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    Suspiria
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Suspiria
    Von Björn Helbig

    Manche Filme muss der Zuschauer erleben, um sie zu begreifen. Das gilt vor allem für Horrorfilme, die oft weniger durch den Inhalt als vielmehr durch ihre Form bis ins Mark beunruhigen. In besonderem Maße trifft dies auf die Filme von Dario Argento zu. Der Sinn und Zweck des teuflischen Treibens bleibt in den Werken des italienischen Regisseurs und Autors oftmals ebenso im Dunkeln wie die Motive des Bösen. Doch mit den meist hanebüchenen Storys gehen eine formale Brillanz und ein exzentrischer Sinn für Ästhetik einher, die Maßstäbe setzen. Hier offenbaren Argentos Filme ihre wahre Größe. Der Italiener mag ein lausiger Drehbuchautor sein, als Regisseur ist er genial - und mit „Suspiria" hat er sein Meisterstück abgeliefert.

    Suzanne Banyon (Jessica Harper) reist aus den USA nach Deutschland, um Ballettunterricht zu nehmen. Schon bei ihrer Ankunft beobachtet sie etwas Seltsames: Eine junge Frau scheint in panischer Angst aus der Ballettschule zu fliehen. Und auch die Leiterin der Einrichtung (Alida Valli) macht einen merkwürdigen Eindruck auf Suzy. In den nächsten Tagen häufen sich die Vorkommnisse: Nachts sind unheimliche Geräusche zu hören, dann wird die Schule von einer Madenplage heimgesucht; mehrere der Nachwuchstänzerinnen verschwinden und schließlich kommt auch der Schulpianist ums Leben. Suzy beginnt zu ahnen, dass in dem Gebäude dunkle Mächte wirken und fängt an, Nachforschungen anzustellen.

    Nach seiner sogenannten Tier-Trilogie aus „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe" (1969), „Die neunschwänzige Katze" (1970) und „Vier Fliegen auf grauem Samt" (1971) führte Dario Argento 1975 mit „Rosso – Farbe des Todes" den Giallo, dieses stilistisch ausgefeilte, oft sehr blutige Subgenre des italienischen Thrillers zu formvollendeter Perfektion. Zwei Jahre später sollte er sich mit „Suspiria" an einer neuen Thematik versuchen. Gemeinsam mit seiner Freundin Daria Nicolodi schrieb er das Drehbuch zu dem Film, der erstmals auch übersinnliche Elemente enthielt. Das Paar wurde durch Geschehnisse, die angeblich Nicolodis Großmutter widerfuhren, als diese Schülerin in einer Akademie war, inspiriert und reicherte den Stoff mit Motiven aus „Alice im Wunderland", „Schneewittchen" und „Blaubart" an. Thomas De Quinceys („Bekenntnisse eines englischen Opiumessers") Kapitel über die drei Mütter der Seufzer (Mater Suspiriorum), der Dunkelheit (Mater Tenebrarum) und der Tränen (Mater Lachrymarum) ist ein weiterer wichtiger Ausgangspunkt für „Suspiria" und Grundlage für eine später mit „Inferno" und The Mother Of Tears komplettierte neue Trilogie.

    „Suspiria" ist ein audiovisuelles Kunstwerk. Argento und sein Kameramann Luciano Tovoli („Beruf: Reporter", „Weiblich, ledig, jung sucht...") erzeugen durch stimmungsvoll ausgeleuchtete Sets, bizarre Kameraperspektiven und zahlreiche kreative Regieeinfälle eine unvergleichliche Atmosphäre. Sie machten sich das 1977 schon als veraltet geltende Technicolor-Farbfilm-Verfahren sowie den Einsatz verschiedener Farbfilter zunutze und gaben den Bildern damit eine besondere Aura: Aus Künstlichkeit wird Kunst. Als Inspirationsquellen für Farbgebung und Lichtsetzung nennt Argento „Schneewittchen und die sieben Zwerge" in der Version von Walt Disney sowie Filme des deutschen Expressionismus. Hier zählt vor allem Fritz Lang (M – Eine Stadt sucht einen Mörder, Metropolis) zu den immer wieder genannten Vorbildern Argentos. Doch auch der Einfluss der Spannungsbögen Alfred Hitchcocks, der Rauminszenierungen Michelangelo Antonionis (Blow Up, „L'avventura") und der Farbdramaturgie Mario Bavas („Die drei Gesichter der Furcht") ist in „Suspiria" feststellbar. Zum optischen Genuss kommt noch das eigenwillige Sounddesign der Progressive-Rock-Band „Goblin", das auch anderen Filmen von Argento immer wieder eine ganz besondere Note verleiht.

    In „Suspiria" herrscht sicherlich ein Primat des Stils und nicht des Stoffs, doch auch inhaltlich ist der Film alles andere als leer. Argento erhebt den Mord zur Kunstform und verknüpft ihn mit einem sexuellen Subtext. Dies wird gleich zu Beginn beim spektakulären Tod der fliehenden Ballettschülerin durch ein Messer und herunterstürzende Scherben deutlich. Der Regisseur orientiert sich strukturell an den Phasen des Geschlechtsverkehrs und akzentuiert den Zusammenhang oft durch den Einsatz phallischer Mordwerkzeuge. Verborgene Wünsche und Ängste finden symbolisch kodiert Eingang in die Geschichte. Nicht zufällig sind die Hauptfiguren in Argentos Filmen meist starke Frauen, die nach Selbstbestimmung streben und sich gegen männliche Gewalt behaupten müssen. Aber der Filmemacher vermeidet eindeutige Aussagen und bedient sich lieber der mehrdeutigen Sprache der Kunst. „Suspiria" steckt voller Rätsel und tiefenpsychologischer Motive – ein Gesamtkunstwerk, das viele Perspektiven und Lesarten zulässt.

    Argentos Film ist nicht in jedem Detail gelungen. So sind die Leistungen der Darsteller mit Ausnahme Jessica Harpers („Stardust Memories", Minority Report) kaum jemals besser als durchschnittlich; und auch die Spezialeffekte, die man im Falle der Plastik-Fledermaus mit gutem Willen noch als Referenz an ihren Zwilling in Bavas „Die Stunde wenn Dracula kommt" durchgehen lassen kann, sind an manchen Stellen wenig überzeugend. Darum geht es aber bei „Suspiria" kaum. Der Film funktioniert nicht auf einer sprachlich-logischen, sondern auf einer rein affektiv-sensorischen Ebene. Wer Suzys magische Odyssee in den labyrinthischen Gängen des Jugendstilhauses nicht gesehen hat (am besten auf der Leinwand), kann nur schwer nachvollziehen, welch fantastisches Ergebnis durch das Zusammenwirken von bewegten Bildern, Farben und Musik zu erreichen ist.

    „Suspiria" ist in seiner Form einzigartig. Das Remake, das sich derzeit in der Vorproduktion befindet, wird es wie so oft schwer haben, die Kraft des Originals zu erreichen. Sogar Argento selbst ist letztendlich daran gescheitert, seinen Stil zu kultivieren, geschweige denn, ihn weiter zu entwickeln. Nach seiner Zusammenarbeit mit George A. Romero bei Zombie – Dawn Of The Dead setzte Argento die Geschichte um die Hexensippe 1980 mit „Inferno" fort. Die Atmosphäre des visuell gleichwohl überzeugenden Films kann nicht mit der des Vorgängers mithalten. Mit dem kühlen Giallo „Tenebrae" (1982) und dem fantastischen „Phenomena" (1985) konnte Argento noch zwei auf ihre Weise herausragende Filme fertig stellen. Danach begann der langsame Abstieg des Regisseurs, der 2007 mit The Mother Of Tears, dem dritten Teil der Hexen-Trilogie, seinen aktuellen Tiefpunkt fand.

    Fazit: Dario Argentos „Suspiria" ist ein Ur-Film des modernen Horrorkinos und einer der wichtigsten Vertreter des Genres überhaupt. Durch bloße Lektüre über Form und Inhalt kommt man ihm allerdings nur wenig näher. Dieses zugleich wunderschöne und grausame Kunstwerk gilt es, am eigenen Leib zu spüren und zu erleben.

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