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    Das Wunder von Bern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Das Wunder von Bern
    Von Carsten Baumgardt

    „Boszik hat den Ball... verloren, diesmal gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen... Rahn schießt... Tor! Tor! Tor! Tor!“ Das sind die legendärsten Sätze der deutschen Sportberichterstattung. Gesprochen von Herbert Zimmermann, der den 3:2-Siegtreffer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft am 4. Juli 1954 im WM-Endspiel gegen die hochfavorisierten Ungarn im Berner Wankdorf-Stadion kommentiert. Dieses historische Ereignis kinogerecht aufzubereiten, hatte sich Fußballfan und einstiges deutsches Regiewunderkind Sönke Wortmann zur Aufgabe gemacht. „Das Wunder von Bern“ verbindet den deutschen Triumph mit der Geschichte einer Familie im Nachkriegs-Deutschland. Obwohl das nicht immer richtig zusammenpasst, legt Wortmann ein grundsolides, ambitioniertes Familien- und Sportler-Drama vor, das die historischen Dimensionen teils greifbar macht.

    Die Familie Lubanski hält sich in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg in einer Essener Bergarbeitersiedlung mühsam, aber tapfer über Wasser. Mutter Christa (Johanna Gastdorf) bewirtschaftet mit Tochter Ingrid (Birthe Wolter) eine Kneipe, der älteste Sohn Bruno (Mirko Lang) spielt in einer Band und passt darauf auf, dass auch alle Kunden bezahlen. Der jüngste Sohn Matthias (Louis Klamroth) steuert ein bisschen Haushaltsgeld durch den Verkauf von Zigaretten bei. Seine ganze Leidenschaft gilt jedoch dem Fußball. Er ist Taschenträger von Helmut Rahn (Sascha Göpel), dem Lokalhelden von Rot-Weiß Essen. „Der Boss“, wie er nur genannt wird, gehört zum erlesenen Kreis der deutschen Nationalmannschaft, die bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz in der Endrunde spielt. Das zunächst recht unbeschwerte Leben der Familie Lubanski ändert sich als Vater Richard (Peter Lohmeyer) nach elf Jahren aus russischer Kriegsgefangenschaft heimkehrt. Schwer verstört, findet er sich im neuen Deutschland nur mühsam zurecht. Mit unnachgiebiger Autorität versucht er, seinen Kindern Disziplin beizubringen, verletzt sie aber dadurch... Unterdessen macht sich die Nationalmannschaft auf den Weg in die Schweiz, um bei der WM um den Titel zu kämpfen. Trainer-Fuchs Sepp Herberger (Peter Franke) will aus seiner Mannschaft eine Einheit formen, um Großes leisten zu können...

    Den ehemaligen Zweitliga-Kicker Sönke Wortmann (Der bewegte Mann, „Das Superweib“) hat es seit jeher geärgert, dass Fußballszenen in Filmen noch nie wirklich realistisch zu sehen waren. Schauspieler, die sich als Fußballer versuchten, machten dabei meist eine unglückliche Figur wie einst Tommi Ohrner als „Manni der Libero“. Um seinen Regietraum, die Verfilmung des Wunders von Bern, zu realisieren, musste Wortmann vier Jahre seines Schaffens aufwenden. So viel Zeit war vergangen, seit sein ambitionierter, aber böse gefloppter Episodenfilm „St. Pauli Nacht“ in die Kinos kam. Die Erfolgsaussichten stehen diesmal allerdings wesentlich besser. Mit einem für deutsche Verhältnisse ordentlichen Budget von 7,3 Millionen Euro ging er die Verfilmung deutscher Geschichte an, sicherte sich zudem WM-Held Horst Eckel als Chefberater, sodass soviel wie möglich Authentizität gewährleistet war. 1.500 gutklassige Amateurfußballer wurden gecastet. Das Motto lautete also: Statt kickender Schauspieler, schauspielernde Kicker.

    Wortmann ist schlau genug zu wissen, dass ein reiner Fußballfilm nicht funktionieren würde. Deshalb hat er die Geschichte der Nationalmannschaft, die in Bern sensationell Weltmeister wird, zwar im Auge, aber im Vordergrund steht der Werdegang der Familie Lubanski, die über den jüngsten Sohn Matthias mit den Schicksalen der Nationalspieler verknüpft wird. So ist „Das Wunder von Bern“ ein Film über die Probleme einer Familie im Nachkriegs-Deutschland und ein Film über deutsche Sportgeschichte gleichermaßen. Doch genau hier funktioniert Wortmanns tadellos ausgestattete Nachkriegsode nicht immer hundertprozentig. Die beiden Geschichten wollen hin und wieder nicht so richtig harmonieren. Emotionen werden zumeist über den Weg der Lubanskis erzeugt. Die Nationalelf-Story bleibt recht dünn und oberflächlich. Helmut Rahn (passabel: Sascha Göpel) bekommt eine grobe Charakterzeichnung mit auf den Weg, gleiches gilt für Trainer Sepp Herberger (solide: Peter Franke), der seine Fußballweisheiten („Der Ball ist rund“, „Ein Spiel dauert 90 Minuten“, „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“) anbringen darf. Fritz Walter (hölzern: Knut Hartwig) darf ein paar Sätze sagen, aber der Rest des Teams besteht eigentlich nur aus einer Ansammlung von Dialekten. Viel Erbauendes haben die Balltreter sowieso nicht zum besten zu geben.

    Geschickt ist dagegen wieder die Einführung der dritten Handlungsebene, die Sportreporter Ackermann (Lucas Gregorowicz) und seine Frau Annette (Katharina Wackernagel) zeigt. Zum einen nutzt Wortmann die beiden, um Hintergründe des Turniers zu erklären und zum anderen, die doch zuweilen ernste Geschichte durch Komik aufzulockern. Lucas Gregorowicz und Katharina Wackernagel geben ein sympathisches Paar ab, das sich gut ins Gesamtgefüge des Films einpasst. Schauspielerisch dominiert Peter Lohmeyer eindeutig „Das Wunder von Bern“. Schwer ausgemergelt, zeigt er Präsenz und überzeugt bei seiner langsamen Wandlung zum besseren Vater. Auch sein Film- wie wirklicher Sohn Louis Klamroth macht seine Sache gut und lässt Schauspieltalent erkennen.

    Auf der sportlichen Seite gibt es erst vom Endspiel die ersten realen Spielszenen. Zuvor kaschiert Wortmann die fehlenden Bilder geschickt durch Radio- und Fernsehberichte oder wie in einer der besten Szenen des Films legt er einen Fernsehkommentar des deutschen Spiels über synchrone Bilder vom Bolzplatz der Jungen im Ruhrpott. Die Szenen vom WM-Finale sind fußballerisch sicherlich besser als alles, was bisher zu sehen war - dennoch gibt es auch hier noch einige Kleinigkeiten zu bemängeln. Die Kamera ist oft sehr nah an den Spielern bzw. Beinen der Kicker, sodass die Übersicht teils verloren geht. Da das Wankdorf-Stadion bereits abgerissen wurde, ließ Wortmann „sein Stadion“ zwischen Köln und Bonn entstehen. Eine Spezialfirma verlegte einen Rollrasen samt Zaun, die große Zuschauermasse kam aus dem Computer, was leider auch zu erkennen ist. Aber bei deutschen Produktionen, die nicht annährend in den US-Dimensionen kalkulieren können, soll hier einmal der gute Wille zählen. Aber gerade beim historischen Final-Treffer tritt ein weiterer Kritikpunkt - wahrscheinlich der größte - zutage. Die Worte des Original-Herbert-Zimmermann, die wir alle kennen, sind weit mitreißender als das Äquivalent auf der Leinwand. Diese Aussage steht stellvertretend für den gesamten Film. Technisch ordentlich, eine redliche Geschichte, ein gewiefter Regisseur: aber der allerletzte Funke will nicht überspringen.

    So ist „Das Wunder von Bern“ ein ordentlicher Ausflug in die deutsche Geschichte, aber im Vergleich zu Wolfgang Beckers durchweg starkem Good Bye, Lenin! muss Wortmann die Mainstreamkrone an den Berliner abgeben. Den besten deutschen Film des Jahres drehte eh Hans-Christian Schmidt mit Lichter...

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