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    Summertime Blues
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Summertime Blues
    Von Andreas Staben

    In Deutschland werden rund 39 Prozent aller Ehen geschieden, etwa 150.000 Kinder unter 18 Jahren sind davon betroffen und insbesondere für die Sprösslinge bewahrheitet sich in den meisten Fällen das alte Sprichwort: Scheiden tut weh. Die Erfahrung dürfte jedem Jungen und jedem Mädchen zumindest aus dem Freundeskreis vertraut sein, daher besitzt ein Jugendfilm über einen von der Scheidung der Eltern betroffenen Teenager ein großes Identifikationspotential. Seine Zielgruppe ist aber zugleich ein Expertenpublikum. Dem versucht das Mutter-Tochter-Duo Uschi (Produktion) und Marie Reich (Regie) gerecht zu werden, indem es in seiner Teenie-Romanze „Summertime Blues“ kaum ein typischerweise mit einer Scheidung verbundenes Problem auslässt. Das erweist sich jedoch als Irrweg, denn für sich genommen durchaus treffend beobachtete Situationen ergeben in ihrer Aneinanderreihung eben nicht automatisch ein glaubwürdiges Porträt. Mit nicht immer glücklichen Besetzungsentscheidungen, einer zuweilen überdeutlichen und insgesamt nicht sonderlich einfühlsamen Inszenierung sowie irritierend aggressiven Untertönen ist die Verfilmung eines Romans von Julia Clarke eine verschenkte Gelegenheit.

    Für den 15-jährigen Alex (François Goeske) ändert sich auf einen Schlag alles: Seine Mutter Diana (Karoline Eichhorn, Ferien, Ossi's Eleven) teilt ihm beiläufig mit, dass die Eltern sich scheiden lassen. Vater Steffen (Christian Nickel, Bibi Blocksberg, Bergkristall) ist jetzt mit seiner natürlich deutlich jüngeren Sekretärin Mandy (Maja Schöne, Buddenbrooks, 1. Mai) zusammen, die zu allem Überfluss ein Kind von ihm erwartet. Auch Diana ist schnell wieder liiert, mit dem Schauspieler Seth (Alexander Beyer, 3 Grad kälter, Sonnenallee) will sie den Sommer in England bei Dreharbeiten verbringen und Alex soll mit dabei sein. Die Aussicht eines längeren Aufenthalts im beschaulichen Kent behagt dem Jungen zunächst gar nicht. Durch das englische Mädchen Louie (Zoe Moore Max Minsky und ich), mit dem er sich anfreundet, wird ihm die Gegend aber schnell sympathischer. Komplett wird Alex' Gefühlsverwirrung als auch noch Seths Tochter Faye (Sarah Beck, Es ist ein Elch entsprungen) aus den USA im englischen Feriendomizil zu ihnen stößt...

    Alex' vermeintlich heile Bremer Welt gerät in „Summertime Blues“ buchstäblich aus den Fugen, als die Eltern sich zur Scheidung entschließen. Mit verkanteten Kameraperspektiven übersetzt die Langfilmdebütantin Marie Reich das verlorene Gleichgewicht in Bilder, die hinter das Offensichtliche noch einige Ausrufungszeichen setzen. Nicht nur der Protagonist ist mit der Fülle der Änderungen schnell überfordert, auch die Filmemacher verzetteln sich ein ums andere Mal. So müssen die Eltern zunächst so ziemlich alles falsch machen – vom Alex ins Gesicht gesagten „Wir sind eigentlich nur wegen dir zusammengeblieben“ bis zur gezwungen-beiläufigen Vorstellung der neuen Freundin beim Zoobesuch. Leider scheint das ungeschickte Verhalten ausschließlich der Gedankenlosigkeit der Erwachsenen zu entspringen, gerade die Überforderung des Vaters nimmt zuweilen Züge einer Karikatur an. Nun soll die Geschichte hier in erster Linie aus der Perspektive des Jungen erzählt werden, da ist eine gewisse Einseitigkeit natürlich statthaft, aber auch Alex' Innenleben bleibt letztlich unterbelichtet. Allzu selten werden seine widersprüchlichen Gedanken und Gefühle so zum Ausdruck gebracht wie in einigen Off-Kommentaren, durch die seine Wünsche und Absichten wirkungsvoll mit seinem tatsächlichen Handeln kontrastiert werden.

    François Goeske (Französisch für Anfänger, Bergkristall, Das fliegende Klassenzimmer) hat nicht nur damit zu kämpfen, dass er für seine Rolle etwas zu alt wirkt. Gelegentlich findet er sich angesichts schlecht geschriebener und inszenierter Szenen auch einfach auf verlorenem Posten wieder: So hat Alex' Gewaltausbruch zwar eine ganz klare dramaturgische Funktion, aber gerade diese erzählerische Zweckgebundenheit macht diesen Moment unangenehm. Das gravierende Problem von Aggression und Gewalt angesichts familiärer Krisen wird hier und vor allem in einer späteren zweiten Situation auf bedauerliche Art verharmlost. Da gibt es eben eine Strafe oder eine Entschuldigung und dann ist wieder alles in Ordnung.

    Dass sich Alex in den Neuankömmling aus Amerika verguckt und nicht in das gewitzte Mädchen vom Lande ist sicher Geschmackssache, schließlich haben Hormone ihren eigenen Willen. Die Nachvollziehbarkeit wird allerdings durch das etwas zu gestelzte Spiel von Sarah Beck als Faye ebenso erschwert wie durch die erfrischende Natürlichkeit von Zoe Moore als Louie. Deren eindrucksvolles Auftreten ist eine Ausnahme in „Summertime Blues“, auch die recht prominenten erwachsenen Darsteller ziehen sich höchstens achtbar aus der Affäre. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die psychologische und soziale Einfühlung immer wieder zugunsten fragwürdiger Verkürzungen und Zuspitzungen vernachlässigt wird. Das kulminiert in der Darstellung der Hippie-Familie von Alex' Kumpel Danny (Jonathan Beck). Die glückliche Gemeinschaft wird an fröhlicher Tafel gezeigt und der geplagte Gast entdeckt in dieser Oase das charakterstärkende Holzhacken an der frischen Luft. Dieses Klischee wird dem ebenso stereotypen egoistischen und karrierebewussten Verhalten der Scheidungswilligen wenig erleuchtend entgegengesetzt. Uschi Reich hat mit Filmen wie „Schule“ und der Reihe um Die Wilden Hühner schon weitaus gelungenere Unterhaltung für Jugendliche produziert und Marie Reich liefert mit dieser Regiearbeit nicht gerade eine gelungene Visitenkarte ab.

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