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    Not Okay
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Not Okay

    Tut beim Zuschauen weh – und das ist gut so!

    Von Christoph Petersen

    Trigger-Warnungen sind ja schon länger keine Seltenheit mehr. Gerade beim auf Familientauglichkeit bedachten Streaming-Service Disney+ wird sogar sehr reichlich davon Gebrauch gemacht. Aber so eine Vorab-Warnung wie bei „Not Okay“ liest man trotzdem nicht allzu oft: Neben blinkenden Lichtern und der Trauma-Thematik des Films wird dort nämlich auch auf eine „unsympathische weibliche Hauptfigur“ hingewiesen. Ob es nun generell angebracht ist, vor dem (nicht) vorhandenen Sympathiepotenzial einer Figur zu warnen, soll an dieser Stelle gar nicht weiter verhandelt werden. Auf jeden Fall aber ist der Hinweis selbst definitiv keine Übertreibung – ganz im Gegenteil:

    Zoey Deutch ist als naiv-egozentrisches Fake-Terror-Opfer zumindest in den ersten zwei Dritteln von „Not Okay“ derart cringe, dass der Autor dieser Kritik ganze Teile des Films nur durch seine Finger hindurch angucken konnte (und an zwei Stellen sogar kurz auf Pause drücken musste, weil es einfach nicht mehr auszuhalten war). Aber das Durchhalten lohnt sich – und zwar nicht nur wegen der köstlichen Performance des blondierten „Maze Runner“-Stars Dylan O'Brien, der hier als dauerkiffende Influencer-Karikatur seinen inneren Pete Davidson rauslässt: Die erst 27-jährige Autorin und Regisseurin Quinn Shephard liefert mit ihrem zweiten Spielfilm nach „Blame – Verbotenes Verlangen“ schließlich eine bitterböse Social-Media-Satire, die sich gewaschen hat – und dabei glücklicherweise keine (allzu) leichten Antworten liefert.

    Danni (Zoey Deutch) denkt sich – wie eigentlich bei allem, was sie tut – nichts weiter dabei, als sie die Fotos für ihren Fake-Trip nach Paris inszeniert.

    Die aus einer wohlhabenden Familie stammende Foto-Redakteurin Danni Sanders (Zoey Deutch) sieht ihre Zukunft als erfolgreiche Influencer-Autorin mit unzähligen Followern. In Wahrheit aber ist sie dermaßen selbstbezogen, dass sie es nicht einmal mitbekommt, als ihre Chefin bei einem nach viralen Hits hechelnden Online-Portal sie feuern will: In einem Artikel über Dinge, die sie in ihrem Leben am meisten bereut, hatte Danni nämlich allen Ernstes aufgeführt, damals die Anschläge vom 11. September wegen eines Familien-Urlaubs „verpasst zu haben“. Seither vermisse sie das Zusammengehörigkeitsgefühl, das außer ihr alle New Yorker*innen wegen der eingestürzten Twin Towers verbinden würde.

    Weil zudem Colin (Dylan O'Brien), der Star-Influencer der Redaktion, sie einfach nicht beachtet, beschließt Danni, ihr Instagram-Profil ein wenig aufzupeppen – und zwar mit einem aufregenden Trip nach Paris, den sie mit Hilfe ihrer Photoshop-Kenntnisse und eines Green Screens in ihrem eigenen Appartement in Szene setzt. Was zunächst noch als vergleichsweise harmloser Fake beginnt, nimmt schon bald ernsthaftere Züge an: Nur wenige Minuten, nachdem sie ihr Fake-Bild vor dem Eiffelturm gepostet hat, findet dort ein verheerender Terroranschlag statt – und Danni kommt über Nacht zu beträchtlichem Online-Ruhm als „die Überlebende der Bomben von Paris“…

    Aufmerksamkeit um jeden Preis

    „Not Okay“ erscheint bei Disney+ nur wenige Tage, nachdem der rechte Verschwörungstheorie-Brüller Alex Jones zu einer Zahlung von mehr als 40 Millionen Dollar verurteilt wurde, weil er immer wieder behauptet hatte, dass das Massaker in der Grundschule Sandy Hook gar nicht stattgefunden habe und die trauernden Eltern der getöteten Kinder in Wahrheit nur Schauspieler*innen seien. Ist es da nicht schlechtes Timing, ausgerechnet jetzt einen Film über ein Fake-Terroropfer zu veröffentlichen? Vielleicht. Aber dann gäbe es wahrscheinlich gar keinen passenden Zeitpunkt, um „Not Okay“ rauszubringen. Quinn Shephard wurde zwar von den realen Fällen der Instagram-Influencerin Caroline Calloway und der Trickbetrügerin Anna Delvey (der Protagonistin der Netflix-Serie „Inventing Anna“) zu ihrem Skript inspiriert, aber das Ergebnis ist eben weder True Crime noch eine einfach zu interpretierende Social-Media-ist-scheiße-Satire.

    Stattdessen teilt „Not Okay“ in alle Richtungen aus. Klar kriegen die hohlen Influencer-Brigaden, die sich für eine Partyeinladung bereitwillig mit jedem noch so bescheuerten Produkt ablichten lassen (in diesem Fall eine elektrische Zahnschiene zum Bleaching), ordentlich ihr Fett weg – ein leichtes, sicheres Ziel. Auf der anderen Seite geht es aber auch um den „Trauma-Kult“ in den Sozialen Medien. Schließlich springen alle sofort blind auf den Hype-Zug auf, als Danni unter dem Hashtag #NotOkay ihr eigenes Online-Movement startet – und damit begibt sich Quinn Shephard dann doch in deutlich gefährlichere Gewässer. Da braut sich womöglich auch der eine oder andere Shitstorm in ihre Richtung am Horizont zusammen. Trotzdem ist „Not Okay“ in der ersten Hälfte vor allem eine bitter-bitter-böse Satire mit hohem Tempo, die auf ihre abgründige Art und mit einem siebenendige Joints paffenden Dylan O'Brien ganz prächtig unterhält.

    Als viral gegangene Terror-Überlebende wird Danni zu all den coolen Influencer-Partys eingeladen – wie etwa hier für ein elektrisches Zahnbleaching-Gerät.

    „Not Okay“ beginnt mit Video-Schnipseln, in denen Influencer*innen über Danni Sanders herziehen – und da wir das Objekt des gewaltigen Social-Media-Shitstorms zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kennen, erscheint es schon verdammt harsch, wenn einer der YouTuber erklärt, dass sie sogar schlimmer als Hitler sei, andere sogar ihren Tod fordern. Aber im besten Sinne cringe wird der Film erst dann, wenn er Danni, die die Pille danach mit Coke Light runterspült, auf der Suche nach Inspiration für ihren nächsten Artikel in eine Selbsthilfegruppe für Trauma-Überlebende führt: Hier trifft sie auf die Teenagerin Rowan (großartig: Mia Isaac), eine Anti-Gun-Aktivistin, die selbst ein Schulmassaker überlebt hat, bei dem ihre Schwester aber ums Leben kam. Offensichtlich an die reale Aktivistin Amanda Gorman angelehnt, ist Rowan mit ihren kraftvollen Speech-Performances zur Ikone einer Bewegung geworden – selbst wenn sie bei jedem plötzlichen lauten Geräusch Panikattacken bekommt, sich zu jedem Auftritt durchringen muss, nur mit schwerer Security zu den Veranstaltungsorten kann.

    In diesem Clash der zwei Seiten des Strebens nach (Social-Media-)Reichweite – einmal für den persönlichen Ruhm, einmal für die Verbesserung der Welt für alle – erreicht „Not Okay“ seinen (emotionalen) Höhepunkt. Und einige Zeit sieht es so aus, als würde Danni hier ihren ganz persönlichen Redemption-Arc erleben – und damit fast noch zu so etwas wie der klassischen Heldin des Films werden, mit Rowan als traumatisierter Steigbügelhalterin für die Selbsterkenntnis der wohlbehüteten weißen Protagonistin. Aber Pustekuchen! Quinn Shephard ist zum Glück viel zu clever, um auf einen solchen Klischee-Fallstrick hereinzufallen – stattdessen weiß sie sehr genau, wem hier die letzten Worte gehören sollten, und die haben es abermals absolut in sich!

    Fazit: „Not Okay“ ist sehr viel komplexer als die üblichen Social-Media-Satiren, wo sich einfach nur über die Raffgier und Oberflächlichkeit der Influencer-Kultur lustig gemacht wird. So trifft hier sicherlich nicht jeder Gag das (richtige) Ziel, aber zumindest bleibt einem das Lachen immer wieder im Halse stecken und ums selber Mitdenken kommt man auch nicht herum.

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