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    Falling Down - Ein ganz normaler Tag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Falling Down - Ein ganz normaler Tag
    Von Andreas R. Becker

    Auf der einen Seite, da stehen die Bösen. Morden, plündern, rauben, hintergehen, betrügen und lügen, was das Zeug hält. Auf der anderen, da stehen die Guten. Helfen, retten, opfern sich, achten und hüten Recht und Ordnung. Dass die Welt meist leider doch nicht ganz so strikt binär und simpel definiert ist, wie es uns manch ein Hollywood-Film verkaufen will, haben die meisten inzwischen gemerkt. Aber vielleicht gerade weil alles um uns herum ohnehin immer komplexer zu werden scheint, ist es zweifellos angenehm, die ewige Kontingenz, also das Es-könnte-auch-anders-sein, und unseren Alltagstress mit dem Betreten des Kinosaals für zwei Stunden hinter uns zu lassen. Es sei denn, wir sehen uns gerade Joel Schumachers „Falling Down“ an.

    Es ist ein heißer Tag in Los Angeles, ein verdammt heißer Tag. Eine Baustelle auf der Straße, die Blechlawine steht. Die Lüftung im Auto ist kaputt, ebenso der Fensterheber, eine Fliege schwirrt um den Kopf des Fahrers, dem das Wasser in Strömen von der Stirn läuft. Der Fahrer William Foster (Michael Douglas) – nach dem Kennzeichen seines Autos als D-Fens betitelt – ist ein namenloser Jedermann. Er ist ebenso austauschbar wie die Stadt L.A., Regisseur Joel Schumacher braucht keine zwei Minuten für eine geniale Planfahrt, die in jedem Zuschauer das identifizierende Klick auslöst. Den wenigen Industrielandbewohnern, die das Erlebnis, gestresst an einem heißen Tag scheinbar endlos lang im Stau gestanden zu haben, noch nicht am eigenen Leib erleben durften, hilft die beklemmend inszenierte Situation unliebsam schnell auf die Sprünge. Bedrohliche Streicherklänge unterstreichen das Gefühl, dass hier das Fass bedenklich nah am Überlaufen ist und machen von Beginn an klar – dieser Alltag wird kein Alltag bleiben.

    Doch das Fass läuft nicht über. Noch nicht. Stattdessen steigt D-Fens kurzerhand aus, klemmt seine Aktentasche unter den Arm und lässt sein Auto stehen. Für den fluchenden Fahrer hinter ihm kommentiert er dies mit dem kurzen Hinweis, er gehe jetzt nach Hause. Auf diesem Weg begleitet ihn der Zuschauer und beobachtet, wie sein Geduldsfaden Millimeter um Millimeter weiter gespannt wird, bis er unweigerlich reißt und sich die dramaturgische Gewaltspirale zu drehen beginnt. Von einem Moment auf den anderen, so scheint es, hat der Alltagsstress einen harmlosen Nobody in einen gesetzlosen Psychopathen verwandelt, der sich am Ende unfreiwillig (?) mit einem halben Waffenarsenal den Weg zu seiner geliebten Tochter bahnt.

    Das ist aber nur die eine Hälfte. In Parallelmontage sehen wir Robert Duvall als Vorbildcop Martin Prendergast an seinem letzten Arbeitstag im Dienste des Staates. Frei nach Murphy’s Law wird das erhoffte Absitzen für Prendergast jedoch zum gefährlichsten Tag seiner Karriere als Polizeibeamter, als er Stück für Stück von den ungewöhnlichen Geschehnissen erfährt, die D-Fens’ Wege wie einen roten Faden auf den Stadtplan zeichnen. Als er die Puzzleteile zusammenzusetzen beginnt, erfahren wir schnell, dass D-Fens einen fragwürdigen Hintergrund hat, der vieles zunächst in eine andere Perspektive rückt...

    Allein der Zuschauer jedoch wird Zeuge davon, dass sich die Schicksale dieser beiden Männer, die die Gesellschaft in gegensätzliche Rollen gesteckt auf zwei Seiten gestellt hat, viel weiter überschneiden, als beide je ahnen. Was in offensichtlichen Gemeinsamkeiten wie der Tatsache, dass beide liebende, opferbereite Väter einer Tochter sind, beginnt, setzt sich fort in unzähligen Details, wie dem (vermutlich in Verbindung zum Titel stehenden) Kinderreim „London Bridge is falling down“, der für beide in Form einer Spieluhr eine wichtige Rolle spielt.

    Entscheidend sind jedoch nicht nur die gezeigten, sondern insbesondere alle offengelassenen Details. Dass wir es nie wirklich genau wissen, ist die große Stärke von „Falling Down“. Ja, wir haben ihn, den Psychopathen, den Bösen. Ja, wir haben auch den Cop, den Guten. Je tiefer wir jedoch in die Geschichte hinabsteigen, umso schwieriger wird die Beantwortung der Frage, wer hier eigentlich gut und wer böse ist. Ist D-Fens nun wirklich ein durchgeknallter Irrer, vor dem die Gesellschaft Schutz braucht? Oder ist er nicht einfach nur ein ganz normaler, frustrierter Großstädter, der aufgrund von Vorurteilen, Stereotypen und einer Verkettung unglücklicher Ereignisse zum gesuchten Täter wird? Oder ist am Ende gar er selbst das Opfer einer paranoiden Ellenbogengesellschaft, die aus medial geschürter Angst vor Gewalt immer gleich das Schlimmste annimmt? Who is falling down? Der Schurke oder die Gesellschaft? Michael Douglas’ großartige Darstellung in Kombination mit einem komplexen Script und einem geschickten Schnitt sorgen gezielt dafür, dass es bis zuletzt keine eindeutige Antworten geben wird. Vielmehr werden zwischen den Zeilen weitere zentrale, nach wie vor offene, und zutiefst prekäre Fragen in den Raum gestellt: Sind wir das, was Gesellschaft, Erziehung und soziales Umfeld aus uns machen? Wie weit sind wir tatsächlich Herr über Wille und Schicksal? Ist jeder uneingeschränkt für sein eigenes Handeln verantwortlich?

    Fast schon nebenbei ist „Falling Down“ auch ein feiner Spiegel des zeitgenössischen Amerikas. Hier zeigt sich, wenn auch manchmal mithilfe grober Klischees, dass das Bild eines multikulturellen „melting pot“ nicht grundlos dem der „salat bowl“ gewichen ist. Nicht alles, was nebeneinander existiert, lässt sich rückstandslos verschmelzen. Auch die immer ökonomischer ausgerichtete Grundhaltung eines Landes, in dem Werbung, Medien, Technik und Großstadtlärm den Einzelnen mit einer kaum mehr zu bewältigenden Flut von Sinneseindrücken erdrücken, bleibt nicht unkommentiert.

    Mit der Figur des D-Fens hat Drehbuchautor Ebbe Roe Smith eine komplexe Figur geschaffen, die nur auf den ersten Blick das geschickte und populistische Porträt eines (nicht nur US-)Durchschnittsbürgers abgibt. Denn egal ob es um eine überteuerte Coladose oder den matschigen Burger geht, der nicht aussieht, wie auf dem Plakat der Fastfoodkette, oder gar um gefährliches Halbwissen und noch gefährlicheren latenten Rassismus – das bekannte Gefühl „Irgendwo hat er doch Recht!“ schleicht sich immer wieder ein und fordert auf zum kritischen Abstandnehmen.

    Trotz aller Komplexität: Am Ende kann man wohl auch diese als eine binäre Geschichte lesen. Wer mag, findet in „Falling Down“ einen dramaturgisch versiert inszenierten, mit Gags und Action angereicherten Film, in dem der Böse bekommt, was er verdient. Aber Regisseur Joel Schumacher lässt uns die Option offen, erheblich mehr hinter dem scheinbar Offensichtlichen zu entdecken und gewährt zwischen den Zeilen eine Vielzahl an gut beobachteten gesellschaftlichen und teils sogar philosophischen Ein- und Ausblicken, die insbesondere im Zuge einer um sich greifenden Amerikanisierung längst nicht mehr nur für die USA Gültigkeit beweisen. Kategorien wie Gut und Böse werden ebenso in Frage gestellt wie unser durch Stereotypen vordefiniertes Denken. Realität ist das, was in unserem Kopf entsteht.

    „Falling Down“ meistert so den seltenen Spagat zwischen Unterhaltung und Tiefgründigkeit und öffnet sich damit für verschiedene Stufen des Anspruchs und viele Filmgeschmäcker. Kurz: Jeder wird bedient.

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