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    Hard Boiled
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Hard Boiled
    Von Björn Becher

    Ein Jahr bevor John Woo 1993 sehr zum Leidwesen vieler Fans nach Hollywood wechselte, drehte er mit „Hard Boiled“ seinen letzten Hongkong-Film. Dieser ist Abschiedsfilm wie Bewerbungsvideo zugleich, versammelt wie kaum ein anderes Woo-Werk seine typischen Stilmittel und inhaltlichen Bezugspunkte. In der Hauptrolle natürlich sein Lieblingsschauspieler Chow Yun-Fat, oft mit Sonnenbrille und Zahnstocher bzw. Zigarette im Mundwinkel. Wie es sich für Abschied bzw. Bewerbung gehört, will man sich natürlich von seiner besten Seite zeigen und das heißt bei Woo möglichst viel erstklassig inszenierte Action. So strotzt „Hard Boiled“ auch nur davon, vernachlässigt daneben aber die Story sowie die Figuren, weswegen der Film nicht in der Liga von The Killer, A Better Tomorrow oder Woos bestem Hollywood-Film Im Körper des Feindes spielt.

    Ein Einsatz in einem Teehaus endet für Inspektor Yuen (Chow Yun Fat) in einem blutigen Fiasko. Beim Versuch die Waffenschieberbande des brutalen Johnny Wong (Anthony Wong) dingfest zu machen, müssen eine Menge Zivilisten und Polizisten ihr Leben lassen. Darunter auch Yuens bester Freund, dessen Killer er darauf eigenhändig hinrichtet. Der war leider ein Undercovercop, was den Schlamassel für Yuen noch größer macht. Sein Boss (Philip Chan) macht ihn nicht nur zur Schnecke, sondern befiehlt ihm nach weiteren Alleingängen, sich aus dem Fall herauszuhalten. Doch Yuen ermittelt weiter. In der Gangsterwelt bewegt sich derweil sehr viel. Wong übernimmt mit Gewalt das Geschäft des Konkurrenten Hoi (Hoi-Shan Kwan) und bedient sich dabei der Hilfe dessen rechter Hand Tony (Tony Leung Chiu Wai). Was weder Wong noch Yuen wissen: Tony ist ein weiterer Undercovercop, der eigentlich dasselbe Ziel wie Yuen verfolgt: Wong ausschalten. Doch erst einmal stehen sie auf verschiedenen Seiten.

    Im Endeffekt ist dieser Plot aber nur der Zusammenhalt zwischen drei großen Actionsequenzen (Teehaus, Lagerhaus, Krankenhaus) garniert mit noch einer kleinen Actionszene auf einem Boot dazwischen. Diese Action ist es, die „Hard Boiled“ ausmacht. In bester Woo-Manier lässt er seine Protagonisten mit zwei Pistolen oder großen Gewehren in Zeitlupe durch die Luft wirbeln und dabei so lange feuern, als wären leere Magazine nie erfunden worden. Gerade das fast 40 (!!!) Minuten lange Finale im Krankenhaus ist in dieser Hinsicht ein Phänomen. Hier findet sich in irgendeiner Szene jedes Stilmittel wieder, welches Woo einmal benutzt hat, alle seine Vorbilder von Peckinpah, Kubrick bis zu den wichtigsten Werken des Film Noir werden kurz zitiert. Garniert ist das Ganze mit eindrucksvollen handwerklichen Spielereien, die Woos ganzes Können bei der Führung seines Kameramanns und des Cutters zeigen. Höhepunkt: eine ca. drei Minuten langen ununterbrochene Actionsequenz.

    Die Geschichte vereint wie die Inszenierung klassische Elemente des „wooschen“ Kinos. Eine Männerfreundschaft zwischen zwei Antagonisten, die über die geistige Verwandtschaft hinaus geht, schließlich Seite an Seite kämpfen, kommt einem ähnlich bekannt vor, wie dass zwischen ihnen eine Frau steht, auch wenn dieser Punkt hier amüsant gebrochen wird. Tony hat kein echtes Interesse und benutzt die vermeintlichen Liebesbriefe nur, um geheime Botschaften auszutauschen.

    Chow Yun-Fats Figur bleibt dabei erstaunlich blass. Sein kurz zu Beginn eingeführtes Rachemotiv muss als Hintergrund für die Figur reichen. Deutlich interessanter ist dagegen der Charakter von Tony Leung. Hier zeigt sich aber der Malus gegenüber anderen Woo-Werken. Der war zu sehr bedacht darauf, zum Abschluss noch einmal das ganze Actionkönnen aufzubieten, um genug Zeit für die Figuren zu haben. Dass Tony unter seiner Rolle als Undercoverpolizist leidet, wird zwar durch Papierkraniche, die er immer faltet, wenn er einen Menschen umbringen musste, illustriert, das bleibt aber recht oberflächlich. Einzig und allein eine Szene auf dem Dach eines Haus, in welcher Tony vom Polizeisuperintendent, der als einziger von seiner Doppelrolle weiß, ein Geburtstagsgeschenk bekommt, verleiht der Figur mehr Tiefe. Dass aber gerade dieser Punkt noch mehr ausgeschlachtet werden kann, beweist ein moderner Hongkong-Klassiker. Die Macher des erstklassigen Thrillers Infernal Affairs (das Original zu Scorseses Departed: Unter Feinden) nahmen jene Szene zum Aufhänger, um den Widerspruch und die Zerrissenheit eines Undercovercops tiefer gehend zu beleuchten. Die Szene findet sich fast genauso in ihrem Film wieder und mit Tony Leung spielt amüsanterweise genau derselbe Darsteller den Charakter. Nur der Polizeichef wechselt. Den spielt in Infernal Affairs Anthony Wong, der hier noch als fieser Gangsterboss überzeugt. Dort schafft diese Szene mehr Eindruck, da sie stimmig ins Gesamtkonzept eingegliedert wurde. In „Hard Boiled“ wirkt sie fast ein wenig verloren. Überflüssig ist auch John Woos eigene Performance vor der Kamera. Als Vaterfigur und Ratgeber von Chow Yun-Fats Charakter liefert er nicht nur einen weiteren Beweis für seine limitierten schauspielerischen Fähigkeiten, sondern verkommt zum überflüssigen Kommentator einzelner Handlungsabschnitte - ein misslungener Versuch, dem zweiten Hauptcharakter auch ein bisschen Profil zu verleihen.

    Viel gelungener ist Woos Art und Weise, mit einfachen Mittel zusätzlich zu dramatisieren. Wie so oft werden Kinder wieder als symbolische Figuren und zur Spannungsförderung eingesetzt. Ähnlich einprägsam wie die Strandszene in The Killer oder die „Somewhere Over The Rainbow“-Sequenz in Im Körper des Feindes (nebenbei bemerkt, eine der allerbesten Szenen des modernen Actionkinos überhaupt und die ultimative Exempelszene für Woos symbolische Trennung der Welt in unschuldig / schuldig, Kinder / Erwachsene) ist es, wenn Chow Yun-Fat in „Hard Boiled“ mit einem Baby im Arm schießend durch das Krankenhaus rennt und sich schließlich aus einem Fenster im oberen Stock abseilt. Das Krankenhaus als Ort des finalen Schlagabtausches ist ein weiterer Kniff, den Woo in ähnlicher Weise gerne anwendet. So schafft er es ohne weitere Ausführungen, eine Horde Unbeteiligter, damit Unschuldiger, inmitten des bleihaltigen Szenarios zu platzieren und damit nicht nur weitere Opfer für ästhetisch gefilmte Sterbeszene zur Verfügung zu haben, sondern vor allem die Action weiter zu dramatisieren. Da Woo bei „Hard Boiled“ auch im Gegensatz zu vielen früheren Werken Polizisten statt Gangster glorifiziert, und deren Aufgabe das Retten von Leben ist, macht er die Situation für die Helden diffiziler und für die Bösewichte einfacher. Ein simples Stilmittel, welches in dramatischer Hinsicht meist funktioniert. Besondere Ironie liegt natürlich noch darin, dass das Krankenhaus per se ein Ort von Heilung und Rettung ist, hier aber für den Tod steht, zumal es fest in Gangsterhand ist und von diesen nur als Tarneinrichtung genutzt wird. Und noch einen Vorteil hat das Krankenhaus für Woo. Dessen „Opfer“ sind meist weiß gekleidet, da man auf dieser Farbe die blutigen Auswirkungen der abgefeuerten Kugeln besser verbildlichen kann. Kann man sich schon manchmal wundern, warum nun jeder einen weißen Anzug trägt, stellt sich diese Frage dieses Mal nicht. Ärztekittel, Schwesterntracht und Patientenhemd sind einfach weiß.

    So gibt es ein Finale, welches an Opfern und Blutgehalt dem von Woos „A Better Tomorrow II“ in nichts nachsteht und Dank der erstklassigen Actionchoreographie das Herz jedes Genrefans erfreut. Da vergisst man dann auch gerne mal inhaltlichen Schwächen, die ähnlich gelagerte Filme wie die eingangs angesprochenen Filme des Regisseurs, sein Vorbild The Wild Bunch oder modernes Heroic-Bloodshed-Kino wie Johnny Tos „Exiled“ nicht haben oder besser auszugleichen wissen.

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