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    Tatort: Nemesis
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Nemesis

    Auf den Spuren von "Funny Games"

    Von Lars-Christian Daniels

    Das nennt man wohl einen Einstand nach Maß: Schon der erste „Tatort“-Auftritt von Cornelia Gröschel („Lerchenberg“), die im April 2019 im Krimi aus Dresden die Nachfolge von Alwara Höfels angetreten hat, erwies sich als absoluter Volltreffer: Der spannende und auffallend düster inszenierte Serienmörder-Tatort „Das Nest“ fand nicht nur beim TV-Publikum großen Anklang, sondern wurde auch von vielen TV-Kritikern gelobt – ein überzeugendes Debüt, auf das sich in Sachsen für die nächsten Fälle aufbauen lässt. Auch der zweite Fadenkreuzkrimi mit Gröschel, der zugleich das Ende der diesjährigen Sommerpause der ARD markiert, kann sich wieder sehen lassen: Stephan WagnersTatort: Nemesis“ ist eine hervorragend besetzte Kreuzung aus klassischem Krimi und beklemmendem Psychodrama, das allerdings ein wenig unter seiner Vorhersehbarkeit leidet.

    Der Dresdner Szenegastronom Joachim „Jojo“ Benda wird tot in seinem Büro gefunden – man hat ihn aus nächster Nähe erschossen. Für die Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Leonie Winkler (Cornelia Gröschel), die bei den Ermittlungen von Gerichtsmediziner Falko Lammert (Peter Trabner) und Kriminaltechniker Ingo Mommsen (Leon Ullrich) unterstützt werden, sieht alles nach einer Hinrichtung aus: Benda war von der Mafia um Schutzgeld erpresst worden und musste auch um das Leben seiner Frau Katharina (Britta Hammelstein) und seiner Söhne Viktor (Juri Sam Winkler) und Valentin (Caspar Hoffmann) bangen. Die Spur führt zum einflussreichen Levon Nazarian (Marko Dyrlich), dessen Kreditkarte am Tatort gefunden wurde und der in dem Lokal ebenso Stammgast war wie Winklers pensionierter Vater Otto (Uwe Preuss) und Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach), der Benda gut kannte. Als dann noch ein Projektil vom Tatort mit einer Waffe in Verbindung gebracht werden kann, die auch bei einem Mord im Rotlichtmilieu benutzt wurde, scheint der Fall endgültig klar …

    Karin Gorniak und Leonie Winkler wirken schon bei ihrem zweiten Fall wie ein lange eingespieltes Team.

    Sicher ist nur, dass nichts sicher ist“, fasst Gorniak die Erkenntnisse aus der Tatort-Besichtigung trotzdem pragmatisch zusammen – und bringt früh auf den Punkt, was für die Grundausrichtung dieses recht klassisch arrangierten Whodunits kennzeichnend ist. Denn wenn in einem „Tatort“ anfangs alles eindeutig aussieht, die Filmemacher aber hinter dem Rücken der Ermittler einen zweiten Handlungsstrang eröffnen, muss man kein ausgewiesener Krimiexperte sein, um zu erahnen, wo der Hase später noch lang läuft. Zwar räumt Regisseur und Drehbuchautor Stephan Wagner („Der Fall Jakob von Metzler“), der die Geschichte zu seinem fünften „Tatort“ gemeinsam mit Mark Monheim geschrieben hat, der offensichtlich falschen Fährte um Bendas zwielichtige Geschäfte und der freundschaftlichen Beziehung zu Winklers Vater Otto und Kripochef Schnabel ausgiebig Zeit ein, doch schürt das kaum zusätzliche Brisanz: Der Vater der Kommissarin bügelt kritische Nachfragen seiner Tochter einfach ab, während Schnabel in aller Knappheit einräumt, nicht jede Rechnung im Restaurant ordnungsgemäß bezahlt zu haben. Viel interessanter gestaltet sich das, was Gorniak und Winkler verborgen bleibt und lange Zeit nur der Zuschauer sehen darf.

    Denn im Hause Benda liegt manches im Argen: Die enge Beziehung der trauernden Witwe zu ihren Söhnen und das gemeinsame Verarbeiten des Verlusts von Mann und Vater wirft Fragen auf, die diesen „Tatort“ besonders im Mittelteil zu einer sehr reizvollen Angelegenheit machen – und die erst auf der Zielgeraden beantwortet werden. Warum darf Valentin im Bett der Mutter schlafen, der verängstigte Viktor aber nicht? Warum weiß Valentin seinen älteren Bruder so geschickt zu manipulieren? Und was geschah wirklich, als Schutzgelderpresser aufgekreuzt sind und die Familie unter Druck gesetzt haben? Der Krimititel „Nemesis“ und einige entlarvende Nebensätze nehmen hier manches vorweg, so dass sich am Ende nicht die ganz große Verblüffung einstellt, und doch weiß das wuchtige Psychodrama von Beginn an mitzureißen. Zu den beklemmendsten Momenten zählt eine Sequenz, die in ihrer Perfidität auch aus „Funny Games“ hätte stammen können: Katharina Benda, großartig gespielt von Britta Hammelstein („Ferien“), zwingt ihren Sohn dazu, nackt in die Badewanne zu steigen – das Wasser aber ist so heiß, dass sich das Kind sofort darin verbrühen würde. Echten Zugang zum Seelenleben der launischen Mutter finden wir aber auch aufgrund der fehlenden Vorgeschichte nicht – was schade ist, weil sie die Schlüsselfigur in diesem Krimi ist.

    Als hätten sie nie etwas anderes gemacht

    Das neu formierte Ermittlerteam wirkt hingegen beim zweiten Einsatz so eingespielt, als würde es schon jahrelang zusammen ermitteln: Während Gorniak sich etwas zurücknimmt und ihr Sohn Aaron (Alessandro Schuster) gar nicht erst dabei ist, sorgt Rechtsmediziner Lammert für den einen oder anderen Lacher. Neuling Winkler wiederum wirkt bei den Gesprächen mit ihrem Vater deutlich gefestigter als bei ihrem ersten „Tatort“-Auftritt und scheut auch nicht davor zurück, im Präsidium Widerworte zu geben. Bei Schnabel, der durch die persönliche Bindung zum Mordopfer noch emotionaler an den Fall herangeht als ohnehin schon, tragen die Filmemacher aber wieder zu dick auf: Moderne Führungsqualitäten lässt der Choleriker vermissen, sein militärischer Befehlston wirkt wie aus der Zeit gefallen und nach seinen Wutanfällen lässt sich die Uhr stellen. Dennoch ist der Dresdner „Tatort“ nach den durchwachsenen Anfangsjahren auf einem guten Weg – nur über Land und Leute erfahren wir auch in diesem Krimi wenig. Winklers Jogging am Elbufer, das bei den Fans der Reihe sofort Erinnerungen an die Laufeinheiten der Ludwigshafener „Tatort“-Kollegin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) am Rhein wecken dürfte, bleiben nämlich ebenso substanzlose Postkarten-Kulissen wie die einleitenden Aufnahmen in der Dresdner Altstadt.

    Fazit: Der „Tatort“ ist zurück aus der Sommerpause – und macht mit einem gelungenen Fall aus Dresden direkt Lust auf die kommende Krimi-Saison.

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