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    Ein leichtes Mädchen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Ein leichtes Mädchen

    Feminismus, der aneckt

    Von Christoph Petersen

    Während Céline Sciammas „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ im Wettbewerb von Cannes (zu Recht!) als feministisches Meisterwerk abgefeiert wurde, erntete Rebecca Zlotowskis Sommerfilm „Ein leichtes Mädchen“ in der Nebenreihe Quinzaine des Réalisateurs eher zwiespältige Reaktionen. Aber das ist auch kein Wunder und hat wohl nur peripher etwas mit der Qualität des Films zu tun. Denn wo Sciammas im 18. Jahrhundert angesiedeltes, lesbisches Liebesdrama sehr eindeutig in seiner feministischen Haltung ist, man sofort versteht, worauf sie mit ihrem Film hinauswill, eckt Zlotowski mit ihrem Feminismus viel stärker an, weil er sich eben keinem der vorherrschenden Narrative einfach so zuordnen lässt. Am Ende ist Zlotowski ähnlich frei und undurchschaubar wie ihre Titelfigur, die mit reichen Männern anbandelt, aber deshalb trotzdem nicht (zumindest nicht von der Regisseurin) moralisch beurteilt wird. Eine Provokation? Vielleicht. Aufregend anderes Kino? Auf jeden Fall.

    Naïma (rechts) ist völlig fasziniert von ihrer sechs Jahre älteren Cousine.

    Die 16-jährige Naïma (Mina Farid) verbringt den Sommer bei ihrer Mutter, die als Zimmermädchen im Luxus-Urlaubsort Cannes an der französischen Côte d’Azur arbeitet. Eigentlich soll auch Naïma in der Zeit im Hotel aushelfen, sich etwas dazuverdienen, sich darüber klar werden, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen möchte. Allerdings ist da ja auch noch ihre 22-jährige Cousine Sofia (Zahia Dehar), die sich von den Superreichen auf ihre Luxusyachten einladen lässt und dafür oft teure Geschenke erhält. Naïma ist fasziniert von dem vermeintlich glamourösen Lebensstil und begleitet ihre Cousine schließlich sogar auf einen Yachttrip mit dem millionenschweren Unternehmer Andres Monteiro (Nuno Lopes) und dessen rechter Hand Philippe (Benoît Magimel)…

    Sommerfilme – von Eric Rohmers „Claires Knie“ bis Francois Ozons „Swimming Pool“ – haben in Frankreich eine ganz andere Tradition als in Deutschland, weil dort fast jeder (zur selben Zeit) der Hitze der Großstädte entflieht, um in der Provinz oder an der Küste Urlaub zu machen. Die meisten dieser Filme, zumindest die besseren, zeichnet dabei eine erstaunliche Leichtigkeit aus – und am Ende stellt sich trotzdem das Gefühl ein, die Figuren seien reifer oder gar erwachsen geworden. „Ein leichtes Mädchen“ steht ebenfalls in dieser Tradition – und Zlotowski denkt gar nicht daran, auch nur ein bisschen von dieser Leichtigkeit aufzugeben, nur weil eine ihrer Protagonistinnen quasi der Prostitution nachgeht. Ganz im Gegenteil: Als darauf trainierter Zuschauer wartet man angesichts der Thematik die ganze Zeit auf den großen Knall, den Absturz, die Bestrafung oder die Errettung, aber man wartet vergeblich. Die Sonne von Cannes scheint einfach immer weiter.

    Bekanntes Bild: reiche Männer mit jungen hübschen Frauen.

    Die Schauspielerin für ihre Titelrolle hat Zlotowski auf Instagram entdeckt – und das passt perfekt, schließlich nimmt Sofia für sich selbst heraus, die meiste Zeit gar nicht mehr als Projektionsfläche sein zu wollen. Sie ist weder Opfer noch die Hure mit dem Herz aus Gold, sie lässt sich überhaupt nicht in eine der schon mit einem passenden Label versehenen Schubladen einsortieren. Deshalb ist auch der deutsche Titel gut gewählt (was ja selten genug vorkommt): Denn natürlich ist ein leichtes Mädchen zuvorderst ein alter Ausdruck für eine Prostituierte. Zugleich beschreibt er aber auch die Leichtigkeit, mit der Sofia das Leben nimmt. Einfach so, ganz hedonistisch, ohne schlechtes Gewissen. Nur einmal, als eine reiche Kunstsammlerin (Clotilde Courau) meint, demütigend auf die herabschauen zu können, lässt sie ganz kurz durchblitzen, was sie intellektuell draufhat. Aber eben auch nur einmal, ansonsten lässt sie solche Nebensächlichkeiten einfach an ihrem perfekt gestylten Äußeren abprallen.

    Freischwimmen von Franck Ribery

    Zumindest ein Stück weit ist dieses Leben natürlich auch das von Zahia Dehar selbst. Schließlich ist die inzwischen 27-Jährige das erste Mal zu „Berühmtheit“ gekommen, als sie vor zehn Jahren als minderjähriges Escort-Girl in den Sexskandal um einige französische Fußballstars inklusive dem damaligen Bayern-München-Superstar Franck Ribery verwickelt wurde. Das Wissen um diese realen Hintergründe verleihen ihrer eh schon faszinierenden Rolle nur noch eine weitere Ebene. Die eigentliche Protagonistin, also die Schülerin Naïma, die sich zwischen dem Sommerjob, einem Versprechen gegenüber ihrem besten Freund Dodo (Lakdhar Dridi) und den Luxusausflügen mit ihrer Cousine entscheiden muss, fungiert hingegen vor allem als Identifikationsfigur und Eintrittskarte für den Zuschauer in die Welt der Superreichen. Das kennt man aus den typischeren Sommerfilmen, wie sie andere, weniger radikale Regisseure drehen und dafür den Applaus bekommen, den eigentlich Rebecca Zlotowski für das außergewöhnliches Porträt ihres „leichten Mädchens“ verdient hätte.

    Fazit: Rebecca Zlotowski ist im feministischen Kino eine Außenseiterin – aber gerade das macht ihre Werke wie nun auch ihren sommerlichen Coming-of-Age-Film „Ein leichtes Mädchen“ so aufregend.

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