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    Verstörender 2000er-Kult endlich zurück im Heimkino – ein Muss für Fans von "Trainspotting", "American Psycho" & "Uhrwerk Orange"
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Er findet Streaming zwar praktisch, eine echte Sammlung kann es für ihn aber nicht ersetzen: Was im eigenen Regal steht, ist sicher vor Internet-Blackouts, auslaufenden Lizenzverträgen und nachträglichen Schnitten.

    Manche sehen in ihr eine Sozialparabel, andere ein Drama und wieder andere verstehen sie als pechschwarze Komödie. Doch in einem Punkt besteht Einigkeit: Die Romanadaption „Ex Drummer“ ist schonungslos, radikal und sehr, sehr finster.

    Filmfans mit einer Schwäche für harte, schmerzhafte Stoffe kennen und lieben sie: Die „Kino kontrovers“-Reihe, in der bereits seit zwei Jahrzehnten drastische, eindringliche Filme abseits der Massentauglichkeit gesammelt werden. Produktionen, die Tabuthemen aufgreifen, widerlich-grafische Gewalt enthalten und/oder mit abgeschmackt-ungeschönten Sexszenen provozieren.

    Auch „Ex Drummer“, ein belgischer Genre-Hybrid zwischen Sozialparabel, anstößigem Drama und bitterbös-pechschwarzer Komödie, erschien im Rahmen von „Kino kontrovers“ auf DVD. 2021 verhalf das passionierte Nischenlabel Camera Obscura der Romanadaption dann zur deutschen Blu-ray-Premiere. Die limitierte Mediabook-Edition war allerdings derart gefragt, dass Nachschub überfällig wurde: Ab dieser Woche gibt es „Ex Drummer“ endlich wieder auf Blu-ray – dieses Mal in Standardverpackung und größerer Auflage.

    Zuzuschlagen lohnt sich nicht bloß, weil „Ex Drummer“ in der FILMSTARTS-Kritik starke vier Sterne erhalten hat und darin mit umstrittenen Klassikern wie „American Psycho“, „Uhrwerk Orange“ und „Trainspotting“ verglichen wird. Sondern auch, weil selbst das Blu-ray-Bonusmaterial herrlich-unangepasst ist: Neben Kurzfilmen, die tonal dem Hauptfilm gerecht werden, und Musikvideos, die den schön scheppernden Soundtrack ergänzen, gibt es auch ein Making-of. Das befindet sich fernab des seichten Duktus, mit dem Filmfans in Making-ofs oftmals abgespeist werden (vornehmlich im Blockbuster-Kino).

    Unter anderem gewährt Regisseur Koen Mortier einen zum Kopfschütteln und beherzten Lachen einladenden Einblick in den belgischen Filmförderungsprozess – und liest erschütterte Absagen vor, in denen sein Film als vulgär und sinnlos bezeichnet wird.

    "Ex Drummer": Brutal, sexuell explizit, drogenversifft und zynisch

    Dries (Dries Van Hegen) ist erfolgreicher Schriftsteller und trotz seines von Groupie-Gruppensex und Glamour durchzogenen Lebens ein Zyniker par excellence. Irgendwann wurde irgendwo veröffentlicht, dass er ein ganz passabler Drummer sei – eine biografische Randnotiz mit Nachwirkung, die knallt wie ein Paukenschlag: Drei Totalversager vom Rande der Gesellschaft wollen eine laute, aggressive Punkband bilden – haben aber keinen Drummer. Also klingeln sie bei Dries und fragen, ob er sich ihnen anschließen will.

    Dries glaubt, dass das ein schlechter Scherz sei. Trotzdem folgt er der Einladung. Denn als belesener, wohlhabender und eloquenter Erfolgsmensch fühlt er sich unter den Provinzkerlen, die allesamt körperliche Beeinträchtigungen haben, wie ein Gott. Wie ein unbarmherziger Gott! Mit widerlich-zynischem Vergnügen manipuliert er seine Bandkollegen, um sie für ihr Wesen zu bestrafen, und um zu sehen, was passiert...

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    Dries' ahnungslose Spielfiguren sind der lispelnde Sänger Koen (Norman Baert), ein drogensüchtiger Frauenhasser, der eine Affäre mit der Mutter seines Kumpels und Bassisten Jan (Gunter Lamoot) hat. Jan ist schwul, kann nur einen Arm frei bewegen und der Sohn eines mordlüsternen Wahnsinnigen, der mit einer Zwangsjacke ans Bett gefesselt wurde. Und Gitarrist Ivan (Sam Louwyck) ist extrem schwerhörig, verprügelt regelmäßig seine koksende Ehefrau und stellt in seiner Wohnung, die einer Müllkippe gleicht, seine Tochter bevorzugt mit Drogen ruhig.

    Schwerer Tobak also, den Mortier 2007 auf Basis eines Romans des Bestsellerautors Herman Brusselmans auf die Leinwand gebracht hat. Die Kritiken waren damals zwiegespalten. Doch wie schon bei vielen skandalträchtigen Romanadaptionen zuvor, verhallten über Zeit die empörten Stimmen, während die positiven Reaktionen „Ex Drummer“ zum kantigen, radikalen Kult-Filmtipp emporsteigen ließen.

    Ein verständlicher Aufstieg. Denn Dries' selbstgefällig-manipulative Art voller Verachtung für seine Bandkollegen schmerzt, amüsiert und beschämt damit, wie zynisch-pointiert sie wirkt. Die hochstilisierten und daher große Sogwirkung entwickelnden, schäbigen Lebensbereiche der Punkrocker sind derweil so faszinierend wie abstoßend.

    Und allerspätestens im aufwühlenden Schlussakt voller Sex und Gewalt zeigt sich, dass „Ex Drummer“ nicht nur zum Selbstzweck radikal und hart ist, sondern auch eine impulsive Aussagekraft in sich trägt. Im Einklang mit der absonderlichen Bild- und Klanggewalt des Films ist dies ein verstörendes, aneckendes Gesamtpaket. Aber wer mit so etwas partout nichts anfangen kann, hat diesen Artikel sicher schon geschlossen, als die „Kino kontrovers“-Reihe gelobt wurde...

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