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    Ländliche Ansichten: Der Alltag
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Ländliche Ansichten: Der Alltag
    Von Ulf Lepelmeier

    Der französische Regisseur Raymond Depardon setzt mit seinem Film „Ländliche Ansichten: Der Alltag“ seine filmische Tributzollung an die französischen Kleinbauern fort. Die geplante Trilogie soll den Betrachter in eine Welt einführen, die in ihrer Einfachheit und noch bestehenden naturellen Verbundenheit, so in Westeuropa nicht mehr oft anzutreffen ist und die nicht in unsere Zeitalter des Effektivitätsdenkens zu passen scheint. Depardon, der selbst seine Kindheit auf einem Bauernhof verbrachte, liegt daran, die archaische bäuerliche Welt fern von jeglicher Idealisierung einzufangen. Die von ihm vor der Kamera angesprochenen Menschen leben alle auf dem französischen Zentralmassiv in den ländlichen Gebieten der Lozère, Ardèche und Haute-Loire. Dort, wo andere ihre Sommerhäuser unterhalten und nur verweilen, wenn sie abseits aller Hektik Erholung suchen, verrichten sie 365 Tage im Jahr harte Arbeit, meist nur um irgendwie über die Runden zu kommen. Im zweiten Teil der „Ländlichen Ansichten“ werden die Widrigkeiten des Bauerndaseins, die Existenzängste und die fehlende Zukunftsperspektive der Profession ungeschönt dargestellt. Der Dokumentation ist dabei aber eine gewisse Einseitigkeit und Langatmigkeit vorzuwerfen. Für einen Kurzfilm wäre das filmische Material sicherlich geeignet, für einen abendfüllenden Film gibt es aber einfach nicht genug her.

    Der Film beginnt mit der Beerdigung von Louis Bresse, einem der Interviewpartner des ersten Teils der Trilogie. Dessen Ableben scheint den langsamen Untergang des Standes der französischen Kleinbauern widerzuspiegeln. Die französische Landwirtschaft ist mittlerweile überwiegend monopolisiert, liegt in den Händen weniger Großkonzerne. Nur noch wenige Bauern sind in der Einsamkeit des französischen Zentralmassivs übrig geblieben. Viele von ihnen stehen kurz vor ihrem Renteneintrittsalter oder sind sogar auf dem Papier schon Rentner, gehen aber weiterhin ihren gewohnten bäuerlichen Tätigkeiten nach. Die Jugend zieht es fort vom Land und hinein in die Städte. Die meisten jungen Leute haben einfach kein Interesse daran, in der Abgeschiedenheit harte landwirtschaftliche Arbeit zu verrichten. So ist es für viele Bauern in höheren Lebensjahren sehr schwer, einen neuen Pächter für ihr Land zu finden. Spielen Personen mit dem Gedanken, einen landwirtschaftlichen Kleinbetrieb zu übernehmen wird ihnen zudem noch ein bürokratischer Knüppel zwischen die Beine geworfen.

    Zumeist sind die auf dem Lande lebenden Menschen, die hier zu Wort kommen, verschlossen und nicht besonders gesprächig, weshalb es zumeist bei gleichartigen Standardfragen bleibt. Der Interviewstil, der den gesamten Film durchläuft, schwangt sehr stark zwischen Extremen. Mal wird mit einem älteren Mann einfühlsam umgegangen, ihm Zeit gelassen, bis er eine Antwort preis geben möchte, mal werden aber auch verhörartig anmutende Methoden an den Tag gelegt, die dann mit einsilbigen Antworten im Stakkatotakt quittiert werden. Welche Last der Besitz und das Betreiben eines Bauerhofes darstellen kann, wird an einem Ehepaar deutlich, welches ihren Hof verkaufen möchte. Als ihnen der Hof noch gehört, wirken sie unsicher und fahrig vor der Kamera. Monate später als sie ihren Hof gegen ein kleines Haus in einem Städtchen getauscht haben und von dem Filmteam nochmals besucht werden, sind sie um einiges redseliger und machen einen weitaus glücklicheren Eindruck. Durch die Abkehr vom bäuerlichen Leben scheint ihnen eine zentnerschwere Last genommen zu sein.

    Auch wenn Regisseur Raymond Depardon gutzuschreiben ist, dass er sich jeder touristischen, schönmalerischen Betrachtung der Berglandschaften und ihrer Bewohner verweigert, so ist ihm doch die Langatmigkeit seines Films vorzuwerfen. Zuzusehen, wie ein Mann mit Kippe im Mund in einem spärlich beleuchteten Stall eine Kuh melkt, ist beispielsweise nicht sonderlich kurzweilig. Auch die Auswahl der Interviewpartner ist bei weitem nicht optimal. Depardon geht es darum, den Zuschauer die schrumpfende Welt der Kleinbauern näher zu bringen, dies mag auch gelingen, doch die Betrachtung auf die Sichtweise der Kleinbauern zu beschränken, erscheint für eine Dokumentation in Spielfilmlänge einfach zu wenig. Kommen die hohen Agrarsubventionen diesen Bauern gar nicht zu Gute? Gibt es für die französischen Kleinbauern vielleicht noch Perspektiven im Premiumsektor der Lebensmittelproduktion? Alles was über die jetzige Situation der Bauern, ihre persönlichen Probleme und Standpunkte hinaus geht, wird einfach nicht behandelt.

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