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    The Strangers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Strangers
    Von Carsten Baumgardt

    „Inspired by true events“ - dieser Titelzusatz ist in Hollywood momentan beliebter denn je zuvor. Selbst bei Genrefilmen setzen Produzenten das Prädikat mittlerweile sehr gern ein – vordergründig, um ihrem Werk eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung zu geben (siehe: Hostel). Auf den zweiten Blick kann diese Kennzeichnung, wenn sie richtig eingesetzt wird, aber auch dramaturgisch ungeheuer wertvoll sein, wie es zum Beispiel Bryan Bertinos Horror-Thriller „The Strangers“ vorführt. Für sich genommen unglaubwürdige Wendungen und Details werden auf diese Weise elegant legitimiert. Bertinos Kinodebüt ist ein kleines, feines Genre-Kammerspiel, das psychologisch an die Nieren geht, ohne den Terror allzu explizit auf der Leinwand ausspielen zu müssen.

    James (Scott Speedman) und seine Freundin Kristen (Liv Tyler) kehren nachts von einer Party zurück und wollen im abgelegenen Haus von James‘ Eltern in den Wäldern übernachten. Die Stimmung ist auf dem Nullpunkt. James hat Kristen kurz zuvor einen stilvollen Heiratsantrag gemacht, aber die Angebetete lehnte den teuren Ring und das Eheversprechen ab. Keiner der beiden weiß, wie es mit der Beziehung weitergehen soll. Es ist inzwischen vier Uhr, an Schlaf kann das emotional aufgewühlte Noch-oder-vielleicht-doch-nicht-Paar nicht einmal denken. Plötzlich klopft eine verwirrt wirkende Frau (Gemma Ward) an die Tür. Sie hat sich scheinbar verlaufen und zieht unverrichteter Dinge wieder ab. Während James Zigaretten holen ist, hämmert es zum zweiten Mal an der Pforte... aber die besorgte Kristen macht nicht auf. Muss sie auch gar nicht, denn es ist bereits jemand im Haus, selbst wenn James ihr das nach seiner Rückkehr partout nicht glauben will...

    Zuallererst ist „The Strangers“ eine Wohltat für enttäuschte und genervte Genreseelen, die durch lahme Slasher-Ware wie Unbekannter Anrufer, Prom Night oder die zumeist müden Asia-Horror-Remakes zuletzt arg geschunden wurden. Natürlich gehorcht auch Bryan Bertinos Film den Regeln des Genres, doch der Debüt-Regisseur macht vieles richtig, indem er mit dem nötigen Ernst vorgeht und seine geradlinige, hervorragend photographierte Geschichte mit einer unglaublich dichten Atmosphäre auskleidet. Viele der Szenen wirken so authentisch, dass die Bedrohung beinahe körperlich spürbar wird. Die lange Exposition, die wie ein intimes Charakterdrama inszeniert ist, bringt die beiden Hauptfiguren direkt ins Mitfühlzentrum des Publikums, so dass effektiv mitgezittert werden kann. Der Terror, den die drei maskierten Eindringlinge verbreiten, schleicht sich unaufhaltsam heran. Bertino lässt sich einiges einfallen, um keinen 08/15-Horror von der Stange zu servieren. Immer wieder bringt er eine Handkamera zum Einsatz, die er so auf Details fokussiert, dass der Zuschauer Informationen wahrnimmt, die die Helden selbst nicht erfassen können. So ist der Betrachter immer einen Schritt voraus, weiß stets einen Tick mehr als die Protagonisten, was die Spannung noch zusätzlich steigert.

    Besonders hoch anzurechnen ist dem Regisseur der Einfallsreichtum, mit dem er seine schmale Storyline auf einem ansprechenden Spannungsniveau am Laufen hält und dies geschickt mit kleinen Variationen der Zeitebenen verbindet. Zwar kommt auch Bertino nicht umhin, Genreklischees wie leere Handyakkus oder anfängliches Missdeuten der realen Gefahr als Motive zu verwenden, aber selbst kleinere Ungereimtheiten werden eben durch das „Inspired by true events“ gerade gerückt. Im Gegensatz zu Nimrod Antals ähnlich angelegtem Motel schafft es Bertino in „The Strangers“, nicht zu übertreiben und mit einer zurückhaltenden, cleveren Inszenierung im Stile der alten Schule pure Gänsehaut zu verbreiten. Unterstützt wird dieses Konzept der Simplizität von dem sorgsamen Einsatz der Schockmomente, die nie ins Leere laufen und sich bis ins Mark durchbrennen. Der Horror, dem James und Kristen ausgeliefert sind, wirkt vorwiegend im Kopf des Betrachters. Erst im Finale steigert sich der Gorefaktor, der dann auch die Mägen des Publikums in Mitleidenschaft zieht.

    Einen Fehler erlaubt sich Bertino aber dennoch: Warum er bereits im Prolog die Hosen runterlässt und das Ende von James Hoyt und Kristen McKay vorweg nimmt, ist nur schwer nachzuvollziehen. Es sagt einiges über Bertinos Inszenierungskünste aus, dass sich dieser Malus nicht nachhaltig spannungsmindernd auswirkt - schließlich besteht immer noch irgendwie die Möglichkeit, eine Geschichte am Ende auf den Kopf zu stellen, in welche Richtung auch immer.

    Das Terrorkino ist sicherlich kein Sujet, um Schauspieler glänzen zu lassen. Und auch Scott Speedman (Underworld, Underworld: Evolution, xXx2: The Next Level) und Liv Tyler (Herr der Ringe - Die Gefährten, Armageddon, Eine Nacht bei McCool‘s) werden für ihre Rollen sicherlich keine Oscar-Nominierungen einheimsen, erweisen sich aber dennoch als großes Plus für den Film: Es gelingt ihnen, ihre Charaktere mit Leben zu füllen und den Zuschauer so zum Mitfiebern und –bibbern zu animieren. Das Terrortrio Gemma Ward, Laura Margolis und Kip Weeks ist nicht sonderlich gefordert: Hinter den Masken sind ihre Gesichter nicht zu erkennen und Worte verlieren sie auch kaum. Somit ist ihre einzige Aufgabe, eine diabolische Präsenz zu entwickeln... doch diese fällt dann auch wirklich furchteinflößend aus.

    Ein schwieriges Thema ist stets die Motivation von Gewalttätern. Bertino gibt auf diese Frage ungewöhnliche, aber interessante Antworten. Leider ist die PR-Abteilung allzu geschwätzig und offenbart das „Geheimnis“ bereits auf dem amerikanischen Filmplakat. Beschweren wird sich dennoch niemand. Ein packender, beängstigend guter Genre-Beitrag ergibt in Verbindung mit einem ausgesprochen gelungenen Trailer, der in den USA zum Start rauf und runter lief, einen beachtlichen Kassenerfolg: „The Strangers“ spielte in Amerika allein am ersten Wochenende das Doppelte seiner zehn Millionen Dollar Produktionskosten ein. Damit erntet der Film den Lohn, den er sich verdient hat, ist er doch wesentlich gradliniger und einfacher gestrickt als Michaels Hanekes artverwandter Funny Games U.S., womit er glatt zum Publikum durchdringt. Wer also dem Genre zugetan ist, löse auf jeden Fall eine Kinokarte. Der Rest darf auch bedenkenlos einen Blick riskieren, muss es aber nicht.

    Fazit: „The Strangers“ ist ein grunddüsteres Werk, das seine fatalistische Stimmung von der ersten Sekunde an offenbart und richtiggehend zelebriert.

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