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    Die letzte Vorstellung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die letzte Vorstellung
    Von Björn Becher

    Der Film Targets von Peter Bogdanovich war als B-Movie entstanden und blieb kommerziell erfolglos, zeigte jedoch eindrucksvoll - da er zu einem kleinen Meisterwerk des Kinos wurde - das große Talent des Regisseurs. Daraufhin bemühte sich Produzent Bob Rafelson um Bogdanovich und ließ ihn einen Film für seine noch junge, aber schon erfolgreiche Filmschmiede BBS drehen. Bogdanovich entschied sich, auf den Rat seiner Frau Polly Platt hin, für die Verfilmung eines Romans von Larry McMurtry namens „The Last Picture Show“. Als er das O.K. für dieses Vorhaben bekam, machte er sich ans Lesen des Buches und entdeckte, dass er einen Film drehen sollte, über etwas, von dem er keine Ahnung hatte. „The Last Picture Show“, (deutscher Titel: „Die letzte Vorstellung”), handelte nicht vom Ende des Kinos, wie es der Titel glauben machen könnte, sondern von ein paar pubertierenden Jugendlichen in einer trostlosen Kleinstadt inmitten von Texas. Bogdanovich, der in der Großstadt New York aufgewachsen war, konnte keine Gemeinsamkeiten zwischen dem Leben der Personen im Buch und seinem finden. Trotzdem arbeitete er sich in die Materie ein und drehte, vor allem mit der Hilfe seiner Frau, die sich deutlich besser mit dem Buch identifizieren konnte, den wohl besten Film seiner Karriere.

    Bogdanovich (Is´ was, Doc) porträtiert das Leben in der Kleinstadt Anarene in Texas zu Beginn des Koreakrieges, Anfang der Fünfziger. Passend zur Trostlosigkeit der Zeit und vor allem des Lebens in der öden Kleinstadt hat er seinen Film in schwarz-weiß gedreht und das Anfang der Siebziger, als Filme immer bunter wurden, und drogensüchtige Bekannte von Bogdanovich wie Roger Corman und Jack Nicholson (Chinatown, Easy Rider) gemeinsam schon knallbunte Visualisierungen ihrer Drogenerfahrungen, wie den Film mit dem passenden Titel „The Trip“ (1967), abgedreht hatten. Doch jene Reduzierung auf die Farben Schwarz und Weiß, für die er sich nach einer Diskussion mit Orson Welles (Citizen Kane, Im Zeichen des Bösen), der ihm Mut für diesen gewagten Schritt machte, entschloss, ist es, die nicht nur die Trostlosigkeit der Zeit verdeutlicht, sondern auch den Blick auf die Charaktere verstärkt.

    Die Charaktere, das sind vor allem die beiden Freunde Sonny (Timothy Bottoms) und Duane (Jeff Bridges). Arm und um jeden Dollar kämpfend, leben sie in der Kleinstadt vor sich hin. Den Höhepunkt gibt es nur einmal in der Woche, wenn das kleine Kino der Stadt einen Film zeigt und die beiden Freunde ihr mühsam gespartes Geld ausgeben, um mit ihren Freundinnen zusammen den Film anzuschauen und danach noch etwas fummeln zu gehen. Zumindest war das lange die Routine, doch Sonny hat nun keine Freundin mehr. Er wollte mehr als nur etwas an ihren Brüsten herumfummeln, was für sie vor einer Hochzeit auf keinen Fall in Frage kam. Vor allem hat er aber bemerkt, dass sie sowieso aneinander vorbei leben und sich daher von ihr getrennt. Seitdem beäugt er etwas neidisch seinen Kumpel Duane, der mit Jacy (Cybill Shepherd) zusammen ist. Jacy stammt zum einen aus reichem Hause und ist zum anderen laut Sonny das schönste Mädchen der Schule.

    Das Leben der Jugendlichen tröpfelt so vor sich hin. Im Basketball und Football gibt es eine Klatsche nach der nächsten gegen die Clubs aus den anderen Städten, der Schulabschluss ist auch nicht mehr fern, man weiß nicht, wie es danach weitergehen soll und außer dem Kino und der Spielhalle, die beide dem alten Sam (Ben Johnson) gehören, gibt es sowieso nichts in der Stadt. Sonny fängt eine Affäre mit der vierzig Jahre alten Ruth (Cloris Leachman), der Frau seines Lehrers und Coaches an und Jacy will nicht so enden wie ihre Mutter (Ellen Burstyn). Die ist nach außen glücklich verheiratet, doch den Sex holt sie sich von anderen Männern. Noch dringender will Jacy aber ihre Jungfräulichkeit verlieren, doch nicht mit Duane, sondern mit einem Jungen aus reichem Hause, in den sie sich bei dessen Nacktpoolparty verguckt hat. Doch als sie ihn küsst, bekommt sie nur die Frage zu hören: „Bist Du noch Jungfrau?“ Sie bejaht, sagt sie möchte aber keine mehr sein. „Das kann ich verstehen. Komm wieder wenn Du keine mehr bist.“, ist die Antwort und Jacy kehrt zurück zu Duane, zumindest für eine Nacht.

    So driftet das Leben der Leute im Ort immer mehr auseinander. Die Fassade der glücklichen Ehen bröckelt immer mehr. Als dann schließlich auch noch der alte Sam stirbt, der alles irgendwie noch zusammengehalten hat, zerbricht die Stadt endgültig. Oder um es mit den Worten von Sonny zu sagen: „Seit Sam der Löwe gestorben ist, geht alles den Bach runter.“ Jacy wird auf ihrer verzweifelten Suche nach einem Mann fürs Leben, immer mehr zur Femme Fatale, der schließlich auch Sonny verfällt. Schicksale nehmen ihren Lauf...

    Man mag es kaum glauben, dass Bogdanovich von sich selbst sagt, dass er kaum Gespür für die Materie hatte, denn er hat sie eindrucksvoll, fast dokumentarisch auf die Leinwand gebracht (der Eindruck verstärkt sich noch, wenn man weiß, dass McMurtrys Roman autobiographische Züge hat). In einer selbst für die damalige Zeit noch schockierend offenen Art und Weise, liefert er ein realistisches Bild des Lebens kurz vor dem Jahr 1950. Eindrucksvoll blickt er hinter die Fassade biederer Moral jener Zeit. Die jungen Frauen dürfen den Billardsalon nicht betreten und bekommen von ihren Müttern eingetrichtert, wie schlecht Sex ist. Diese leben ihr Credo öffentlich, betrügen jedoch hinterrücks ihre Männer. Dann die wenigen Möglichkeiten, die sich junge Pärchen suchen, um sich etwas nahe zu kommen. Das unbeholfene Genestel am BH, die kalten Hände, welche die Brüste kneten, aber sobald die Hand nur auf den Schenkel kommt ist Schluss. Da ist dann doch die Tabuzone erreicht, die eindringlichen Worte der Eltern hallen noch nach. Hierher erst nach der Hochzeit.

    Der Regisseur geht erfreulich offen und direkt mit diesem Thema um. Nirgends wird versucht, unbeholfen etwas zu vertuschen, ja keine Frauenbrüste oder dergleichen zu zeigen, nein die Kamera bleibt einfach drauf. Dabei zielt der Film aber ersichtlich nicht auf Skandale ab oder das reine Zeigen von Fleischeslust, sondern fängt die Nacktheit ganz beiläufig ein. Sie ist einfach da, genauso wie die Bäume, wenn man den Wald filmt. Bogdanovich wagt es in einer Szene sogar die Schambehaarung einer Frau länger zu zeigen, damals für einen Hollywood-Film noch völlig unvorstellbar (in Europa schon längst kein Problem mehr). Doch die Zeit war reif dafür, das zeigten nicht nur die euphorischen Kritiken (Newsweek verglich den Film sogar mit Citizen Kane), sondern auch die vollen Kinos.

    Bogdanovich verwebt geschickt die vielen Schicksale einzelner Personen, die exemplarisch für den ganzen Ort stehen, miteinander. Allen voran die beiden Jungs, Schönling und Rauhbein Duane, der schließlich verbittert über die Trennung von Jacy in den Koreakrieg zieht, und natürlich der ehrliche und rechtschaffene Sonny, der es als einziger aufrichtig bedauert, als die Jungs Billy (Sam Bottoms), dem geistig zurückgebliebenen Sohn von Sam, einen Streich spielen. Er mag den Jungen, er sieht in ihm als einer der Wenigen im Ort nicht den Schwachsinnigen, sondern einen Freund.

    In einer der erschütternsten Szenen des Films wird dies besonders deutlich. Billy wird von einem Mann überfahren. Die Männer diskutieren, was der Schwachsinnige denn bei diesem Sturm auf der dreckigen Straße gemacht hat. Schließlich kommt man zu dem Schluss, dass er halt schwachsinnig war und den Fahrer natürlich keine Schuld trifft. Man will den Jungen einfach liegen lassen und was trinken gehen. „Er wollte nur die Straße kehren“, explodiert Sonny. So wie Billy halt immer die Straße gekehrt hat. Sonny nimmt als einziger wahr, dass hier gerade ein Mensch gestorben ist.

    Es gibt zahlreiche solcher brutalen Szenen in diesem Film, die den Zuschauer ergreifen und dafür sorgen, dass es sich nicht um leichte und unterhaltsame Kost handelt. Stattdessen handelt es um einen ganz großartigen Film, vor allem auch dank der Darsteller. Besonders hervorzuheben ist Timothy Bottoms (The Girl Next Door, Elephant), bei dem man es zum einen nicht verstehen kann, warum er nicht eben so eine großartige Karriere hinlegte wie sein Kollege Jeff Bridges (The Big Lebowski, Arlington Road), sondern stattdessen heute den George W. Bush jr. Imitator in Film („DC 9/11: Time of Crisis“, „Crocodile Hunter - Auf Crash-Kurs“) und Serie („Hier kommt Bush!“) gibt. Zum anderen kann man nicht verstehen, warum er im Gegensatz zu fast allen seiner Kollegen bei den Oscars übergangen wurde, und nicht einmal eine Nominierung bekam. Die erhielten insgesamt vier andere Darsteller aus dem Film, Cloris Leachman (Zwei Banditen, Spanglish) und Ben Johnson (Getaway) gewannen sogar die begehrte Trophäe. Ben Johnsons Mitwirken ist sowieso etwas Besonderes. Der konservative Westernheld, ständiger Weggefährte und Sattelhalter von John Wayne (Rio Bravo, Der schwarze Falke) ist in einem solchen offenen „New Hollywood“ - Film eigentlich undenkbar. Johnson lehnte deswegen zunächst die Rolle ab, doch John Ford (Der Mann, der Liberty Valance erschoss, Trommeln am Mohawk), der Regisseur, der in vielen Western mit ihm zusammengearbeitet hatte und ein enger Freund von Bogdanovich war, überzeugte ihn, mitzuspielen. Eine gute Tat von Ford, denn die Westernlegende Johnson verkörpert die Seele der Stadt, Sam, den Löwen, perfekt. Sogar die schauspielerisch meist eher mäßig begabte Cybill Shepherd (Ausnahmen wie hier oder mit kleineren Abstrichen in Taxi Driver bestätigen nur die Regel) weiß als Femme Fatale vollauf zu überzeugen und kann sich ihre Schönheit zunutze machen. Nur in den wenigen Szenen, in der es um ihre innere Verzweiflung geht und sie nicht gerade Männern den Kopf verdreht, merkt man ihre limitierten Qualitäten etwas. Dafür ist sie bei den Szenen, in denen sie Männer um den kleinen Finger wickelt, umso besser und war wohl danach nie mehr so gut, wie bei ihrem Spielfilmdebüt.

    Am Ende schafft es Bogdanovich sogar die Geschichte um das Heranwachsen von Jugendlichen und den Zerfall einer Kleinstadt auf das Ende des Kinos auszuweiten. Kurz bevor die Stadt, so wie sie mal war, am Ende ist, muss auch das Kino schließen. Eine letzte Vorstellung gibt es noch. Billy, Sonny und Duane sind die einzigen Gäste. Es kommt Howard Hawks „Red River“ mit John Wayne. Ein Mann will mit aller Macht Texas verlassen, denn dort ist es trostlos, das Vieh ist dort nichts mehr wert. Auch in „The Last Picture Show“ verlassen viele die Kleinstadt in Texas. Duane geht in den Koreakrieg, Jacy zieht in die Großstadt Dallas aufs College und nur Sonny bleibt zurück in der nun völligen Trostlosigkeit. Ein Kino gibt es nicht mehr, denn wer geht heute noch ins Kino, bemerkt die alte Kassiererin am Ende, es gibt ja nun den Fernseher. Es sollte Jahre dauern bis das Kino wieder mit dem Fernsehen konkurrieren konnte. Filme wie dieses Meisterwerk von Bogdanovich waren mit dafür verantwortlich.

    Sehr empfehlenswert ist übrigens die DVD zum Film. Diese präsentiert „The Last Picture Show“ im Director’s Cut, der noch einmal ca. sieben Minuten länger ist, als die Fassung, die Anfang der Siebziger in die Kinos kam. Außerdem befindet sich auf der DVD unter dem Titel „Ein Blick zurück“ eine Dokumentation, in der Regisseur Peter Bogdanovich und zahlreiche weitere Beteiligte von damals zahlreiche Anekdoten zum Casting und zum Dreh erzählen, und ihre persönliche Sichtweise des Films erläutern. Über die gesamte Länge von ca. 65 Minuten hochinteressant.

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