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    Guatemala Massacre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Guatemala Massacre
    Von Nicole Kühn

    Psychopathen üben seit jeher eine schaurige Faszination aus. Zum Genuss wird die Beschäftigung mit solchen Menschen, wenn man weiß, dass nichts davon real ist und gleichzeitig Begründungszusammenhänge mit der Biographie des Täters geliefert werden. Das Erfolgsgeheimnis unzähliger Psychothriller, die in ihrer Gesamtheit keines der gängigen Täterprofile auslassen und oft genug vereinfachende Erklärungsmuster bieten. Das Autoren- und Regietrio Villaronga, Zimmermann und Racine hat nun ihre Dokumentation „In The Mind Of A Killer“ über einen realen Serientäter aus vielen verschiedenen Elementen zusammengestellt. Geschickt spielen sie mit Klischees und den Erwartungen des Zuschauers, um am Ende eine ganz andere, vielleicht viel Interessantere Frage als die nach dem Innenleben eines Serienkillers zu stellen, nämlich die nach unseren Wahrnehmungsmustern.

    Die reale Begebenheit, die der so genannten „fiktiven, aber dennoch auf wahren Ereignissen beruhenden Film-Dokumentation“ zugrunde liegt, ist kompliziert genug. In den 80er Jahren geht eine Schreckensmeldung durch die Nachrichten, der ungarischer Matrose Aro Tolbukhin, seit Jahren aufopferungsvoller Helfer in einer christlichen Mission, zündet 7 Patienten an und verbrennt sie bei lebendigem Leib. Den zum Tode Verurteilten besucht ein französisches Journalistenteam für ein letztes Interview vor laufender Kamera. Dieses Material inspirierte die Filmemacher Jahre später dazu, die Spurensuche wieder aufzunehmen, mehr zu erfahren über diesen verschwiegenen Mann, einzudringen „In The Mind Of A Killer“ und die verworrenen Innenwelten dem Publikum nachvollziehbar zu machen.

    Um dieses Ziel zu erreichen, bedienen sich die Autoren aller Mittel, die moderne Medien möglich machen. Ein wichtiger Part spielt am Ort des Geschehens in der Mission in Guatemala. Wieder entdeckte Filmaufnahmen aus dieser Zeit zeigen einen in sich gekehrten Mann, der ohne großes Aufheben seine Arbeit im Dienst des Guten tut. Ergänzt werden diese Aufnahmen mit nachgestellten Szenen, die ein ebenfalls verwendetes Film-Interview mit Schwester Carmen umsetzen. Mit dieser Frau verband Aro, der sich in der Mission als Hans vorstellte, eine ganz besondere, wenn auch rein platonische Beziehung. Zum Kinde kommen beide wie die Jungfrau, da eine Frau kurz nach der Geburt stirbt und sich beide des Säuglings annehmen. Durch einen Unfall wird das Glück zerstört, die Situation wird für Carmen als Nonne unhaltbar, so dass sie sich versetzen lässt.

    Die enorme Wandlung des freundlichen Aro in einen unzugänglichen, groben Mann, der schließlich seine Schützlinge verbrennt, scheint nicht allein durch diese Trennung nachvollziehbar. So macht sich ein Kamerateam auf in seine Heimat Ungarn. Gestützt auf ein nur auf Tonband aufgezeichnetes Interview mit Aro kurz vor seiner Hinrichtung und ein Interview mit der ehemaligen Kinderfrau entsteht ein Film, der die Qualen der Seele dieses Mannes erhellt. Die Mutter stirbt bei der Geburt der Zwillinge, der Vater reagiert mit äußerster Strenge und lässt die Kinder im Glauben, die Mutter läge jahrelang krank in ihrem Zimmer, das die Kinder nicht betreten dürfen. Zwischen Bruder und Schwester entwickelt sich eine innige Beziehung, die im Inzest endet. Die schwangere Schwester verliert durch schwerste Verbrennungen zunächst ihr Kind und dann ihr Leben.

    Um den Bezug zum erwachsenen Aro nicht zu verlieren, werden nachgestellte Sequenzen des Toninterviews in diese ebenfalls nachgespielte Rückschau auf die Kindheit des Täters eingeblendet. Konfrontiert mit diesem Material erklärt sich für Schwester Carmen die obsessive Intensität, mit der Aro an ihr hing. Offensichtlich sah er in ihr seine auf so tragische Weise aus dem Leben geschiedene Schwester und konnte die wiederholte gewaltsame Trennung von einer so immens wichtigen weiblichen Bezugsperson nicht verkraften. Verwirrend? Gut so, denn das genau ist das Ziel dieses sehr weit gehenden Medienexperiments.

    Eine reale Begebenheit als Ausgangspunkt dieser Doku-Soap anzuführen, ist bereits der erste Clou. Nachrichten- und Zeitungsausschnitte liefern Tatsachenberichte, Interviews mit Bekannten ergänzen diese wenigen Fakten und lassen gemeinsam mit dem authentisch wirkenden Filmmaterial eine Persönlichkeit entstehen. Die verbleibenden Leerstellen mit nachgedrehten Elementen zu füllen, entspricht der Methodik einer Doku-Soap, die inzwischen auf allen Fernsehkanälen Edutainment par excellence betreibt. Das Manko, gerade bei den wichtigen Ereignissen der Historie oder auch der Zeitgeschichte gerade keine Kamera zur Hand zu haben, die alles live und hautnah mitfilmt, wird auf diese Weise ausgeglichen und damit dem Verlangen nach möglichst realer Action Genüge getan. Bemühen sich die Aufnahmen über den Lebensabschnitt Aros noch um eine den Originalaufnahmen ähnliche Ästhetik, so nimmt sich die Bebilderung von Aros Kindheit in Ungarn die Freiheit heraus, ganz offensichtlich der Poesie zu entstammen. Vorweggeschickt wird, dass die Erzählungen Aros von reger Phantasie zeugen und dass er selbst seine Kindheit stilisiert und verklärt erinnert. Folgerichtig erweckt der in Schwarzweiß gedrehte Film im Film den Eindruck eines Märchens, in dem unheimliche Gestalten die Welt bevölkern und die Einheit Aros mit seiner Zwillingsschwester zu einem kunstvoll inszenierten Höhepunkt wird.

    Es scheint so, als entspringe Aros Leben direkt einem Standardwerk für Psychopathologische Krankheiten, und keines der dort angeführten Erlebnisse mit traumatischen Wirkungen scheint er versäumt zu haben. Damit erfüllt er alle Erwartungen, die ein Außenstehender an die Innenwelt eines Mörders entwickeln kann – man fragt sich jedoch, ob das nicht schon zu viel des Guten bzw. Bösen ist. Genau mit dieser Übererfüllung dessen, was man schon vor dem Film in groben Zügen zu wissen meint, wirft das Autorentrio den Zuschauer auf sich selbst zurück. Was erwarten wir, wenn wir uns einen Film mit dem Titel „In The Mind Of A Killer“ ansehen? Wären wir nicht sogar unwillig zu glauben, dass ein solcher Mensch keinerlei traumatisches Erlebnis als Grund für sein Handeln angeben kann? Wollen wir tatsächlich in die inneren Welten eines unmenschlich wirkenden Menschen eintauchen, oder wollen wir uns nur damit beruhigen, dass ein Mensch nur so werden kann, wenn er gute Gründe dafür hat? Dass uns ein wirklicher Zugang in der Regel verwehrt bleibt, macht Aro selbst mit seiner Antwort auf die Frage, weshalb er all dies erzählt habe, unmissverständlich deutlich: „to entertain you“.

    Durch die technisch extrem aufwändige und sehr real wirkende Vielfalt des verwendeten Materials gelingt es dem Film tatsächlich, zunächst Ratlosigkeit zu provozieren. Schwer zu entscheiden, ob und was an dieser Dokumentation Wahres dran ist. Dies bleibt letztlich jedem selbst überlassen. Damit bewegt sich der diskussionswürdige Film auf einem schmalen Grat, da er die kritisiert Manipulation durch die Medien letztlich selbst bis zur Perfektion treibt.

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