tat als „Ninja“ bezeichnet und den Anschlag anschließend sogar feiernd kommentiert, erhielt der Täter lediglich eine Bewährungs- und Geldstrafe. Ein Urteil, dass sogar die Staatsanwaltschaft als ungewöhnlich milde ansah. Mit dafür verantwortlich war auch die Verteidigungsstrategie des Täter-Anwalts, der die Punks als gewalttätige Schläger hinstellte und die Footballspieler und seinen Mandanten als gute Christen und anständige Texaner charakterisierte, was wohl den entscheidenden Eindruck auf die Geschworenen machte.

    Der Fall Deneke zählt bis heute zu den bekanntesten Gerichtsfällen in den USA, in denen gegen eine subkulturelle Minderheit entschieden wurde. In einer Zeit, in der der US-amerikanische Präsident den Missmut gegen Minderheiten und Subkulturen befeuert, wirkt die Entscheidung, solch ein Ereignis zu verfilmen, wie ein Statement. Regisseur und Autor Jameson Brooks, der bislang ausschließlich Kurzfilme inszenierte, stammt selbst aus Amarillo und ließ sich für sein Drehbuch von Bewohnern der Stadt beraten. Wohl auch deshalb gelingt ihm mit seinem Spielfilmdebüt „Bomb City“ ein atmosphärisch dichtes Drama, das sich jederzeit in seine Figuren einfühlt und auf den ersten Blick weniger wütend daherkommt, als man es angesichts der Umstände erwartet. Brooks inszeniert unaufgeregt und erzählt fast nüchtern von einem sich immer mehr hochschaukelnden Konflikt. Diese Ruhe ist seine Trumpfkarte, denn die Ereignisse an sich sind schon allein derart erschreckend, dass es gar keine Überstilisierung braucht, um zu erkennen, was an dem Mordfall so verdammenswert ist.

    Der leidenschaftliche Punkmusiker Brian Deneke (Dave Davis) und seine Band veranstalten regelmäßig Konzerte. Im „Bomb City“ fühlen sie sich mittlerweile wie zu Hause und feiern hier ihren antiautoritären Lebensstil, mit dem sie ihr konservatives Umfeld im texanischen Amarillo schon mal gegen sich aufbringen. Immer häufiger sehen sich die Freunde mit Intoleranz konfrontiert. An vorderster Front wettert der beliebte Highschool-Athlet Cody (Luke Shelton) gegen sie, der die Punks am liebsten aus seiner Stadt vertreiben würde. Doch es bleibt nicht beim verbalen Schlagabtausch. Als die Punks und die Sportler eines Tages gewaltsam aneinandergeraten, kochen die Emotionen über, bis es ein Todesopfer zu beklagen gibt. Wer hier Opfer und wer Täter ist, darüber ist man sich in Amarillo schnell einig. So kommt es zu einem folgenschweren Gerichtsprozess, der in die US-amerikanische Justizgeschichte eingehen wird …

    Dass wir den Ausgang von „Bomb City“ bereits im ersten Absatz verraten haben, liegt nicht daran, dass wir euch den Spaß am Schauen nehmen wollen. Stattdessen ist es Regisseur Jameson Brooks selbst, der den Film im Gerichtssaal beginnen lässt und schnell vorwegnimmt, worauf die Ereignisse der folgenden 95 Minuten hinauslaufen. „Bomb City“ zeigt in der Eröffnungsszene Einblicke in die emotional aufgeladene Verteidigungsrede des Anwalts, der sich die Aufschriften und düsteren Totenkopf-Symbole auf den Lederjacken der Punks vornimmt, um anhand deren das Bild von gewaltbereiten Schlägern aufzubauen. Wenn in der nächsten Szene das Miteinander der Musiker gezeigt wird, die zwar bereit sind, für ihre anarchische Gesinnung einzustehen, jedoch nie willkürlich Gewalt anwenden würden, entsteht früh ein beklemmender Kontrast zwischen dem, wie es wirklich ist, und dem, wie es sich der Anwalt vor Gericht zurechtbiegt. Trotzdem ist „Bomb City“ weit von der eindimensionalen Zeichnung von Opfern und Tätern entfernt. Eine konkrete Antwort auf die Frage, wer angefangen hat, liefert Jameson Brooks nicht. Stattdessen inszeniert er die Ereignisse als schleichende Eskalation. Und wenn es erst einmal handgreiflich wird, zögern auch die Punks nicht, sich körperlich in aller Form zu verteidigen.

    „Bomb City" ist auf der einen Seite Gerichtsdrama, auf der anderen Seite Momentaufnahme. Einen klassischen dramaturgischen Aufbau gibt es nicht. Stattdessen reiht Jameson Brooks Szenen des gemeinsamen Beisammenseins, des ausgelassenen Feierns und Musikmachens und eben auch die Konfrontationen mit den Sportlern aneinander. Einen triftigen, rationalen Grund für die Feindschaft gibt es nicht. Manchmal reicht es schon, dass eine der Gruppen gerade in einem Café abhängt, in dem eigentlich gerade die andere abhängen will, worauf schließlich Beleidigungen und die Androhung von Gewalt folgen. Zwischendurch streut Brooks markante Szenen aus dem Gerichtsprozess ein. Nach und nach entsteht ein Gesamtbild der Ereignisse, bei deren Eskalation die Macher nichts beschönigen. Ohne die Gewalt in den Vordergrund zu rücken, geschweige denn, sie zu ästhetisieren, hält Kameramann Jake Wilganowski („Sunny In The Dark“) im Moment des Anschlags voll drauf und setzt einen schmerzhaften Akzent innerhalb seiner ansonsten zurückhaltenden Arbeit.

    Dave Davis („The Domestics“) mimt die Hauptfigur Brian Deneke mit fühlbarem Respekt. Eine Heroisierung seines verstorbenen Vorbilds kommt ihm nicht in den Sinn. Stattdessen legt er sein ganzes Können in den Kontrast zwischen scheuem Eigenbrötler, der nur in Gegenwart seiner Freundin Rome („Boyhood“-Star Lorelei Linklater) aus sich herauskommt, und mutigem Draufgänger, der bis zum Äußersten geht, um für seine Ideale einzustehen. Newcomer Luke Shelton hat als Cody Cates nicht ganz so viel Glück und legt seinen unausstehlichen Highschool-Proll genau so an, wie man ihn sich vorstellt. Das ist schade, denn während die Macher sich ansonsten gekonnt von eindimensionaler Schwarz-Weiß-Inszenierung lossagen und den Konflikt aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten versuchen, ist ausgerechnet die Auseinandersetzung zwischen dem Mörder und seinem Opfer das, was am wenigsten spannend herüberkommt.

    Fazit: Das auf einem wahren Justizskandal basierende Drama „Bomb City“ zeigt auf intensive, ungeschönte, doch nie eindimensionale Weise, wohin Hass und Konservativismus führen können, und wirkt ganz nebenher auch noch erschreckend aktuell.

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