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    Echter Sex und Penis-Amputation: Für diesen Film wurde der Regisseur sogar vor Gericht gestellt!
    Michael Bendix
    Michael Bendix
    -Redakteur
    Schaut pro Jahr mehrere hundert Filme und bricht niemals einen ab. Liebt das Kino in seiner Gesamtheit: vom obskuren 70er-Jahre-Horrorfilm über Kunstfilme von Chantal Akerman bis hin zum neuesten "Mission: Impossible"-Blockbuster.

    „Im Reich der Sinne“ ist einer der größten Skandale der Filmgeschichte – in Deutschland wurde er beschlagnahmt, die japanische Regierung erhob Anklage gegen den Regisseur. Wahrscheinlich wurde der explizite Film gerade deshalb zum großen Kinoerfolg.

    Die Filme des japanischen Regisseurs Nagisa Ōshima waren schon immer Gegenstand von Diskussionen. Mit Jugendstudien wie „Stadt der Liebe und Hoffnung“ (1959), „Nackte Jugend“ (1960) oder „Die Nacht des Mörders“ (1967) warf der Filmemacher einen schonungslosen Blick auf die japanische Gesellschaft. Durch ihre formale Radikalität und Ōshimas Weigerung, moralisch klar Stellung zu beziehen, waren viele seiner Filme stark umstritten – und wurden teils erst Jahre später als Meisterwerke anerkannt.

    Seinen kontroversesten Film drehte Ōshima aber erst 1976: Kaum ein Film schlug in den 70ern höhere Wellen als „Im Reich der Sinne“ – aus guten Gründen Ōshimas bis heute bekannteste Regiearbeit. Der Regisseur war von Anfang an fest dazu entschlossen, in seinem Drama unsimulierten Sex zu zeigen – und so eilte „Im Reich der Sinne“ (der im Original den Titel „Ai no Korīda“ trägt, was in etwa mit „Stierkampf der Liebe“ übersetzt werden kann) schon vor seiner Premiere der Ruf eines Skandalfilms voraus...

    Der Stoff, auf dem „Im Reich der Sinne“ basiert, wurde ein Jahr zuvor schon von Noboru Tanaka verfilmt – wobei „Die Geschichte der Abe Sada“ (1975) als sogenannter Pinku Eiga (ein erotisches Subgenre des japanischen Exploitationfilms) anders behandelt wurde als „Im Reich der Sinne“, der seine Premiere bei der Berlinale feiern sollte und damit den Status eines Kunstfilms innehatte. Außerdem ging Ōshima tatsächlich noch eine Spur weiter als sein Regiekollege...

    Beide Filme basieren auf der wahren Geschichte der Geisha Sada Abe, die in den 30er-Jahren ihren Geliebten erwürgte, seinen Penis abschnitt und anschließend mehrere Tage lang mit dem amputierten Glied durch die Straßen Tokios lief. „Im Reich der Sinne“ erzählt, wie es dazu gekommen ist: die Geschichte einer zerstörerischen Liebe, in deren Verlauf sich die Machtverhältnisse radikal verändern.

    Die Bilder, die der Regisseur dafür wählte, haben es in sich: Zu sehen sind unter anderem ein Blowjob in Großaufnahme sowie eine Cunnilingus-Szene, in der Menstruationsblut eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Einmal isst Kichizō Ishida (Tatsuya Fuji) ein gekochtes Ei aus Abe Sadas (Eiko Matsuda) Vagina. Und dann ist da natürlich noch die berüchtigte Penektomie-Szene …

    … die Ōshima zwar nicht im Close-up zeigt, aber immer noch deutlich genug. Am Ende liegt Abe Sada neben ihrem vielleicht toten, vielleicht „nur“ bewusstlosen Geliebten, in dessen Schritt sich eine Blutlache bildet. Das war zu viel für die Behörden!

    Schon die Entwicklung und Fertigstellung des Films erfolgte nicht in Tokio, wo „Im Reich der Sinne“ gedreht wurde, sondern in Paris. Angeblich wollte kein japanisches Laboratorium etwas mit dem Film zu tun haben, der Dinge zeigte, die sonst nur in Hardcore-Pornos zu sehen waren. „Der größte Porno aller Zeiten!“, rührte die Berliner Zeitung vor der skandalumwitterten Premiere noch einmal die Werbetrommel.

    Obwohl sich „Im Reich der Sinne“ nicht einmal im Rennen um den Goldenen Bären befand, sondern in der Nebenreihe Forum gezeigt wurde, konnte sich kein anderer Film der Berlinale 1976 über annähernd so viel Aufmerksamkeit freuen. Doch nicht nur Cineast*innen und Neugierige befanden sich bei der Erstaufführung im Publikum, sondern auch ein Staatsanwalt, ein Richter und zwei Polizisten. Die sahen in Ōshimas Drama „harte Pornografie“ – und beschlagnahmten den Film direkt im Anschluss an die Premiere. Ein bis dahin einzigartiger Vorgang!

    Kunst oder Pornografie?

    Doch damit nicht genug: Auch in seiner Heimat Japan handelte sich Nagisa Ōshima mit seinem Skandalwerk jede Menge Ärger ein. Nachdem er ein Buch mit Standbildern und Drehbuchnotizen aus dem Film veröffentlichte, erhob die japanische Regierung Anklage gegen Ōshima und seinen Verleger San'ichi Shobo – wegen Obszönität!

    „Nichts, was ausgedrückt wird, ist obszön“, soll der Regisseur im Verlauf des Prozesses gesagt haben. „Was obszön ist, ist das, was versteckt ist!“ Er sollte Recht behalten: 1979 wurden Ōshima und Shobo für nicht schuldig befunden. Nachdem die Regierung zunächst Berufung einlegte, wurde das Urteil 1982 vom Obersten Gericht von Tokio bestätigt. Ganz frei war der Weg für „Im Reich der Sinne“ damit aber trotzdem nicht: Bis heute gibt es den Film in Japan nur in einer stark zensierten Fassung zu sehen.

    Zwei Stars schocken mit echtem Blowjob – Zuschauer flüchten empört aus dem Kinosaal!

    Nicht so in Deutschland: In ihrem Urteil kam die 12. Große Strafkammer des Landgerichts 1977 zu dem Schluss, dass es sich bei dem Film nicht um Pornografie handele – ein Sieg für die zahlreichen Verteidiger des Films, darunter die Arbeitsgemeinschaft der Filmjournalisten auf der Berlinale, die dem Film schon im Rahmen seiner Premiere „hohe künstlerische Qualität sowie wichtige politische und ästhetische Einsichten“ zusprach.

    „Im Reich der Sinne“ wurde daraufhin ungekürzt freigegeben und kam 1978 schließlich bundesweit in die deutschen Kinos. Dort war er ein beachtlicher Erfolg – nach der sagenumwobenen Produktions- und Veröffentlichungsgeschichte kein Wunder!

    Ōshima drehte bis 1999 nur noch vier weitere Filme, darunter „Im Reich der Leidenschaft“ (1978), der entgegen seinem deutschen Filmtitel nichts mit „Im Reich der Sinne“ zu tun hat, und den David-Bowie-Film „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“ (1983). 2013 verstarb der Filmemacher im Alter von 80 Jahren.

    19 in Deutschland beschlagnahmte Filme, die unbedingt wieder freigegeben werden sollten

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