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    Das FILMSTARTS-Interview mit Vicky Krieps zu “Der seidene Faden“: “Es ist Daniel Day-Lewis, weißt du, was das bedeutet?“

    Wir haben Vicky Krieps in London getroffen, um mit ihr über das Liebesdrama „Der seidene Faden“, über ihre Karriere und die sonderbare Begegnung mit Daniel Day-Lewis zu sprechen.

    Universal Pictures

    Vicky Krieps zog mit der zentralen Rolle der Alma Elson in Paul Thomas Andersons toxischer Modebusiness-Romanze „Der seidene Faden“ das große Los. Zuvor war die 34-jährige Luxemburgerin schon in Kinofilmen wie „A Most Wanted Man“, „Colonia Dignidad“, „Die Vermessung der Welt“ oder „Anonymus“ zu sehen. Die internationale Wahrnehmung dürfte sich aber jetzt mit „Der seidene Faden“, wo sie an der Seite von Daniel Day-Lewis als Alma brilliert, schlagartig ändern. Als Kellnerin wird sie zur unnachgiebigen Muse des selbstverliebt-disziplinierten Modezars Reynolds Woodcock (Day-Lewis) und bringt dessen Leben in der Londoner Modewelt der 50er Jahre so komplett durcheinander.

    FILMSTARTS: Als Zuschauer erfahren wir wenig über den Hintergrund deiner Figur Alma. Hast du von Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson Informationen über sie bekommen oder dir selbst etwas vorgestellt?

    Das FILMSTARTS-Interview mit Paul Thomas Anderson zu seinem oscarnominierten Mode-Melodram “Der seidene Faden“

    Vicky Krieps: Man sieht Almas Hintergrund tatsächlich nicht, aber er ist dennoch sehr ausgeprägt, weil ich ihn ihr gegeben habe, was auch sehr viele Szenen direkt beeinflusst hat. Was Paul mir mit auf den Weg gegeben hat, ist, dass sie aus Europa stammt, während oder nach dem Krieg geflüchtet ist und dass sie ihre Mutter verloren hat. Das ist alles, was ich wusste. Mit allem, was ich im Drehbuch gefunden habe, versuchte ich zu verstehen, wer sie ist. Ein Beispiel: In der ersten Szene treffen sich Alma und Reynolds Woodcock in einer Kirche. Also ist Religion meiner Ansicht nach sehr wichtig für Alma. Dieser unsichtbare Hintergrund soll erklären, warum sie so stark sein kann, aber gleichzeitig auch bescheiden und zurückhaltend, eben einzigartig.

    Nervosität vor dem ersten Treffen mit Daniel Day-Lewis

    FILMSTARTS: Du wurdest spät während des Castingprozesses besetzt. Als du herausgefunden hast, dass du mit Daniel Day-Lewis spielst, warst du da eingeschüchtert von seiner Reputation als großer Schauspieler und dreifacher Oscarpreisträger?

    Universal Pictures

    Vicky Krieps: Als ich das erfahren habe, versuchte ich, nicht zu sehr darüber nachzudenken. „Oh, er ist einer der größten Method Actor.“ Ich wusste nicht einmal mehr, was das genau bedeutet und habe es auch nicht gegoogelt oder mehr über ihn in Erfahrung gebracht. Ich wollte in meiner Annäherung an Daniel unvoreingenommen und ehrlich sein. Und nicht darüber nachdenken, was andere Menschen wohl über ihn denken oder gesagt haben. Dann wusste ich ja auch schon, dass wir nicht proben. Also versuchte ich mich von allen Erwartungen frei zu machen und an nichts zu denken, um so meine Ängste loszuwerden, die man immer hat, wenn man als junger Mensch eine solch beeindruckende Person trifft. Das ist nicht einfach.

    Für mich wäre das eigentlich alles okay, aber dann kamen Leute an und erzählten mir: „Es ist Daniel Day-Lewis, weißt du, was das bedeutet?“ Es war ein bisschen schwierig, das im Hinterkopf zu haben. Zu meiner Enttäuschung konnte ich das nicht vollkommen ausblenden. Deswegen war ich am ersten Tag am Set sehr nervös, weil ich plötzlich realisierte, dass ich mit solch einer Persönlichkeit zusammenspielen und an einem Set von Paul Thomas Anderson drehe werde. Aber das Gute ist: Sobald wir mit der Arbeit begonnen haben, war plötzlich alles glasklar.

    Der seidene Faden

    FILMSTARTS: Was denkst du eigentlich über Daniel Day-Lewis‘ Reynolds Woodcock? Ist er eine gebrochene Figur?

    Vicky Krieps: Ich versuchte zu verstehen, warum sie ihn liebt und denke, dass es wirklich der Künstler in ihm ist, den sie bewundert. Gleichzeitig ist er aber auch in sich selbst und seinem Genie gefangen. Außerdem hat Alma diese Neugier, herauszufinden, wer er wirklich ist. Er ist ein faszinierender Mann, den man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten kann und der immer geheimnisvoll sein wird. Wenn man aber zu ihm vordrängt, öffnet er sich tatsächlich.

    FILMSTARTS: Daniel Day-Lewis steckte bei eurer ersten Begegnung am Set schon in seiner Rolle als Reynolds Woodcock. Wann hattest du das erste Mal die Gelegenheit, mit ihm persönlich als Daniel zu sprechen? War das seltsam?

    Vicky Krieps: Ich habe ihn einmal vor dem Dreh im Juni 2016 im Covent Garden Hotel in London getroffen, um das Drehbuch zu lesen. Das war wirklich verrückt. Ich war sehr nervös, aber das Letzte, was ich erwartete, was das, was dann passierte. Wir haben das Drehbuch gelesen und plötzlich war der Film im Raum präsent. Paul, Daniel und ich fühlten es alle – was der Wahnsinn ist. Wer bin ich eigentlich und wie konnte ich mir vorher überhaupt vorstellen, mit Paul Thomas Anderson zu arbeiten? Die meiste Zeit meines Lebens habe ich mir nicht einmal erlaubt zu glauben, dass ich überhaupt eine Schauspielerin bin, weil ich aus dem kleinen Luxemburg stamme. Schauspieler sind berühmte Menschen, aber doch nicht ich. Und dann saß ich plötzlich mit Paul und Daniel an dem Tisch und fühlte mich, als wenn ich nach Hause komme. Das war verwirrend, aber auch wunderschön und hat mir Stärke gegeben. Nach dem Film habe ich mich dann sehr gefreut, Daniel wiederzusehen. Im richtigen Leben fühlt er sich 100 Jahre jünger an als in seiner Rolle, ist einfacher und lustiger. Das war befreiend.

    Eine Weltkarriere von Luxemburg aus

    FILMSTARTS: Wie war das denn zu Beginn deiner Karriere in einem solch kleinen Land wie Luxemburg. Kannst du das beschreiben?

    Vicky Krieps: Ich habe mich nie wirklich entschieden, Schauspielerin zu werden, das war höchstens unterbewusst. Ich wurde schließlich angezogen von der Faszination für die Kamera, das hat mich zum Kino getrieben. Wie kann eine Kamera meine Gefühle in meinen Augen sichtbar machen? Wie kann sie sehen, was ich denke? Wie funktioniert das? Denn die Zuschauer bekommen das mit, sonst gäbe es keine Geschichte. Das war so faszinierend für mich.

    FILMSTARTS: An welcher Stelle des Drehbuchs hast du für dich realisiert, dass du die Hauptfigur bist und eben nicht Daniel Day-Lewis als Reynolds Woodcock?

    Vicky Krieps: Als ich den ersten Auszug aus dem Drehbuch bekam, war das nur ein kleiner Monolog. Später habe ich dann das ganze Skript gelesen und dachte: „Oh mein Gott, sie ist tatsächlich eine der Hauptfiguren des Films.“ Nachdem wir angefangen haben zu arbeiten, sagte Paul eines Tages zu mir: „Das ist seltsam für mich. Das ist das erste Mal, dass ich eine weibliche Heldin habe. Das war der Punkt, an dem er realisiert hat, dass Alma vielleicht die Hauptfigur ist, und nicht Reynolds. Wenn ich aber zurückblicke, muss ich sagen, dass wir eins waren: Reynolds und Alma, wie eine doppelköpfige Kreatur. Einer ist genauso verrückt und teuflisch wie der andere. Deswegen haben wir das Gefühl, eine Person zu sein. Es war Teamwork.

    Zwei Liebende wie Monster

    FILMSTARTS: Das Doppelköpfige spricht auch für eine Art Monster…

    Vicky Krieps: … ja, genau. Beide sind auf ihre Weise Monster oder Drachen.

    FILMSTARTS: Paul Thomas Anderson ist bekannt dafür, viele Takes zu drehen. Gab es einen bestimmten Punkt für dich, der sehr schwierig zu spielen war?

    Vicky Krieps: In den Szenen mit mir haben wir oft nur ein Take geschossen, weil Almas Geschichte offensichtlich war. Aber wenn Paul etwas nicht gefallen hat, drehte er viele, viele Takes. Manche Szenen haben wir auch mehrere Tage später noch einmal aufgenommen. Wir haben auch noch viel mehr gedreht, was nicht im Film zu sehen ist. Alles war auf seine Weise schwierig und doch einfach. Als Schauspieler lieben wir unseren Beruf, das ist wie Atmen. Daniel hat mir mal gesagt: „Als wir angefangen haben zu arbeiten, fühlte sich das wie Atmen an.“ Auch wenn es anstrengend ist, ist es das, was wir machen wollen. Wenn es einfach wäre, wäre es langweilig. Auch Alma und Reynolds sind bereit, es hart anzugehen.

    Die schwierigste Aufgabe war aber die Spargel-Dinner-Szene. Das ging so schnell, wir hatten zwei Kameras, haben zwei Aufnahmen gemacht. Man musste einfach seine Textzeilen kennen und in die Szene hineingleiten. Und am Ende musste ich die Fassung verlieren – was komplett improvisiert war. Ich hatte das nicht vorbereitet, meine harsche Meinung über Reynolds. Paul sagte danach, dass er genau darauf gehofft hatte, weil er wusste, dass er für die Szene kein Ende geschrieben hatte.

    FILMSTARTS: Hat sich deine Karriere nach „Der seidene Faden“ schon geändert, bekommst du jetzt massenhaft Angebote?

    Vicky Krieps: Nein. Es hat die Tür zu vielen Journalisten geöffnet, die mir ständig Fragen stellen. Das hat sich definitiv geändert - und dass Leute fragen, was sich geändert hat. [lacht]. Ich weiß noch nicht, was ich als nächstes machen werde. [Anm. der Red.: Ihr jüngster Film „3 Tage in Quiberon“ läuft auf der Berlinale.]

    Der seidene Faden“ läuft seit dem 1. Februar 2018 in den deutschen Kinos.

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