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    Die Klavierspielerin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Die Klavierspielerin
    Von Christian Schön

    „Ernst ist das Leben – Heiter ist die Kunst“ (Walter Klemmer in: „Die Klavierspielerin“)

    Die österreichische Autorin Elfriede Jelinek hat 2004 den Literaturnobelpreis erhalten. Von ihr stammt der Roman „Die Klavierspielerin“, den Michael Haneke 2001 verfilmt hat (Originaltitel: „La Pianiste“). Bei dem Buch handelt es sich wohl um die bekannteste Arbeit der Jelinek und die am leichtesten Zugänglichste, da es im Vergleich zu anderen Werken die klarste narrative Erzählstruktur aufweist. Der autobiographische Bezug, den die Autorin dem Werk attestiert, machte es für die Kritik und als Stoff für eine Verfilmung umso interessanter. Gute Literaturverfilmungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht allzu nahe an der Vorlage bleiben (wie dies zum Beispiel bei Apocalypse Now der Fall ist, der auf dem Roman „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad basiert). Geschieht dies, sind die meisten Leser enttäuscht, da sie eine völlig andere Vorstellung beim Lesen hatten. Hanekes „Klavierspielerin“ zeigt mehr Haneke als Jelinek. Dieser zeigt sich von seiner besten Seite und das brachte dem Film, neben den Auszeichnungen für Isabelle Huppert und Benoît Magimel, den Großen Preis der Jury in Cannes ein.

    Im Wien unserer Zeit wohnen Erika Kohut (Isabelle Huppert) und ihre Mutter (Annie Girardot) in einer kleinen Mietwohnung. Erika ist Professorin für Klavier am Wiener Konservatorium, da sie keine Karriere als professionelle Klavierspielerin machen konnte. Nach dem Tod des Vaters teilt Erika mit der Mutter das Ehebett. Neben der Musik, die auch einen großen Teil von Erikas Privatleben einnimmt, interessiert diese sich für den Besuch von Videokabinen in Sexshops und das Verstümmeln ihres eigenen Körpers. Bei dem Besuch eines Hauskonzertabends lernt sie Walter Klemmer (Benoît Magimel) - einen Schwachstromstudenten - kennen. Neben der Liebe zur Musik verbindet die beiden bald auch die zwischenmenschliche Liebe, die sich jedoch mehr auf körperliches Begehren beschränkt. Erikas soziale Kontakte werden von der Mutter bestimmt und kontrolliert. Um in die Nähe von Erika zu kommen, bewirbt sich Walter, der ebenfalls Klavier spielt, für die Meisterklasse von Prof. Kohut. Nach einigen vergeblichen aufdringlichen Annäherungsversuchen von Seiten Walters kommt es zu einer ersten sexuellen Interaktion. Hier wird klar, dass sich die Vorstellungen der Beiden darüber, wie eine Beziehung funktionieren kann, sehr stark unterscheiden. In einem Brief klärt Erika Walter über ihre masochistischen Phantasien auf...

    Hanekes inszenatorischer Stil wird oft als ‚kalt’ beschrieben. Im Film zeigt sich diese Kälte in der gleichberechtigten Darstellung des Inhalts: Szenen der absoluten Grausamkeit werden in ebenso erbitterter Klarheit gezeigt wie solche, die Angenehmeres darstellen. Die Bilderwelt, die vorgeführt wird, ist von psychologisch filigraner Vielschichtigkeit. Der Text von Franz Schuberts „Der Stürmische Morgen“ entpuppt sich als Kommentar zum Geschehen, als Erika einer Schülerin Glasscherben in die Manteltasche steckt in der bösen Absicht, sie spielunfähig zu machen. Der Umgang mit der Musik überhaupt korreliert im Verlauf des Films anspielungsreich mit dessen Handlung. Man möchte fast glauben, dass mit Erika Kohut das Alterego Hanekes auf die Leinwand gebannt ist. Ihrem Charakter nach legt sie an die Kunst einen ebenso großen Perfektionismus, wie dies von Hanekes Arbeitsweise behauptet wird. Sie ist, gerade zu Beginn des Films, ein seelenloses, kaltes, kaltherziges Wesen. Nicht einmal wenn sie mit einer Rasierklinge in ihre Schamlippen schneidet ist sie fähig, ihrem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Dass sie sich gerade in jemanden verliebt, der Eishockey spielt und sich auf kaltem Terrain auskennen müsste, die Beziehung aber dennoch scheitert, kann nur mit einem bitteren Lächeln quittiert werden. Die Variationen der Kälte in der Figur Erikas decken sich mit Hanekes Stil.

    Erika Kohut vereint in sich den stärksten Widerspruch, den der Film behandelt. Sie ist zum einen Trägerin der hohen Kunst des Klavierspiels, zu deren Meisterschaft (sprich: Erfolg) sie es zwar nicht geschafft hat, die sie doch mit höchsten Grad an Perfektion und Totalität vertritt. An ihrem Körper vollzieht sich auf der anderen Seite brutale Gewalt. Gewalt steht im Allgemeinen im Gegensatz zur hohen Kultur. Das Thema Gewalt in der Kunst ist ein sehr altes, und begleitet die abendländische Kunst von ihrem Beginn an. Christus am Kreuz - um genauer zu sein, dessen Abbildung, stehen am Beginn dieser Entwicklung. Ein Künstler unterwirft sich einem bestimmten - strengen oder weniger strengem - Regelwerk. Diese Unterwerfung gleicht einem masochistischen Akt. Über diese Hintertür findet die Gewalt Eingang in die Kunst. Haneke beispielsweise hat als Regisseur ein sehr striktes Regelwerk, dem er folgt. Jede Szene wird vorab genau geplant und dann pedantisch umgesetzt. In Erika Kohut als Künstlerin tauchen beide Bereiche getrennt voneinander auf. Sie lebt den Masochismus in allen Facetten aus. Dies betrifft den Lebensbereich Familie in der Form der Unterwerfung unter die Mutter, die Sexualität in der Suche nach einem Partner, dem sie sich unterwerfen kann – sei es unter Zwang des Partners oder auf freiwilliger Basis. Sieht man sie als Klavierlehrerin, wird schnell klar, dass auch das Klavierspiel keine leichte Übung ist, sondern ebenfalls einem strengen Regelwerk folgt.

    Wenn das Leben ernst und die Kunst heiter ist, so hat man nach diesem Film eher das Gefühl, dass das Umgekehrte der Fall ist. Heiter ist dieser Film nur insofern, als man ihn von seinem Ende her begreift, was Hanekes zynischen Humor freilegt. Hier ist alles ‚Spiel’. Haneke spielt mit den Erwartungen des Zuschauers, der gerne wissen würde, wie es mit Erika weitergeht oder warum sie tut, was sie tut. Was bisher so drastisch gezeigt wurde, soll weiter gezeigt werden. Der Regisseur selbst markiert sich als Machthaber über die Bilder. Er entscheidet, was wir sehen und er bestimmt auch den Zeitpunkt, ab dem der Konsument nicht mehr mit Bildern versorgt wird. Der Lacher ist also eher auf der Seite Hanekes.

    Die letzte Einstellung ist zudem eine Entlarvende. Der Kinobesucher wird zum Voyeuristen abgestempelt, der weiter hinschauen will. Wer bis zu diesem Zeitpunkt im Kino verweilt ist, hat sich schuldig gemacht, an dem Schicksal der Figur Erika interessiert zu sein. Exemplarisch für einige weitere Szenen, die in dieselbe Richtung weisen, sei hier die Episode im Autokino erwähnt. Gleich doppelt wird hier die Kategorie des Visuellen, des schauen Wollens, vorgeführt. Auf einer ersten Ebene – ganz klar – der Kinobesucher als solcher. Auf einer zweiten Ebene befindet sich Erika Kohut, die mit einer ähnlichen Motivation das Autokino besucht. An dem gezeigten Film ist sie dessen ungeachtet weniger interessiert. Was Erika sehen will, ist ein kopulierendes Pärchen. Während des Beschauens uriniert sie, was sichtlich zu einer sexuellen Erregung führt. Nachdem sie von dem Mann im Auto entdeckt, und bei ihrer Tat (!) des eigentlich passiven Schauens ertappt wurde, flüchtet sie, da sie sich schuldig gemacht hat, einen Blick von etwas erhascht zu haben, was der Intimsphäre des Pärchens vorbehalten war. Das Offenlegen solcher Strukturen und das Entlarven des Zuschauers ist ein typischer Zug des Kinos von Haneke, zuletzt im Film „Caché“. Aber das ist eine andere Geschichte.

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