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    Aus der Mitte entspringt ein Fluss
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Aus der Mitte entspringt ein Fluss
    Von René Malgo

    Im malerischen Montana des beginnenden 20. Jahrhundert wachsen die beiden ungleichen Brüder Norman (Craig Sheffer) und Paul (Brad Pitt) unter der strengen, aber behüteten Obhut ihres Vaters (Tom Skerritt) auf. Dieser ist Pfarrer einer presbyterianischen Kirche. Nebst Gottes Wort versucht er seinen Söhnen vor allem die hohe Kunst des Fliegenfischens darzulegen und ihnen seine Liebe zur Natur zu vermitteln. Diese Beschäftigung hält die Familie zusammen, bis die Söhne erwachsen werden und ihre eigenen Wege gehen.

    Denen, die Wert auf melodramatische Geschichten legen, sei gleich zu Beginn die Warnung an den Kopf geschmettert, vorstehende, knappe Zusammenfassung ist schon dramatischer als der Film selbst. Mehr Inhaltsangabe kommt nicht, denn das würde den ganzen Plot (sofern im klassischen Sinne vorhanden) verraten. Wo andere Filme überdimensioniertes Konfliktpotenzial in einem Pfarrervater und zwei verschiedene Söhne sehen, geht Robert Redford mit seinem Film „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ ganz ruhig zu Werke, als wüsste er nicht, was ein Melodram sei. Keine brachial melodramatischen Entwicklungen oder elektrisierenden Emotionen, die unter Umständen die ganze Leinwand zum erzittern bringen würden, lässt der Regisseur hier auf das Publikum los. Das erscheint auch logisch, denn der Film basiert auf der autobiographischen, eher lyrischen Vorlage des Norman MacLean und im Leben wird so manches Problem tatsächlich wesentlich weniger melodramatisch als in den großen Gefühlsschinken Hollywoods erledigt. Trotzdem oder gerade deshalb funktioniert und berührt das Werk besser als so manches künstlich aufgeplustertes Mammutdrama. „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ hätte ein nichtssagender, inhaltsleerer Langweiler werden können, diese Gefahr bestand, bei solch einem unaufgeregten Film, doch Redfords großartige Leistung drehte genau ins Gegenteil. Das ist keine Selbstverständlichkeit, gerade in dieser Zeit, wo zahlreiche Filme mit möglichst vielen Höhepunkten gefüllt werden und der Zuschauer schon entsprechend überreizt ist. Hier aber kehrt Redford das Prinzip um und sucht den Film möglichst höhepunktfrei zu halten, was den angenehmen Effekt bereithält, dass diese Literaturverfilmung ein einziger, sehr ruhiger Höhepunkt ist.

    Drehbuchautor Richard Friedenberg setzt die feinsinnige Stimmung der Vorlage kongenial um, woran aber auch der hierfür oscarprämierte Kameramann Philippe Rousselot maßgeblich beteiligt ist. Seine schöne Kameraführung zeichnet ein unwirkliches, aber äußerst ansprechendes Bild von Montana. Hervorragend wird die verträumte, etwas weltferne Idylle der ländlichen Gegend vermittelt. Dies bedeutet aber nicht, der Film an sich sei weltfremd. Im Gegenteil. Gerade in der Charakterzeichnung und der Ausarbeitung verschiedener Szenerien und Geschehnisse erweist sich das Werk als sehr lebens- und realitätsnah. Das macht die große Stärke der Umsetzung aus, die es versteht, trotz der durchgängig poetischen Stimmung lebensnah zu bleiben. So lädt „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ durchaus zum Träumen ein, verschließt sich der harten Realität aber nicht. Gerade deshalb hebt sich dieser Film auch von gängigen Dramen ab, da er wahrhafte Emotionen vermittelt, ohne übergroße Gefühle vorzutäuschen. Tragische und spannende Ereignisse suchen die Familie MacLean durchaus heim, doch hier reagieren die Filmhelden nicht wie aufgescheuchte Hühner und bekommen melodramatische oder pathetische Schreiausbrüche, vielmehr geht das Leben weiter. Der Erzählstil ist linear, in einer fast episodenhaften Form. Die Handlung plätschert dahin, wie es der titelgebende Fluss auch täte. Zuweilen kommt es dann zu Stromschnellen, die harte Realität, die aus der poetischen Idylle heraus bricht und den Zuschauer damit umso mehr erschüttert. Einen vernünftigen Spannungs- oder Dramaturgiebogen kennt der Film, gemessen an andere Genrevertreter, nicht. Bruchstückhaft wird die Geschichte aus der Sicht des Norman MacLean erzählt, dabei scheint sich „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ gerade den am wenigsten sensationellen Geschehnissen aus dem Leben Normans angenommen zu haben. Das ist nur konsequent, da sich dieser introspektive Film den kleinen Details des Lebens widmen will, in denen viel Schönheit oder auch Tragik liegen kann.

    „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ ist auch eine Betrachtung unterdrückter Gefühle und Gedanken. Vieles wird nur angedeutet, weniges wirklich ausgesprochen. Dennoch funktioniert die Identifikation mit den Protagonisten, dessen Charaktere vorbildlich ausgearbeitet sind. Dafür mitverantwortlich sind die hervorragenden Darstellerleistungen, die lebensnah erscheinen und durch Blicke und Geste Gefühle und innerste Gedankengänge zu vermitteln wissen. Jeder wird seiner Rolle gerecht, auch Brad Pitt, der hier zeigen kann, was tatsächlich in ihm steckt. In den Schatten gestellt wird er aber vom subtilen und nuancierten Spiel Craig Sheffers und Tom Skerritts, die ihren Rollen das Maximum abgewinnen können. Auch der Rest des mit Bedacht gewählten Ensembles überzeugt und keiner fällt negativ ab.

    Keine Blöße gibt sich desgleichen der Rest der Crew. Robert Redfords zurückhaltende Art der Regieführung passt ausgezeichnet zum Sujet und Mark Ishams einfache Musik fügt sich nahtlos in das unspektakulär stimmige Gesamtbild ein. „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ zeigt betörend schöne Bilder einer Welt, die so wahrscheinlich nie war. Sie zeigt Kindheit und Jugend durch die Augen des Autors, in unverdorbener Idylle, so wie es hätte sein können, wie es hätte sein sollen. Trotz all der Idylle, dem poetischen Flair merkt der Zuschauer schon, dass die Dinge nicht von selbst gehen und die Filmhelden für ihr Glück schon kämpfen und arbeiten müssen. Es sind die Kleinigkeiten die „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ so bemerkenswert machen, die Blicke, die sich die Protagonisten tauschen, die Romanze zwischen Norman und Jessie (Emily Lloyd), die holprig und typisch menschlich beginnt, all diese Dinge machen den Film insbesondere so liebens- und schätzenswert. Gerade bei ihrer Beziehung stellt sich nicht das Gefühl ein, ach, hätte ich so eine tolle Hollywoodbeziehung, sondern eher kommt einem der Gedanke, hey, das kenne ich. Dieses Gefühl kommt dem Zuschauer immer wieder, sodass unter all der Ästhetik dann doch viel Tiefgang und Substanz steckt.

    Gefilmt in wunderschönen Bildern und äußerst subtil inszeniert, bietet der Film eine innere Kraft, eine Schönheit und Poesie, die die aufwendigsten Produktionen Hollywoods oftmals nicht herbeibemühen können. Oberflächlich gesehen mag „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ ein nichts sagender, lediglich schön gedrehter Film sein, lässt sich der Betrachter jedoch auf das Werk ein, entdeckt er, wie viel mehr sich unter der Oberfläche versteckt. Die Aussage, von erstaunlich hoher Moral, wie man sie es in Hollywood nicht für möglich gehalten hätte, steckt in den Details. In den kleinen Gesten und Aussagen. Diese werden vom perfekt besetzten Darstellerensemble tadellos transportiert, wodurch jede Figur viel an Tiefe gewinnt und die Zuschauer die Charaktere sofort ins Herz schließen. Mag sein, dass das aufreizend ruhige, sich bewusst jeder Effekthascherei verschließende Werk nicht jedermanns Sache sein dürfte. Und wer kein Faible für die filmische Form von Poesie hat, dürfte das Drama unter Umständen gar als gepflegte Langeweile empfinden. Aber mit dieser Einschätzung täte man der bewussten und wohltuenden Abkehr vom typischen Hollywoodeinheitsbrei unrecht. Sein stilles Pathos kann mitreißen und die retrospektive Vision von einer besseren Welt, frei von Materialismus und Schnelllebigkeit überzeugen.

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