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    Eine neue Chance
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Eine neue Chance
    Von Christian Roman

    „Das ist kein Film mit einer Botschaft. Ich hasse Kino mit Botschaften. Aber ich liebe Geschichten mit Substanz.“ So beschreibt Susanne Bier ihre erste amerikanische Produktion „Things We Lost In The Fire“ stellt damit klar, worauf es ihr beim Filmemachen ankommt. Diese Tiefsinnigkeit ist es auch, die das Drama der dänischen Regisseurin vom Hollywood-Einerlei abhebt. „Things We Lost In The Fire“ ist eine gefühlvolle Charakterstudie über den Verlust eines geliebten Menschen und dessen Bewältigung, die dank hervorragender Darsteller ihren Weg in die Herzen der Zuschauer findet.

    Brian Burke (David Duchovny) wollte nur Eis für seine beiden Kinder holen. Doch Stunden später stehen statt ihm zwei Polizisten vor dem Haus seiner Ehefrau Audrey (Halle Berry). Brian wurde bei dem Versuch, eine fremde Frau vor ihrem gewalttätigen Freund zu beschützen, erschossen. Eine Tat, deren Sinnlosigkeit es Audrey umso schwerer macht, ihre Trauer zu bewältigen. Um die Einsamkeit und den Schmerz zu ertragen, holt sich Audrey ausgerechnet den Menschen ins Haus, den sie am meisten verabscheut: Brians besten und ältesten Freund Jerry (Benicio del Toro) – ein kaputter Heroin-Junkie, der schon vor Jahren mit seinem Leben abgeschlossen hat. So unterschiedlich die beiden auch sind, sie verbindet die Tatsache, dass sie den wichtigsten Menschen in ihrem Leben verloren haben. Nur gemeinsam haben sie eine Chance, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Schritt für Schritt lernt Audrey mit dem Verlust ihres Mannes umzugehen und Jerry lässt die Finger vom Heroin. Als Jerry jedoch auch zu Audreys Kindern Harper (Alexis Llewellyn) und Dory (Micah Berry) eine innige Beziehung aufbaut, fürchtet Audrey, Jerry könnte ihren Mann als Vaterfigur verdrängen.

    Bisher genoss die Regisseurin Susanne Bier vor allem in der Arthouse-Szene ein hohes Ansehen. Mit ihrem schwedisch-dänischen Kinodebüt „Freud’s Leaving Home“ feierte sie bereits vor zwanzig Jahren erste Erfolge. Der endgültige Durchbruch gelang der Dänin aber erst 1999, als sie mit „Der einzig Richtige“ mehr als eine Million Zuschauer in die dänischen Kinos lockte und von der Presse nahezu einhellig gelobt wurde. Zuletzt waren dann ihre Dramen Brothers und Nach der Hochzeit auch in den deutschen Arthouse-Kinos zu sehen. Susanne Biers erste amerikanische Produktion „Things We Lost In The Fire“ dürfte sie nun auch hierzulande einem breiteren Publikum bekannt machen.

    Umso erstaunlicher ist, dass die Regisseurin bis heute ihrem unverwechselbaren Stil treu geblieben ist. Bier drehte einige ihrer Filme nach den Prinzipien des Dogma 95, einem von dänischen Regisseuren um Lars von Trier ins Leben gerufenen Filmmanifest. Ziel dieser Bewegung war es, der fortschreitenden Wirklichkeitsentfremdung des Kinos entgegenzuwirken, indem beispielsweise auf technische Spielereien und Spezialeffekte weitgehend verzichtet wird. Insbesondere der Einsatz der Handkamera ist seit ihren frühesten Werken ein Markenzeichen der Dänin und ein Relikt ihrer Dogma-Zeit. Wie bereits in „Open Hearts“, „Brothers“ und zuletzt „Nach der Hochzeit“ ist die unruhige Kamera auch in ihrem neuen Drama stets auf Details fokussiert. „Sie kommt damit den Leuten sehr, sehr nahe – bisweilen bis in die Augäpfel“, schildert Produzent Sam Mendes ihre Vorgehensweise. Damit übertreibt er keineswegs: Oft hat der amerikanische Kameramann Tom Stern lediglich ein tränendes Auge oder Audreys Finger, der ihren Ehering umspielt, im Sucher. Erst im Anschluss offenbart sich die ganze Szenerie, erfährt der Zuschauer wo sich die Figuren eigentlich befinden. Vom Kleinen ins Große – das ist ungewöhnlich anzusehen und mitunter mühsam zu verfolgen, verleiht dem Film aber seinen individuellen Charakter.

    Auch was die Erzählung seiner Geschichte angeht, schlägt „Things We Lost In The Fire“ einen erfreulich unkonventionellen Weg ein. Die Regisseurin bricht die Chronologie der Ereignisse auf, zu Beginn des Films nimmt der Zuschauer zunächst noch als Unwissender an Brians Trauerfeier teil. Erst nach und nach liefern Rückblenden die Erklärungen für das Gesehene, den Schmerz der Betroffenen, für den Mord an dem Familienvater. Zwar erschwert das anfangs noch die Identifikation mit den Figuren, zugleich erzeugt diese Erzählweise mit fortschreitender Dauer aber eine umso emotionalere Nähe zum Zuschauer. Ebenso wie die Hinterbliebenen nimmt auch er die Rückblenden als Erinnerungen an die Zeit vor dem Mord wahr.

    Obwohl sie sich nahezu aufdrängt, verzichtet Susanne Bier auf eine vorhersehbare Romanze zwischen Audrey und Jerry. Stattdessen stehen der Umgang mit dem Tod des Ehemanns und Vaters sowie Jerrys Heroin-Abhängigkeit im Mittelpunkt der Handlung. Zwei derart komplexe Themen böten genügend Stoff für zwei Dramen. So ist es am Ende dem exzellenten Ensemble zu verdanken, dass keines der Themen nur oberflächlich angekratzt wird. Dass Susanne Bier für ihr US-Debüt gleich zwei Oscar-Preisträger verpflichten konnte, überraschte die Regisseurin selbst. Halle Berry (Verführung einer Fremden, X-Men: Der letzte Widerstand, Gothika) überzeugt als innerlich zerrissene Witwe, kann aber nicht ganz an ihre Oscar-Leistung in Monster’s Ball anknüpfen. Zwar kämpfte sie bereits in Marc Forsters Rassismus-Drama mit dem Tod eines geliebten Menschen, in „Things We Lost In The Fire“ bleibt sie jedoch oft zu ausdruckslos, fast schon apathisch. Das ist ihre – in sich stimmige - Interpretation der Rolle, gelegentlich wünscht sich der Zuschauer aber doch mehr Emotionen. So bleibt Berry etwas hinter den beeindruckenden Auftritten ihres Kollegen zurück. Benicio del Toro (Sin City, 21 Gramm, Fear And Loathing In Las Vegas), der für seine Rolle als zynischer Drogenfahnder in Steven Soderberghs Traffic bereits mit einem Oscar als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wurde, liefert hier die Leistung seines Lebens ab. Ohne viel Text schafft es der Puertoricaner auf eindringliche Weise, nur über seine Mimik seinem Charakter die nötige Komplexität zu verleihen. Del Toro, der aufgrund seiner markanten Augenpartie einen animalischen Charme versprüht, wirkt als kaputter Fixer und liebevoller Ersatzvater gleichermaßen authentisch. Spätestens Jerrys kalter Entzug in Audreys Gartenhaus wirkt dermaßen drastisch und doch so ehrlich, dass er sich vor Klassikern des Drogen-Dramas keineswegs zu verstecken braucht. Neben Berry und del Toro widmet die Regisseurin auch Audreys Kindern viel Spielzeit. Alexis Llewellyn (als Harper) und Micah Berry (Dory), der übrigens nicht mit Halle Berry verwandt ist, erledigen ihre Aufgabe prächtig.

    Auf den ersten Blick wirkt „Things We Lost In The Fire“ wie ein weiteres Schauspieler-Drama Marke Hollywood. Die Regisseurin Susanne Bier beweist jedoch wieder einmal ihr Talent, auch solch bedrückende Themen wie Trauer, Wut und Drogensucht auf ganz eigene Weise umzusetzen. Nicht zuletzt der brillanten Leistung von Benicio del Toro ist es zu verdanken, dass der Film auf ehrliche und sehr emotionale Weise zum Zuschauer durchdringt. Eine Botschaft wollte Susanne Bier zwar vermeiden, am Ende des Films heißt es jedoch: „Akzeptiere das Gute.“ Ob er für sich eine Botschaft aus dem Film zieht, sollte jeder Zuschauer für sich entscheiden, ein bewegendes Drama ist „Things We Lost In The Fire“ aber auf jeden Fall.

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