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    Sommer vorm Balkon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Sommer vorm Balkon
    Von Björn Helbig

    Andreas Dresen, 1963 in Gera geboren, war zunächst Tontechniker am Schweriner Theater, studierte dann Regie und arbeitet seit 1992 als Autor und Regisseur. Stilistisch bewegt er sich zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, Fernsehen und Theater und wird demnächst in Basel seine erste Oper inszenieren. Nachdem sich Dresen mit seinen von der Kritik viel gelobten Vorgängerfilmen („Nachtgestalten“, Herr Wichmann von der CDU, Willenbrock und vor allem Halbe Treppe) einen hervorragenden Ruf als experimentierfreudiger Regisseur und feinsinniger Beobachter erarbeitet hat, geht sein neuer Film „Sommer vorm Balkon“, der schon Preise in San Sebastian und Chicago gewinnen konnte, mit einigen Vorschusslorbeeren ins Rennen. Und wirklich – das Ergebnis kann sich sehen lassen. Wahrscheinlich gibt es wenig Filme, die sich warmherziger mit dem Thema Einsamkeit auseinander setzen.

    Die Story des Films stammt aus der Feder des ehemaligen DEFA-Autoren Wolfgang Kohlhaase („Solo Sunny“, Die Stille nach dem Schuss): Die beiden Freundinnen Katrin (Inka Friedrich) und Nike (Nadja Uhl) wohnen im gleichen Haus im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg. Nike ist eine lebenslustige Altenpflegerin, Katrin hingegen eine allein erziehende, zur Depression neigende, arbeitslose Schaufensterdekorateurin. Nikes Balkon ist ein festes Etablissement im Leben der beiden, denn dort treffen sie sich regelmäßig, philosophieren übers Leben, über Männer – und geben sich die Kante. Der Alltag der beiden wird allerdings mächtig durcheinander gewirbelt als Katrin beinahe vom Trucker Ronald (Andreas Schmidt) überfahren wird. Nike bändelt mit dem einfach gestrickten Brummifahrer an, weil sie sich in den Kopf setzt, dieser sei der Richtige für sie. Nachdem Ronald schnell bei Nike einzieht, fühlt sich Katrin, die aufgrund ihrer Arbeitslosigkeit und der auf ihr lastenden Verantwortung für ihren Sohn Max (Vincent Redetzki) sowieso schon in den Seilen hängt, ausgeschlossen. Es kommt zum Streit zwischen den Freundinnen.

    Dresen und Kohlhaase erzählen uns hier keineswegs eine klassische Geschichte, die aus Anfang, Mitte und Ende besteht. „Als würde man dem Leben bei der Arbeit zuschauen“ beschreibt Dresen das Drehbuch von Kohlhaase. Und tatsächlich beginnt der Film wie zufällig irgendwo und endet unvermittelt auf Nikes Balkon. Der Film ist in großen Teilen unspektakulär – wie das Leben. Dann wieder, plötzlich, zum Beispiel als Katrin beinahe Opfer einer Vergewaltigung wird, äußerst dramatisch – wie das Leben. Ein paar der Handlungsfäden haben sich am Ende des Films aufgelöst, andere nicht. In „Sommer vorm Balkon“ bringt Dresen die in Halbe Treppe erprobte Improvisation mit der strengen Inszenierung von Willenbrock zusammen. Dazu gehört, dass neben dem ausgezeichneten Spiel von Nadja Uhl (Was tun, wenn´s brennt, Lautlos, Die Stille vor dem Schuss) und Inka Friedrich (Willenbrock, „Ich liebe das Leben“) viele Laiendarsteller zum Einsatz kommen (was allerdings diesmal eher stört und sich nicht unbedingt positiv auf den angestrebten Realismus auswirkt). Dass der Film auch ohne Höhepunkte spannend und unterhaltsam ist, liegt vor allem an dem sehr guten Schauspiel, aber auch an Dresens Fähigkeit, eine Illusion von Wirklichkeitsnähe zu erzeugen. Dabei macht er nicht den Fehler, den Zuschauer durch überbordenden Humor oder eine übertriebene Inszenierung der tragischen Momente zu fesseln, sondern konzentriert sich ganz im Sinne der Geschichte auf seine Figuren (die in manchen Nebenrollen allerdings etwas eindimensional daherkommen).

    Ein richtig großer Wurf gelingt Dresen allerdings nicht. Dazu fehlt seinem Film zu sehr das dramaturgische Zentrum. Keine der Figuren kann sich als Protagonist profilieren. Und ebenso wenig erhält ein Handlungsstrang eine privilegierte Stellung, was dazu führt, dass die Handlung – wenn auch authentisch – letzten Endes beliebig wirkt. Doch angesichts der vielen gelungenen Momente des Films ist dieser eher abstrakte Makel nicht mehr als ein unterschwelliges Gefühl, das angesichts der Stärken des Films kaum zu bemerken ist. „Das tolle an Kohlhaases Drehbuch ist“, schwärmt Dresen, „dass es soziale Themen mit Humor und fast beiläufiger Selbstverständlichkeit behandelt“. Man kann nicht anders als dem zuzustimmen. Den Zuschauer erwarten Impressionen aus verschiedenen lebensnahen Themenfeldern. Der Schwung und die Wärme, mit der Nike ihrer Arbeit nachgeht sucht wie so vieles in dem Film seinesgleichen. Ein kleiner Wermutstropfen ist vielleicht die Figur des Ronald. Zwar ist am Schauspiel von Andreas Schmidt (Bin ich sexy, Männer wie wir, „Pigs Will Fly“) nichts auszusetzen, doch wirkt der Charakter des Trucker mitunter etwas übertrieben, stellenweise plakativ und lässt die Tiefe von Nike und Katrin missen. Zudem ist es nicht ersichtlich, was Nike und Roland zueinander führt und so lange miteinander aushalten lässt. Die absolute Verzweiflung der Einsamkeit?

    „Sommer vorm Balkon“ ist vielleicht nicht das Meisterwerk, das sich viele gewünscht haben. Dennoch ist Dresens neuer Film wieder mal ein Gelungener, der die ganze Spannbreite von Tragödie zur Komödie glaubhaft abdeckt. Die Melange aus anrührenden, bewegenden und komischen Sequenzen, verbunden mit dem durchweg guten Spiel der Hauptdarstellerinnen macht „Sommer vorm Balkon“ zu einem sehenswerten Film.

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