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    Bin-Jip – Leere Häuser
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Bin-Jip – Leere Häuser
    Von Alina Bacher

    „Die am meisten lieben, sprechen am wenigsten.“ Diese Volksweisheit aus Schottland gibt Kim Ki-Duks meisterhaft poetischen Film „Bin Jip“ wunderbar wider. Der Kritikerliebling beweist mit „Bin Jip“ abermals, dass er ein Händchen für feinfühliges Kino hat. Nach seinem Erfolg mit „Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling“ bleibt er der tragischen Liebesgeschichte treu und inszenierte ein wundervolles, schwerelos dahinschwebendes Drama, in dem fast kein Wort gesprochen wird. Doch genau diese Stille - und der meisterhafte Einsatz der meditativen Melodien - bezaubern und machen „Bin Jip“ zu einer der schönsten Liebesgeschichten, die in diesem Jahr auf der Leinwand zu sehen sind.

    Tae-suk (Hee Jae) hat einen eher ungewöhnlichen Zeitvertreib: Auf seinem Motorrad tourt er durch die Stadt und hängt Werbezettel an Haustüren, um so festzustellen, ob die Besitzer verreist sind. Wenn ja, bricht er in die Wohnungen ein und macht es sich gemütlich. Ein Essen vor dem Fernseher, ein heißes Bad… eben alles, was der eigentlich Hausbesitzer auch tagtäglich in seiner Wohnung macht. Als Gegenleistung hält er seine vorrübergehende Bleibe instand, kümmert sich um die Pflanzen, macht die Wäsche und repariert kaputte Elektrogeräte. Sein „Heinzelmännchen“-Dasein läuft gut, bis er eines Tages in die Villa eines reichen Ehepaares einsteigt, und dabei von der Frau des Besitzers überrascht wird. Sun-hwa (Seung-yeon Lee) ist glücklich über die Abwechslung in ihrem Leben, denn so perfekt, wie es von außen wirkt, geht es in ihrer Ehe nicht zu. Als Tae-suk das sieht, beschließt er, die Fremde von ihrer Misere zu befreien und schlägt ihren ungeliebten Ehemann gewaltsam mit ein paar Golfbällen nieder. Von nun an ziehen die beiden gemeinsam durch die Straßen und steigen in fremde Wohnungen ein. Bis eines Tages das Schicksal die beiden einholt und ihre ungewöhnliche Liebesbeziehung auf eine harte Probe stellt ...

    Nach „Frühling, Sommer, Herbst, Winter...und Frühling“ kommt der koreanische Regisseur Kim Ki-Duk mit „Bin Jip“ wieder mit einer tragischen Liebesgeschichte in die Kinos. Wie bereits im Vorgänger sind es dieses Mal besonders die Bildkompositionen, die den Film zart dahinschweben lassen. Gesprochen wird fast nichts. Die beiden Hauptfiguren schweigen während des Films beinahe durchgehend, doch das fällt dem Zuschauer fast nicht auf. Vielmehr wird das Augenmerk des Publikums gekonnt auf die schlichten, poetischen Bilder gelenkt. Auch die Musik wird in „Bin Jip“ eher sparsam verwendet. Mit meditativen Klängen unterlegt Kim Ki-Duk nur bestimmte Szenen und erzeugt so Harmonie und Ruhe. Die Welt scheint für die Hauptfiguren im Einklang zu sein, nichts kann die beiden je trennen. Mit seiner langsamen Kameraführung, der wenigen meditativen Musik und den langen Momenten der Stille schwebt „Bin Jip“ die ganze Zeit irgendwo zwischen Traum und Wirklichkeit und überlässt das Urteil seinem Zuschauer.

    Doch wie bereits in seinen Vorgängerfilmen verzichtet Ki-Duk nicht auf Gewalt. Wer jetzt allerdings große Blutbäder und Schießereien vermutet, liegt daneben, denn Ki-Duks Gewalt geht vielmehr vom Golfen aus. Wie der Name bereits verrät, Bin Jip heißt übersetzt Eisen-3 (ein Golfschläger), ist die Edelsportart im Film vielmehr als bloße körperliche Betätigung. Tae-suk befreit seine Geliebte von ihrem Ehemann, indem er ihn mit gezielten Golfschlägen außer Gefecht setzt. Dass das trotz einer gewissen Poesie immer noch ziemlich brutal ist, kann sich jeder selbst ausmalen. Trotzdem bleibt das Golfen, und mit ihm die Gewalt, im Film allgegenwärtig. Immer wieder versucht Tae-suk, sich im Golfen zu üben, doch Sun-hwa stellt sich seinen Schlägen in den Weg und verhindert so Tae-suks Gewaltausbrüche. Wie in vielen Ki-Duk-Filmen strahlt auch hier die Frau etwas Ruhiges, Friedliches und Belehrendes aus. Ganz im Gegensatz zu ihrem männlichen Gegenpart, der mit seinem Schweigen fast eine Art Widerstand gegen sämtliche Konventionen probt (nicht einmal auf der Polizeiwache kann er zum Reden gebracht werden), entscheidet sich Sun-hwa bewusst für die Stille als Mittel des Friedens und der Harmonie.

    Ein weiterer großer Punkt in „Bin Jip“ ist die Wandlung Sun-hwas von der unsicheren, unterwürfigen Ehefrau zur starken, selbstbewussten Dame. Den Anstoß dafür gibt zwar Tae-suk, doch fortan entwickelt sich Sun-hwa selbstständig und unabhängig von ihrem schweigsamen Begleiter, während die beiden von Haus zu Haus ziehen. Der Regisseur selbst kommentiert seinen Film: „Wir sind alle leere Häuser, die darauf warten, dass jemand die Tür öffnet und uns befreit.“ Beachtet man diesen Kommentar, bekommt der Film eine viel tiefgründigere, philosophischere Bedeutung. Ist Tae-suk real oder existiert er nur in Sun-hwas Fantasie? Die Frage stellt sich der Zuschauer zwar gegen Schluss, doch ist die Antwort darauf ist nicht so wichtig. Was wirklich zählt, ist dass es diese kleinen Wunder, die das Leben wieder lebenswert machen, doch immer noch gibt. Egal, ob wir sie selbst herbeiführen oder uns dabei jemand helfend zur Seite steht.

    Die beiden Protagonisten agieren wunderbar zusammen und harmonisieren, ohne jemals ein einziges Wort zu sprechen. Jedes Gefühl findet in „Bin Jip“ nicht durch Sprache seinen Ausdruck, sondern durch hervorragendes Schauspiel, das mit sehr wenig Mimik und Gestik auskommt. Vielmehr findet die Verständigung auf einem ganz anderen, unbekannten Level statt. Trotzdem versteht man die Figuren und ihr Handeln, kann ihre ehrliche Liebe fast mitspüren. Auch wenn hierzulande koreanische Schauspieler schnell wieder in Vergessenheit geraten, werden Hee Jae und Seung-yeon Lee als schweigendes Liebespaar beim Kinopublikum mit Sicherheit einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

    In der heutigen Zeit scheinen viele Regisseure vergessen zu haben, dass das Medium Film eigentlich besonders durch seine Bilder lebt. Die Sprache kam im Laufe der Geschichte erst später hinzu. Ki-Duk besinnt sich auf die Ursprünge des Kinos und inszeniert durch bloße Bildgewalt die wohl schönste Liebesgeschichte des Sommers. Ganz still, ganz leise... ganz wunderbar.

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