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    Brügge sehen... und sterben?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Brügge sehen... und sterben?
    Von Tobias Diekmann

    So häufig hat man sicher noch nicht von ihr gehört, der so genannten „Perle Flanderns" oder auch das „Venedig des Nordens", wobei wir es hier doch mit einer durchaus sehenswürdigen Stadt in Belgien zu tun haben, inklusive mittelalterlichem Stadtkern, einer gotischen Kathedrale in ihrer Mitte, vielen kleinen Gassen und schmalen Kanälen. Die Rede ist von Brügge, Hauptstadt der Provinz Westflandern, und mit seiner ruhigen und beschaulichen Stimmung eher unauffällig im Profil. Wo dem einen das touristische und kulturinteressierte Herz bis zum Hals schlägt, winkt der andere ob dieses langweiligen Flecken Erde ab, das weder genügend Kneipen, noch sonst irgendetwas Relevantes zu bieten hat, was für einen echten Berufsmörder der Londoner Unterwelt auch nur ansatzweise von Interesse sein könnte. Und schon befinden wir uns in Martin McDonaghs rabenschwarzem Thriller „Brügge sehen... und sterben?" (im Original sehr viel einfacher „In Bruges"), in dem sich die gegensätzlichen Anschauungen der beiden Auftragskiller Ray und Ken nicht nur auf ihren Aufenthalt in Brügge beziehen, sondern generell den Beginn eines temporeichen, grandios inszenierten und extrem amüsanten Gangsterfilms um die allseits bekannten Themen Ehre und Loyalität markieren.

    Nach ihrem letzten, nicht ganz planmäßig verlaufenden Auftrag in London sehen sich die beiden Profikiller Ken (Brendan Gleeson) und Ray (Collin Farrell) in der belgischen Stadt Brügge wieder, wo sie auf einen Anruf ihres Bosses Harry (herrlich fies: Ralph Fiennes) warten, der ihnen nach dem Londoner Debakel nächste Instruktionen geben soll. In der Zwischenzeit versucht sich Ken als vorbildlicher Tourist und begibt sich auf den Rundweg, um all die Sehenswürdigkeiten der Stadt kennen zu lernen, während sich der aggressive Ray nach alter Gewohnheit an jeder Ecke Ärger einhandelt. Er beschimpft dicke amerikanische Urlauber, feiert Drogenpartys mit dem zwergwüchsigen Jimmy (Jordan Prentice), dem Hauptdarsteller eines in Brügge gedrehten surrealen Films, und lernt auch noch Chloe (Clémence Poésy) kennen und lieben, was ihrem eifersüchtigen Ex-Freund Eirik (Jérémie Regnier) mal so gar nicht gefällt. Die Lage spitzt sich allerdings erst richtig zu, als Ken von Harry den überraschenden Auftrag bekommt, Ray zu beseitigen. Ken gerät zunehmend in einen Gewissenskonflikt, der ihn zu einer folgenschweren Entscheidung führt.

    Martin McDonagh ist Oscarpreisträger und gibt mit „Brügge sehen... und sterben?" dennoch sein Langfilmdebüt, denn die beliebte Trophäe bekam er 2006 in der Rubrik „Best Live Action Short Film" für „Six Shooter". Entgegen vielen anderen seiner Zunft kann man McDonagh wirklich zu einem rundum gelungenen ersten „großen" Werk gratulieren, das mit bitterbösem und, trotz seiner Verlagerung nach Belgien, so typisch britischem Humor daherkommt, dass es eine wahre Freude ist und etliche Referenzfilme vor dem geistigen Auge erscheinen lässt. Wobei sich vor allem „Grosse Point Black" ungemein aufdrängt, in dem ja John Cusack als Profilkiller Martin Q. Blank seinerseits mit den Risiken seines Berufsstandes haderte, und einige charakterliche Parallelen zu den Protagonisten in diesem Film auszumachen sind.

    Dennoch versteht es McDonagh ausnahmslos, allen Beteiligten genügend eigenständige Facetten zu geben, wobei vor allem endlich mal wieder Colin Farrell schauspielerisch auftrumpfen kann, und Ray als einen auf der einen Seite dauerpöbelnden und eher einfach gestrickten Grobmotoriker mit herrlichem irischen Akzent zeigt (die in der Synchronisation dann ja leider wegfallen dürfte), aber auch immer wieder die große Tragik seiner Figur durchschimmern lässt, die von Selbstzweifeln geplagt versucht, eben diese mit seinem überbordenden Verhalten zu kaschieren. Die Figur des Ken kennzeichnet in seinen Merkmalen einen etwas ambivalenter angelegten Gegenpol, den Brendan Gleeson schön verschroben gibt, und der versucht, sich erst gar nicht von Rays ausladender Art aus der Ruhe bringen oder gar provozieren zu lassen. Die späte Leinwandpräsenz von Ralph Fiennes fällt dem gegenüber zwar etwas ab, aber in den wenigen Szenen darf man ihn dafür als eiskalten Chef erleben, der eine ganz klare Linie in seinem Geschäft verfolgt, und dennoch durch und durch den Prinzipien der (oder besser: seiner Vorstellung von) Gerechtigkeit ergeben ist. Entsprechend ist dann jeder aber auch für sein Handeln und die Konsequenzen verantwortlich. Prallen diese drei sehr unterschiedlichen Charaktere aufeinander, entsteht natürlich genügend Konflikt- und Gewaltpotential. Bezüglich ihrer Visualisierung lässt „Brügge sehen... und sterben?" dann auch keine Wünsche offen. Mit lakonisch anmutendem Kamerablick wird (an)geschossen, geschlagen, geblutet und dabei mit so extrem komischen Dialogen oder Handlungen umrandet, dass man manchmal ganz vergessen könnte, dass es sich gerade um eine ziemlich gewalttätige Auseinandersetzung handelt, wobei der Film natürlich auch die menschliche Seite der Protagonisten mit einigen Szenen bedacht hat. Irgendeine Form der Sympathie können also letztlich alle für sich verbuchen.

    Letztlich darf neben all diesen hervorragenden schauspielerischen Leistungen nicht der eigentliche Hauptdarsteller vergessen werden, und das bleibt der Handlungsort selbst. Denn erst durch den Gegensatz von Brügges malerischer und etwas verschlafen wirkender Einzigartigkeit, und der in ihr angesiedelten großstädtisch-dreckigen Londoner Unterweltgeschichte, entfaltet „Brügge sehen... und sterben?" eine ganz eigenwillige, sich scheinbar widersprechende Atmosphäre, die den gesamten Film durchzieht. Gepaart mit der abstrusen und in allen Belangen rabenschwarzen Handlung, offenbart sich hier fast schleichend ein kleines unauffälliges Juwel. Und somit wären wir wieder bei Brügge, der „Perle Flanderns".

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