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    Soft & Quiet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Soft & Quiet

    Wer es nicht mehr aushält, sollte einfach gehen

    Von Janick Nolting

    Der in Echtzeit ablaufende „Soft & Quiet” ist ein kalkulierter Skandal. Es braucht dazu noch nicht mal sonderlich viel Mühe, denn dafür ist das Thema viel zu brisant und emotional aufgeladen, das sich die Regisseurin Beth de Araújo für ihr Langfilmdebüt ausgesucht hat. Für die Horror-Erfolgsschmiede Blumhouse hat sie einen identitätspolitischen Horrorfilm gedreht, der in finsterste Abgründe von alltäglichem Rassismus und reaktionären Umsturzfantasien blickt. Aber wie es leider oft passiert mit der geplanten Empörung: Die Extreme, die de Araújo hier auslotet, bewirken schlussendlich das genaue Gegenteil. Eine ärgerliche Belanglosigkeit stellt sich ein, wo alles in Richtung emotionaler Überwältigung streben will.

    „Soft & Quiet“ verkennt recht schnell, dass seine eigentlichen Stärken in dem verhältnismäßig leicht verdaulichen, satirisch angehauchten Auftakt liegen. Der Film beginnt mit wunderbar irritierenden Suchbewegungen. Die Kamera schleicht Figuren hinterher, wechselt mehrfach die Richtungen, bis sie Seltsames aus der Ferne beobachtet: Ein kleiner Junge wird da von einer Frau auf eine Reinigungskraft angesetzt. Putzen verboten, solange noch jemand im Gebäude ist! Jemand könnte schließlich ausrutschen! Jetzt soll sich der Junge behaupten, eine Ansage machen, die Regeln durchsetzen. Schritt für Schritt wird offenbar werden, was die eigentliche Motivation hinter dieser befremdlichen Szene ist. Spätestens dann, wenn nach ungefähr einer Viertelstunde Film die Alufolie von einer Kuchen-Backform entfernt wird und Verstörendes preisgibt.

    Wenn Emily (Stefanie Estes) offenbart, was sie da für einen Kuchen gebacken hat, gibt es im Kino ein schockiertes Lachen, das einem sofort wieder im Halse stecken bleibt.

    Die erwähnte Frau heißt Emily (Stefanie Estes), eine Vorschullehrerin, die nach der Arbeit zu einem besonderen Treffen unterwegs ist. Emily hat dafür eine kleine Kirche mitten im Wald gemietet, wo bereits einige andere Frauen auf sie warten. In ausgelassener Stimmung und mit hausgemachtem Gebäck trifft man aufeinander. Es ist die erste Versammlung der sogenannten „Töchter für arische Einheit“ – eine Gruppe weiblicher Neo-Nazis. Bei ihrem Meeting wollen sie sich ihren Kummer von der Seele reden und überlegen, wie man der multikulturellen Gesellschaft den Kampf erklären könnte…

    Erschreckende Pläne beim Kaffeekränzchen

    Was Beth de Araújo hier auf engstem Raum inszeniert, ist dermaßen skurril, dass die Grenzen zwischen Klamauk und Schrecken mehr als fließend erscheinen. Jede noch so abstruse Theorie wird da aufgesagt und kein Klischee ausgelassen: Die „arischen Töchter“ sinnieren von Migrant*innen, die ihnen vermeintlich die Jobs wegnehmen. Medien wähnt man in den Händen von Juden. Eine der Gruppenteilnehmerinnen erklärt, dass Multikulti noch nie funktioniert habe. Eine andere bekennt sich offen zu ihrer Verbindung zum Ku-Klux-Klan. Es ist ein Wust an menschenfeindlichem, paranoidem Geschwätz, der in diesem ersten Akt ausgesprochen wird und gerade durch seine ungewöhnliche Besetzung für Unbehagen sorgt.

    Hier gibt es keine finsteren Verschwörer oder zwielichtigen Halbweltgestalten zu sehen, die andere Filme gern vorführen, wenn sie sich in radikalisierte Milieus begeben. Beth de Araújo schaut stattdessen auf die ideologische Bedrohung, die unter freundlich lächelnder, vermeintlich harmloser Fassade der Durchschnittlichkeit brodelt. Insofern gelingt der Regisseurin ein zunächst interessanter Kippeffekt: Was, wenn die eigentliche gesellschaftliche Bedrohung ganz „Soft & Quiet“, also „sanft und leise“ daherkommt? So, wie es der Titel verspricht, wird heimlich, still und leise der Umsturz beim Kaffeekranz geplant und der demokratische Staat von innen ausgehöhlt.

    Beklemmende Plansequenz

    Der Clou an der Sache: „Soft & Quiet” spielt sich in Echtzeit ab. Beth de Araújo hat ihren Film in einer kontinuierlichen Einstellung ohne sichtbare Schnitte inszeniert. Vier Durchläufe sollen dafür insgesamt gedreht worden sein. Höchst subjektiv ist die Kameraführung von Greta Zozula gehalten: Sie wackelt unruhig, durchschreitet wie eine weitere Teilnehmerin den Raum und zwingt die Zuschauer*innen dazu, jenen verachtenswerten Figuren Gesellschaft zu leisten und deren Gedanken zu lauschen. So intensiv einen „Soft & Quiet” damit in das Geschehen saugt, so fragwürdig erscheint sein provokantes Suchen nach Nähe und Unmittelbarkeit jedoch im späteren Verlauf. Dann nämlich, wenn das Treffen der Frauen an einen anderen Ort verlagert werden soll und der eigentliche Horror losbricht.

    Die zweite Filmhälfte ist in ihrer Härte kaum auszuhalten – und das muss man vielleicht auch gar nicht. Vielmehr noch: Man sollte sich ihr womöglich einfach verweigern, das Kino verlassen, den Film ausschalten oder sich ihm gar nicht erst aussetzen. Einerseits scheint Beth de Araújo ihr Publikum genau dahingehend testen wollen, wie lange man bereit ist, den barbarischen Dialogen und Taten zuzusehen. Andererseits ist es schlicht keine Bereicherung, diese sinnlose Besudelung durchzuhalten. „Soft & Quiet“ traumatisiert sein Publikum und macht es quasi zu Mittäter*innen, ohne dafür hinterher auch nur eine erhellende Erkenntnis oder einen originellen Blickwinkel anzubieten.

    Pure Gewalt-Ästhetik

    Es birgt durchaus etwas Sensationelles, wie die Regisseurin ihre Eskalation in Bilder übersetzt. Wo zunächst ein Fokus auf den Dialogen liegt, Ideen und Erfahrungen ausgetauscht werden, lässt der Rest des Films jede gedachte und gesprochene Ideologie in sich zusammenbrechen. Sie löst sich in roher Gewalt und ebenso aggressiver Ästhetik auf. Irgendwann wird fast nur noch hysterisch geschrien, gerangelt, gefoltert, gewürgt, gehastet. Körper zittern in Hektik und Panik oder können sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten. Mitunter fängt die nervöse Kamera lediglich schwer erkennbare Fragmente ein, Lichtkegel, die sich über Oberflächen bewegen, dunkle Silhouetten in der Nacht. Mit den Taten der Protagonistinnen hat sich mittlerweile die ganze Welt verdunkelt. Aber ist damit wirklich noch einmal etwas Interessantes über Radikalisierung und rechtes Gedankengut aufgezeigt, was nicht ohnehin bekannt ist?

    Indem „Soft & Quiet” zuvorderst die stumpfesten Gedanken von Neonazis anhäuft und entfesselt, ist allzu schnell eine Grenze zwischen der Welt des Films und dem Gros des Publikums gezogen. Man arbeitet sich an irgendwelchen extremen Figuren ab, kann sich über sie empören und sich allzu leicht über deren blinden Hass erheben. Mit viel subtiler verzweigten, ganz alltäglichen Ausgrenzungsmechanismen der sogenannten Norm etwa muss sich derweil niemand ernsthaft befassen. Rechts sind immer die anderen! Hier wird eigentlich niemandem der Spiegel vorgehalten. Beth de Araújos Publikum darf sich viel zu leicht auf der Seite des Guten wähnen.

    Die Perspektive des Films bleibt konsequent bei den Täterinnen – von ihren Opfern erfahren wir hingegen so gut wie nichts.

    „Soft & Quiet“ will zwar die Bedrohungen zeigen, denen marginalisierte Identitäten andauernd ausgesetzt sind, doch seine Täter*innen-Perspektive verfällt in erster Linie der reinen Angstlust. Was zählt, ist das nahezu physische Miterleben von Brutalität. Gewalt wird damit nicht dekonstruiert, sondern als Mutprobe ausgeschlachtet. Ihre distanzlosen filmischen Blicke bleiben sadistisch und degradieren die Figuren allesamt: Die einen sollen gehasst werden, die anderen dürfen im Grunde kaum mehr als austauschbare Opfer sein. Hatten letztere überhaupt einen Namen? Man ist sich danach nicht mehr so sicher. Stattdessen bekommt man ein intensives Gefühl davon vermittelt, wie stressig es sich anfühlen muss, die Spuren eines soeben verübten Verbrechens zu beseitigen. Allein diese Tatsache sagt schon einiges über die verquere, misslungene Erzählweise dieses Films aus.

    Fazit: „Soft and Quiet” missbraucht sein schwieriges Thema rechtsextremer Gewalt für eine eindringlich gefilmte, aber letztlich plakative, unsensible und wenig aufschlussreiche filmische Schocktherapie.

    Wir haben „Soft & Quiet“ bei den Fantasy Filmfest White Nights 2023 gesehen.

     

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