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    Memories Of Murder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Memories Of Murder
    Von Andreas R. Becker

    Von 1986 bis 1991 wurde die Stadt Hwaseong im ländlichen Südkorea zur Kulisse einer Mordserie, bei der zehn junge Frauen auf brutale Weise vergewaltigt und anschließend erwürgt wurden. Bis heute konnte der Mörder nicht gefasst werden und sieht nach koreanischem Recht, in dem Mord nach fünfzehn Jahren verjährt, seiner juristischen Unantastbarkeit entgegen. Aus den Ereignissen schuf Bong John-ho, der bereits mit seinem 2000er Regiedebüt „Barking Dogs Never Bite“ internationale Anerkennung gewinnen konnte, seinen schwer zu fassenden Genremix „Memories Of Murder“. Klassische Thrillerelemente werden durchbrochen von schwarzem Humor und über allem schwebt die Stimmung einer genau porträtierten historischen Epoche. Bong: „Ich mag es, wenn Stile oder Gefühle auf ungewohnte Weise aufeinanderprallen. Ich mag die Spannung, die entsteht, wenn sich hintergründige Details in trivialen Momenten des Lebens mit komischen und grotesken Elementen vermischen, miteinander kollidieren.” Das passiert in der Tat des Öfteren, wenn Charakter und Methoden des Dorfpolizisten Park Doo-man (Song Gang-ho, Sympathy For Mr. Vengeance) auf die des hinzugezogenen Städters Seo Tae-yoon (Kim Sang-kyung) treffen. Diese Achterbahn der Gefühle funktioniert nach etwas Eingewöhnungszeit auch erstaunlich gut und verliert dabei nie den Respekt vor den realen Opfern.

    Auf der Suche nach dem Mörder wird der Druck der Öffentlichkeit nicht nur zur Triebfeder für eine krampfhafte Hatz der Polizisten, sondern bringt früher oder später auch ihre gemeinsame Verzweiflung an die Oberfläche. Davon abgesehen, trennt sie aber mehr, als sie verbindet. So leidet Park Doo-man als leicht unterbelichteter Dorfbulle nicht nur an Selbstüberschätzung („Auch wenn ich sonst nicht viel Ahnung habe, so sehen meine Augen doch in das Innerste der Leute“). Zusammen mit seinem gewalttätigen Kollegen Cho Yong-koo (Kim Roe-ha) versucht er mit unlauteren Methoden, zu denen auch die Anwendung von Folter und die Manipulation von Beweisstücken zählen, einen Verdächtigen nach dem anderen zwangszuüberführen – erfolglos. In der groben Inkompetenz, die ihr Vorgehen darüber hinaus auszeichnet, sieht Regisseur Bong ein Symptom des unter Militärdiktatur stehenden Koreas der 80er Jahre und den Hauptgrund für das Versagen der Polizeiapparatur. In „Memories Of Murder“ zeichnet er ein detailliertes (politisches) Stimmungsbild dieser Zeit, allein die Suche nach passenden Locations nahm eines von drei Jahren Drehvorbereitung in Anspruch. An diesem desolaten Zustand der Behörden vermag auch der intelligentere und erfahrene Seouler Polizist Seo nichts zu ändern. Letztlich verlaufen alle Bemühungen aus dem einen oder anderen Grund im Sande. „Kurz gesagt handelt der Film vom Versagen”, so Bong. „Es ist ein Film der jedermann fragt, ‘Warum wurde der Mörder nicht gefasst?’ Als ich das Drehbuch schrieb, kam ich zu dem Schluss, dass es die soziale Atmosphäre der Zeit war, ihre Inkompetenz, die einer Lösung des Falls im Weg stand.”

    Diese Atmosphäre spiegelt sich vor allem in der ausgeblichenen und trostlos-grauen Optik. Alte Telefone und Schreibtische auf der vollgestopften Dorfwache fügen einen Hauch von Film Noir hinzu. Fast schon in lehrbuchhaft pudowkinschem Sinne macht sich Bong die Montage als Erzähler zu Nutze und lässt die Bilder sich gegenseitig kommentieren. Deren Ästhetik drängt sich allerdings nie in den Vordergrund und auch die Kamera bleibt überwiegend statisch und beobachtend. Gefüllt wird dieser Raum von passend gecasteten Darsteller und mit ihrem überzeugenden Spiel. Hinter den beiden Hauptdarstellern wirken in den Nebenrollen der Hauptverdächtige und eines seiner Opfer besonders ausdrucksstark und intensivieren die Wut und Bedrückung beim Zuschauer. Letztere hat auch Regisseur Bong während seiner peniblen Recherche zu den Morden empfunden, die ihm zusammen mit dem thematisch verbundenen Theaterstück „Come To See Me“ den Stoff für eine authentische Umsetzung lieferte. Deren Glaubwürdigkeit wird nur an einer Stelle im Film etwas angekratzt, als die Ermittler plötzlich eine Erkenntnis gewinnen, die eigentlich nicht nur dem Zuschauer bereits seit langem bekannt sein müsste.

    Um abschließend eine Parallele zu Bekanntem zu ziehen, lassen sich Setting und Stimmung des Films wohl am ehesten mit Fargo vergleichen, mit einem entscheidenden Unterschied jedoch, wie Bong treffend herausstreicht: „‚Fargo’ ist cool, unser Film dagegen sehr emotional. ‚Fargo’ behält eine distanzierte Sicht auf seine Charaktere und führt sie in völlig absurde und ironische Situationen. In ‚Memories Of Murder’ stehen wir alle auf dem Standpunkt der Ermittler, sowohl das Publikum, als auch der Regisseur. Deshalb werden sehr viele Emotionen wachgerufen, die schließlich explodieren.”

    Durch den Einsatz der erwähnten genrefremden Elemente und eines fast skandalösen Endes setzt sich Bong gezielt vom klassischen Hollywood-Thriller ab, verliert damit aber nichts von dessen Spannung, im Gegenteil. Das Einwirken alltäglicher Elemente, zu denen auch der Humor gehört, erzeugt ungewöhnlich harte emotionale Kontraste, wie wir sie täglich erleben, aber selten im Film kombiniert wissen (wollen). Bong: „Für mich war der Alltag immer ein Hilfsmittel, eine Art Ausgangssituation für meine Filme. Ich war immer der Meinung, dass man durch sein Einbringen einen Film interessanter machen kann als einen reinen Genrefilm. Ich war dabei aber weniger interessiert daran, nur die Nöte und Qualen des Alltags zu erforschen. Stattdessen wollte ich einen Film machen, der die Dualität unseres Lebens zwischen Freude und Trauer enthüllt oder das Surreale im irdischen Tun unseres täglichen Lebens.“

    “Memories Of Murder” ist also ein Film, dem die Bezeichnung „Thriller“ nicht gerecht wird. Platziert in einer dunklen Epoche Koreas gibt er ein Bild von dessen Stimmung in der sozialen Unterschicht wieder. In einem ungewöhnlich Stil bewegt er stilsicher die Emotionen des Zuschauers, der die Methoden der Ermittler zwar ablehnen kann, sich die gerechte Bestrafung des Täters aber ebenso herbeisehnt. Leider schreibt das wirkliche Leben andere Geschichten: „Der Verdächtige offenbart uns nie sein Gesicht – ebenso wenig wie das Böse selbst.“

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