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    Sundown - Geheimnisse in Acapulco
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Sundown - Geheimnisse in Acapulco

    Ein Anti-Urlaubsfilm

    Von Janick Nolting

    Etwas ist faul im Urlaubsparadies, das ahnt man schon nach der ersten Einstellung. Da liegen Fische auf dem Deck einer Yacht und schnappen in Großaufnahme ein letztes Mal nach Sauerstoff, während zwei Jugendliche vergnügt im Wasser plantschen. Wie ein böses Omen muten diese sterbenden Tiere an, mit denen Michel Franco seinen neuen Film eröffnet. Nach dem kontroversen dystopischen Thriller „New Order – Die neue Weltordnung“ wirft Franco einen erneut finsteren Blick auf sein Heimatland Mexiko. In „Sundown – Geheimnisse in Acapulco“ erzählt der Autorenfilmer wieder von Klassenkämpfen, Ausbeutung und trügerischen Fassaden, die mit drastischen Schicksalsschlägen eingerissen werden.

    Neil (Tim Roth) verbringt mit Alice (Charlotte Gainsbourg) und ihren Kindern einen Luxusurlaub in Acapulco. Sie genießen den Strand, die Sonne, wohltuende Massagen und das abendliche Unterhaltungsprogramm. Doch ihre Erholung wird schlagartig zunichtegemacht, als das Telefon klingelt. Etwas Schreckliches ist in der Heimat passiert, der Urlaub muss abgebrochen werden. Während Alice und die Kinder den Rückflug nach London antreten wollen, fährt Neil mit einem Taxi zum Hotel zurück: Angeblich hat er dort seinen Pass vergessen. Doch er denkt gar nicht daran, seiner Familie nachzureisen…

    Wegen eines Trauerfalls in der Heimat muss die Familie den Rückflug aus dem (vermeintlichen) Urlaubsparadies antreten.

    Wer nach dieser eher vagen Inhaltszusammenfassung fragend die Stirn runzelt, kommt dem Sehgefühl schon sehr nahe, mit dem einen Michel Franco hinters Licht führen will. „Sundown“ schwelgt in seiner Rätselhaftigkeit, die erst nach und einen Einblick in das gestörte Familiengeflecht gewährt, das schon nach wenigen Minuten ins Unglück stürzt. Obwohl die Handlung rückblickend eigentlich recht simpel gestrickt ist, wenn sie erst einmal zu ihrem Kern gelangt, entpuppt sich die geduldig brodelnde Verunsicherung als große Stärke von „Sundown“ – gerade nach dem aggressiven, aber leider auch etwas plumpen „New Order“, dem Vorgängerwerk des Regisseurs.

    Vier erzählerische Akte zerfließen hier ineinander. Michel Franco verwebt das beschriebene Ende eines Urlaubs mit einer bedächtigen Aussteigerfantasie, einer Gefängnisgeschichte und schließlich einem trostlosen Epilog, der das Drama seiner Hauptfigur nur noch weiter in die Schwebe bringt. Simple Thriller-Genrekonventionen sind damit schon von vornherein durchkreuzt. Das Unzuverlässige und Kryptische seiner Erzählweise lenkt den Blick umso stärker auf die gesellschaftlichen Schräglagen, denen sich „Sundown“ anzunähern versucht.

    Gescheiterte Weltflucht

    Franco rechnet hier mit westlichem Tourismus ab. Schon die anfängliche Montage, die auch aus einem Werbevideo für ein teures Ferienressort stammen könnte, besitzt etwas seltsam Trostloses. Trotz sommerlicher Hitze will es einfach nicht warm werden in diesen Bildern. Sie zeigen leere Rituale aus einer künstlichen Welt, in die sich die Wohlhabenden zurückziehen, um vor ihren Problemen davonzulaufen. Wenn sich Tim Roths Figur später von seinen Mitreisenden absetzt, dann birgt das ebenfalls nur wenig Paradiesisches. Mit einer einheimischen Frau beginnt er eine Affäre, doch das finanzielle Machtgefälle treibt einen unsichtbaren Keil zwischen beide.

    Roth („Bergman Island“) spielt dabei mit eindrucksvoller Präsenz jemanden, der schon gar nicht mehr richtig im Hier und Jetzt zu leben scheint. Nur selten brechen die Emotionen aus ihm heraus, wortkarg und gelangweilt durchwandelt er das Urlaubsparadies wie ein Untoter. Im Liegestuhl am Strand stiert er ins Leere, als wäre er versteinert in seiner Misere. Die angestrebte Flucht aus dem gewohnten Alltag ist schließlich ein einziges Hirngespinst. Alte Kämpfe werden nur an andere, exotische Schauplätze verlagert, während man blind für die Probleme außerhalb der eigenen Luxus-Blase ist. Bandenkriege, Armut, Kriminalität brodeln im Hintergrund. Punktuell werden sich beide Welten einander bewusst, dann kommt es zu erschreckenden Gewaltausbrüchen. Doch auch ihnen begegnet man vor allem mit Gleichgültigkeit. Die Konflikte sind längst als Normalzustand akzeptiert.

    Statt mit seiner Familie zurückzufliegen, stürzt sich Neil (Tim Roth) in eine Affäre mit der einheimischen Berenice (Iazua Larios).

    „Sundown“ ist deshalb so verstörend, weil er besagte Gleichgültigkeit und Lethargie auch in seine Inszenierung übernimmt. Ihm geht es nicht vorrangig darum, dass sich das Publikum in die Charaktere einfühlen könnte. Im Gegenteil! Die Kamera ist in Michel Francos Film die meiste Zeit nüchtern distanzierter Beobachter, der genauso irritiert auf die fragmentarischen Ausschnitte schaut wie das Kinopublikum. Und so wirkt jede emotionale Krise in diesen Zustandserkundungen wie ein groteskes Schmierentheater, weil ihre Hintergründe nur schrittweise offenbar werden.

    Zerfall einer Familie

    Francos Ergründung gegenwärtiger Ausbeutungen in Gestalt des Tourismus erreicht etwa nicht die Tiefe und Schwere wie ein „Paradies: Liebe“ von Ulrich Seidl. Dafür will die Verdichtung all der Beobachtungen doch nicht vollends glücken. Nichtsdestotrotz unternimmt „Sundown“ irgendwann eine interessante thematische Fokussierung, wenn er sich an den versuchten Ausbruch aus jenen Strukturen wagt. In den Trümmerteilen des Sommerurlaubes findet Franco die Geschichte eines zerfallenden Familienunternehmens – und zwar ausgerechnet ein Schlachtbetrieb. Ein leerer, zerstörerischer Kreislauf des Erbens spielt sich dort ab, in dem die Bürde der Verantwortung von einer Person zur nächsten hin- und hergeschoben wird. Was bleibt, ist allein das Verhandeln um letzte finanzielle Abfindungen.

    Trotz solcher Bilder und des Titels ist "Sundown" ein waschechter Anti-Urlaubsfilm.

    Welche Rolle Tim Roths Figur in dem ganzen Niedergangsprozess spielt, bleibt wunderbar zwielichtig. Vielleicht ist er ja tatsächlich der manipulativste Strippenzieher? Oder doch ein Märtyrer, der die Katastrophe, die sich im Laufe von „Sundown“ entfaltet, stoisch über sich ergehen lässt, um aus diesem Kreislauf auszubrechen? Man weiß das bei Michel Franco nie so genau. Die Befriedigung simpler Auflösungen gönnt er weder seinen Figuren noch dem Publikum. Seine Erzählebenen, die der Familie und die ihrer Rolle auf dem globalen Parkett, geben längst nicht alle Geheimnisse preis.

    Vielleicht muss man „Sundown“ ohnehin mehr von der Logik eines Albtraums her denken. Der erste Satz im Film lautet: „Wach auf!“ Wahrscheinlich ist das schon die erste trügerische Falle in diesem fiebrigen Werk, in dem alle ein wenig zu viel UV-Strahlung abbekommen zu haben scheinen. Irgendwann lässt sich die unternehmerische, kapitalistische Ideologie seiner Welt wörtlich wie sonnenverbrannte Hautreste abziehen. Bis diese unaufhaltsame Abwärtsspirale auf ein meisterhaft gespenstisches Tableau zusteuert, in dem sich selbst der Mensch als solches aufgelöst hat…

    Fazit: Auch wenn manche thematische Verschränkung etwas oberflächlich bleibt, gelingt Michel Franco mit „Sundown“ ein faszinierend konstruiertes Vexierspiel, das den anfänglichen Traum von touristischer Weltflucht auseinanderfallen lässt, um in die Abgründe unternehmerischer Machtverhältnisse einzutauchen.

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