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    Showing Up
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Showing Up

    Michelle Williams macht Kunst und kümmert sich um eine Taube

    Von Christoph Petersen

    Die nach „Wendy And Lucy“, „Meek’s Cutoff“ und „Certain Women“ bereits vierte Zusammenarbeit von Kelly Reichardt („First Cow“) und ihrer Lieblings-Hauptdarstellerin Michelle Williams sollte eigentlich ein Biopic über eine reale Künstlerin werden. Wobei es gerade nicht darum ging, einer möglichst berühmten Persönlichkeit die Leinwand-Ehre zu erweisen: Stattdessen sollte eine möglichst obskure Malerin im Zentrum stehen. Nicht die übliche Aufstieg-und-Fall-eines-Genies-Geschichte also, sondern ein Film über die ganz alltäglichen Herausforderungen, wenn man sich auf einer regional eng begrenzen Kunstbühne zu behaupten versucht.

    Doch dann stellte Reichardt bei einem Besuch in Vancouver fest, dass die von ihr ausgeschaute Emily Carr in ihrer kanadischen Heimat längst nicht so unbekannt ist, wie die Regisseurin sich das vorgestellt hatte – und so spielt Michelle Williams in dem feinsinnig-lakonischen „Showing Up“ nun eine fiktive Bildhauerin, die sich ihren Werken zwar mit einer genuinen Ernsthaftigkeit widmet, dabei aber nicht nach internationalem Ruhm strebt, sondern schon glücklich ist, wenn bei einer lokalen Ausstellung vielleicht zwei Dutzend Bekannte und Familienmitglieder auftauchen.

    Lizzie (Mcihelle Williams) legt noch letzte Hand an, um die Skulpturen für ihre Ausstellung in Form zu bringen.

    Neben ihrer Passion als Bildhauerin arbeitet Lizzie Carr (Michelle Williams) auch noch als Sekretärin im Oregon College Of Art And Craft, das von ihrer eigenen Mutter Jean (Maryann Plunkett) geleitet wird. Ihr bleiben nur noch wenige Tage, um die Tonskulpturen für eine anstehende Ausstellung fertigzustellen. Zugleich muss sie sich aber auch noch um allerlei andere Dinge kümmern: Ihr Bruder (John Magaro) gräbt ein tiefes Loch in seinem Garten, weil er in seinem paranoiden Wahn glaubt, dass seine Nachbar*innen ihm Böses wollen. Ihr alleinlebender Vater Bill (Judd Hirsch) hat unterdessen zwei mysteriöse Gäste (Amanda Plummer, Matt Malloy) bei sich einquartiert.

    Außerdem ist der Warmwasser-Boiler kaputt, weshalb sich Lizzie – zunehmend passiv-aggressiv – an ihre Vermieterin und Künstler-Kollegin Jo (Hong Chau) wendet. Am meisten Zeit kostet sie allerdings die Taube mit einem gebrochenen Flügel, die ihre Katze in der vergangenen Nacht in ihre Wohnung geschleppt hat. Zwar schmiss Lizzie das verletzte Tier sofort aus dem Fenster, damit es bitte „woanders sterben möge“. Aber Jo hat es gefunden – und bittet Lizzie nun, sich in ihrer Abwesenheit um den verletzten Vogel zu kümmern…

    Der Humor köchelt auf Sparflamme

    Die Charaktere in „Showing Up“ sind schon alle ein wenig schrullig – und wenn Lizzie es mit ihrer passiv-aggressiven Art mal übertreibt oder sie plötzlich die Taube verarzten muss, die sie in der vorherigen Nacht noch ihrem Schicksal überlassen wollte, gibt es sogar Anflüge von trockenem, wenn nicht gar schwarzem Humor. Aber Kelly Reichardt hat offensichtlich nicht das geringste Interesse daran, sich in die skurrileren Elemente ihres Figurenensembles oder des lokalen Kunstbetriebs hineinzusteigern. Stattdessen lässt sich „Showing Up“ wohl am besten als konsequent mild-amüsant beschreiben. Es ist ein durchgängiges, gedämpftes Plätschern, das entweder seinen ganz eigenen sympathischen Sog entwickelt – oder in einem das Gefühl auslöst, hier dem bisher am wenigsten substantiellen Film der Auteurin beizuwohnen.

    Zum Glück gibt es da ja aber auch noch Michelle Williams (Oscar für „Manchester By The Sea“), die Lizzie trotz der vermeintlichen Simplizität des Plots mit einer erstaunlichen Ambivalenz verkörpert. Es ist auf jeden Fall lange nicht klar, ob man sie nun eigentlich mögen soll oder nicht – genauso wenig durschaut man auf Anhieb, ob sie all die kleinen und großen Katastrophen nicht doch nur nutzt, um sich nicht ihrer Kunst und der nahenden Deadline zuwenden zu müssen. Und dass man dem „Venom“-Star auch stundenlang dabei zusehen könnte, wie sie sich um eine Taube mit verbundenem Flügel kümmert, steht ja wohl ohnehin außer Frage.

    Die Kunst steht für sich

    Während die Künstler*innen zumindest an den Rändern leicht karikaturartige Züge aufweisen, gibt es in „Showing Up“ nicht mal die allerkleinste Pointe, die auf Kosten ihrer Kunstwerke geht. Selbst ein Workshop mit dem zur Veräppelung ja regelrecht einladenden Titel „Thinking And Movement“ wird hier nicht mal im Ansatz der Lächerlichkeit preisgegeben. Stattdessen lässt Kelly Reichardt die präsentierten Werke, also vor allem Lizzies Skulpturen und Jos an Traumfänger erinnernde Wandinstallationen, vollkommen für sich stehen.

    In so ziemlich jedem anderen Film zum Thema Kunst übernimmt eine Expertenfigur den Job, dem Publikum zu erklären, ob es die Werke nun toll finden soll oder nicht. Aber in „Showing Up“ gibt es abseits der höflichen Floskeln, die man bei solchen Vernissagen unter Kolleg*innen eben so austauscht, keinerlei Hinweise darauf, ob die Kunstwerke innerhalb der Welt des Films etwas taugen oder nicht. Das zu beurteilen, überlässt Reichardt ganz allein ihren Zuschauer*innen. Diese Zurückhaltung ist nicht nur grundsympathisch – sie ist auch ein guter Hinweis darauf, für welche Art von Publikum „Showing Up“ geeignet ist und für welches nicht.

    Fazit: Eine ebenso lakonische wie zärtliche, konstant mild-amüsant Ode an all die unbekannten Künstler*innen dort draußen.

    Wir haben „Showing Up“ auf dem Cannes Filmfestival 2022 gesehen, wo er als Teil des Offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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