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    Edge of Love - Was von der Liebe bleibt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Edge of Love - Was von der Liebe bleibt
    Von Christian Schön

    Der Blick in die Geschichte ist für Filmemacher nach wie vor außergewöhnlich reizvoll. Dabei werden wahre historische Begebenheiten oftmals zu beispielhaften Erzählungen für die Gegenwart verdichtet, was besonders für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs gilt. Zuletzt wurde das historische Trauma in Filmen wie Der Vorleser oder John Rabe in eine sinnhafte erzählerische Form gegossen. Die Handlung von John Mayburys Drama „The Edge Of Love“ ist zwar auch in den Wirren des Weltkriegs angesiedelt, aber dem Regisseur geht es um mehr als die Aufarbeitung von Geschichte. Gleichsam nebenbei erzählt er vom Leben des walisischen Schriftstellers Dylan Thomas und verknüpft den großen historischen Hintergrund mit der Künstlerbiographie, um eine eigenständige Geschichte von Liebe und Freundschaft zu erzählen. Die vielschichtige Handlung und die komplexen Figurenbeziehungen sorgen dabei von Beginn an für eine beachtliche Sogwirkung..

    Im London des Zweiten Weltkriegs treffen sich zufällig Vera Phillips (Keira Knightley) und Dylan Thomas (Matthew Rhys) wieder, zwei alte Bekannte und Geliebte aus walisischen Jugendtagen. Die Sängerin Vera ist inzwischen ein Star, aber der Dichter Dylan hat Schwierigkeiten sich selbst und seine Frau Caitlin (Sienna Miller) durchzubringen. Das Ehepaar entgeht der permanenten Wohnungsnot schließlich, indem es bei Vera unterkommt. In Dylan und der Sängerin erwacht die besondere Verbundenheit der ersten Liebe zu neuem Leben, aber auch zwischen Caitlin und Vera entsteht ein vertrautes Verhältnis. Die komplizierten Beziehungen sind nicht frei von Eifersucht. Die Lage entspannt sich erst als der junge Offizier William Killick (Cillian Murphy) Vera Avancen macht. Zunächst hat die Frau noch Vorbehalte, lässt sich aber auf die Liebschaft ein, nachdem William erfahren hat, dass er an die Front muss. Noch bevor der Soldat das Land verlässt, heiratet er die inzwischen Schwangere. Wieder zu dritt beschließen Dylan, Caitlin und Vera gemeinsam aufs Land zu ziehen, aber die anhaltende Erfolglosigkeit des Autors, der sich ebenso wie seine Frau in Affären flüchtet, lässt die Situation immer unerträglicher werden. Als Dylan sich schließlich erneut Vera annähert, kehrt der traumatisierte William aus dem Krieg heim…

    Noch bevor die erste Minute von „The Edge Of Love“ verstrichen ist, wird klar, dass rein akustisch etwas ganz Besonderes zu erwarten ist. Für den Soundtrack des Films zeichnet nämlich Angelo Badalamenti verantwortlich. Der unverkennbare Stil des Komponisten weckt Erinnerungen an seine Arbeiten für David Lynch wie Blue Velvet und vor allem Mulholland Drive. Badalamentis spezifischer Klang ist auch in Mayburys Film ein nachhaltig prägendes Element: Sein wehmütiges Arrangement des 40er-Jahre-Songs „Blue Tahitian Moon“, den Vera vor einem Soldatenpublikum darbietet, sorgt für fünf entrückt sehnsuchtsvolle Minuten inmitten der tristen Kriegssituation. Ähnlich wie bei Lale Andersens „Lili Marleen“ in Fassbinders gleichnamigem Film wird die Melodie von „Blue Tahitian Moon“ zum Leitmotiv von Badalamentis Musik für „The Edge Of Love“. Seine Varianten und Veränderungen reflektieren die sich fortwährend eintrübende Stimmung des Films. Die oft leicht kitschig angehauchte Bildgestaltung entfaltet zudem erst im Zusammenspiel mit den ironischen Brechungen in Badalamentis Kompositionen ihre vollständige Wirkung. John Maybury profitiert von seinen Erfahrungen als Regisseur von Musikvideos (unter anderem inszenierte er für Sinéad O'Connor „Nothing Compares 2 U“) und sorgt für die adäquate Balance von Bild und Ton, womit er die Qualität von Badalamentis Arbeit noch unterstreicht.

    Schon in seinem vielfach ausgezeichneten ersten langen Spielfilm Love Is The Devil verweigerte sich John Maybury den Konventionen der herkömmlichen Künstlerbiographie. Auch in „The Edge Of Love“ verzichtet er auf romantisierende Genreklischees und gibt seiner Dylan-Thomas-Studie genauso wie vorher seinem Francis-Bacon-Porträt ein ganz eigenes Gepräge. Stand bei „Love Is The Devil“ die homosexuelle Beziehung des Malers zum Gauner George Dyer im Mittelpunkt, ist Dylan Thomas im neuen Film nur die dritte Hauptfigur. Im Zentrum steht insgesamt vielmehr die schwierige, aber innige Freundschaft zwischen Vera und Caitlin. Dieser Gewichtung entsprechen die absolut herausragenden Leistungen von Keira Knightley (Abbitte, Stolz und Vorurteil, Fluch der Karibik) und allen voran Sienna Miller (Der Sternwanderer, Interview). Aber auch Matthew Rhys (Love And Other Disasters), der bisher hauptsächlich als Seriendarsteller und Theaterschauspieler arbeitete, meistert seine bislang wichtigste Rolle als Dylan Thomas bravourös. Das routiniert eindrückliche Spiel von Cillian Murphy (28 Days Later, Breakfast On Pluto, Sunshine) steht fast ein wenig im Schatten des Trios.

    Fazit: „The Edge Of Love“ ist ein stets einnehmendes, intensives Drama mit hervorragenden Schauspielern und einer souveränen Regieleistung. Obwohl ein breites Spektrum unterschiedlicher Themen in einer Vielzahl von Handlungssträngen aufgegriffen wird, ist John Mayburys Film eine harmonisch ausbalancierte Kombination aus Liebesgeschichte, Kriegsdrama, Künstlerbiographie und der tragischen Erzählung von der Freundschaft zweier Frauen. Akkurate Kostüme sowie die geschickt gewählten Drehorte sorgen dabei unaufdringlich für den Eindruck von Authentizität und bringen uns die Figuren noch näher.

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