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    Gott existiert, ihr Name ist Petrunya
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Gott existiert, ihr Name ist Petrunya

    Nieder mit dem Patriarchat!

    Von Christoph Petersen

    Die mazedonische Drehbuchautorin und Regisseurin Teona Strugar Mitevska („The Woman Who Brushed Off Her Tears“) geht in ihrem Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ nicht gerade subtil vor. Trotzdem ist ihr satirisches Drama über eine trotzige Frau Anfang 30 und das über sie außer Rand und Band geratende Patriarchat nie platt, sondern in seiner reduzierten Konzentriertheit ungemein kraftvoll. Dabei braucht es erstaunlicherweise nicht mehr als einen buchstäblichen Sprung ins kalte Wasser, um Jahrhunderte alte religiöse und patriarchale Strukturen an ihre Grenzen zu bringen. Eine orthodoxe Tradition, an deren ursprüngliche Bedeutung sowieso niemand mehr glaubt; eine Horde barbrüstiger Männer, die Gott vor allem als Ausrede für ein Saufgelage im Pub ansieht; und eine Frau, die den Kerlen ihr Spielzeug wegnimmt – das sind die Zutaten, um in der in vielerlei Hinsicht noch immer im Mittelalter verhafteten ehemaligen jugoslawischen Republik eine halbe Staatskrise auszulösen.

    Petrunya (herausragend: Zorica Nusheva) hat keine Lust aufzustehen. Die 32-Jährige ist übergewichtig, wohnt noch bei ihren Eltern und hat trotz ihres Geschichtsdiploms noch nie einen Job gehabt. Als ihr dann auch noch ein potentieller Arbeitgeber beim Vorstellungsgespräch zwischen die Beine greift, nur um ihr anschließend zu sagen, dass er sie eh nie ficken würde, scheint sie endgültig ganz unten angekommen zu sein. Aber dann gerät Petrunya auf dem Heimweg mitten hinein in eine Gruppe halbnackter Typen, die sich trotz Temperaturen um den Gefrierpunkt auf dem Weg zum Fluss befinden: Es ist Dreikönigstag und das traditionelle Kreuztauchen steht an, bei dem der Priester ein geweihtes Kreuz ins Wasser wirft und der Mann, der es als erster wieder herausfischt, ein Jahr lang großes Glück haben wird. Spontan hopst auch Petrunya in den Fluss und schnappt sich tatsächlich als erste das Kreuz – mit weitreichenden Folgen, die neben der Kirche auch die Polizei, die Medien und einen wütenden Männermob auf den Plan rufen...

    Einfach nur dasitzen und – durchaus ein wenig bockig – auf dem eigenen Recht beharren. Das ist eigentlich alles, was Petrunya in der Polizeistation macht, die sich mit dem grölenden Mob vor der Tür immer mehr in Richtung von John Carpenters „Assault – Anschlag bei Nacht“ entwickelt. Und als sie sich nach ihrer ersten Entlassung mit dem Kreuz in der Tasche ihren Weg durch die hasserfüllte Männermasse bahnt, dann erinnert die Szene ganz sicher nicht zufällig an Jesus' Gang nach Golgatha, wo er mit einem Kreuz auf dem Rücken den Schlägen und Demütigungen der Schaulustigen ausgesetzt war. Strugar Mitevska macht bei ihrer Attacke auf die eingefahrenen patriarchalen Strukturen ihres Landes keinen Gefangenen – und trotzdem macht sie es sich längst nicht so einfach, dass man „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ als platt bezeichnen könnte.

    Das fängt schon mit der Wahl der zunächst nicht gerade zur Identifikation einladenden Protagonistin an. Gleich in der ersten Szene nach der Titeleinblendung sehen wir, wie sie sich noch vor dem Aufstehen unter der Bettdecke das Essen reinschiebt. Auch nach ihrer Verhaftung taugt sie im Verhörraum des Präsidiums lange Zeit nicht als klassische Filmheldin. Stattdessen bleibt sie passiv und bockig. Während ihr die Medien und die Nachbarn sonst was für Motive andichten, weiß sie selbst gar nicht so genau, warum sie eigentlich ins Wasser gesprungen ist. Ein Zeichen wollte sie damit jedenfalls ganz sicher nicht setzen. Trotzdem glaubt sie, dass das Kreuz das Einzige ist, worauf sie in ihrem verkorksten Leben stolz sein kann. Aber sobald sich das ändert, sie gerade durch die ständigen Abwertungen der Mitmenschen ihren eigenen Wert erkennt und sich immer keckere Sprüche gegenüber den Autoritäten erlaubt, kann sie sich der Anfeuerungsrufen des Publikums absolut sicher sein.

    Auch die Autoritätsfiguren selbst sind erstaunlich ambivalent (wenn auch ganz sicher nicht sympathisch). Der Chefinspektor (Simeon Moni Damevski) achtet weitgehend das Gesetz, aber setzt trotzdem alles daran, dass Petrunya das Kreuz freiwillig herausrückt. Nicht weil er etwas gegen sie hat, sondern weil es viel leichter ist, Druck auf eine einsam dasitzende Frau als auf einen gewaltbereiten Mob auszuüben. Etwas ähnliches gilt für den Priester, der am Fluss sogar zunächst befiehlt, ihr das Kreuz zurückzugeben, bevor er immer mehr Druck von oben (nicht Gott persönlich, nur seine Vorgesetzten) bekommt. Allerdings unterstreicht es die klagende Aussage von „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ nur noch, dass nicht alle nur scheiße sind: Mit den falschen Strukturen reichen eben auch ein paar Arschlöcher, um das Leben für alle unerträglich zu machen.

    Am Ende steht kein großer Sieg, keine umstürzlerische Rebellion, kein erster Schritt zu einer besseren Welt. Stattdessen feiert Petrunya einen kleinen Triumph ganz für sich selbst, ohne dass es wirklich jemand mitbekommt. Außer dem Zuschauer im Kino natürlich, der so doch erstaunlich hoffnungsvoll aus dem dunklen Saal entlassen wird. Dafür hat sich das Aufstehen doch gelohnt.

    Fazit: Eine bitterböse Abrechnung mit dem Patriarchat und ein kraftvolles Plädoyer für ein wenig mehr Widerspenstigkeit.

    Wir haben „Gott existiert, ihr Name ist Petrunya“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

     

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